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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Vererbung

den Abschnitt über die Pflanzenpflege. Gefüllte Blüten entstehen nach ihm
durch Einwirkungen der veränderten Lebensbedingungen auf das Keimplasma.
Daß sie erst im Verlauf von mehreren Generationen zahlreich auftreten, läßt,
wie ihm scheint, "nur die eine Erklärung zu, daß die veränderten Bedingungen
zunächst nur unsichtbare Veränderungen im Keimplasma der einzelnen Pflanze
hervorriefen, Abänderungen z. B. der Determinanten der Blüten oder Blätter,
aber nicht gleich in allen, sondern zunächst nur in einzelnen Iden. Diese
abgeänderten Determinanten wurden durch die Kontinuität des Keimplasmas
auf die folgende Generation übertragen, da aber in dieser die Abänderungs¬
ursachen noch fortwirkten, so veränderten sich die homologen Determinanten
noch einiger andern Ite, und so nahm die Zahl der abgeänderten Determi¬
nanten der Blüte oder der Blätter langsam zu, so lange, bis schließlich einmal
ihre Zahl die der normalen Determinanten übertraf, und so die Abnormität
sichtbar wurde als Variation der Blüte oder des Blattes" 575). Mit
dieser Darstellung kann jeder Anhänger Lamarcks zufrieden sein. "Ich habe
^früher^ das Variiren des Keimplasmas selbst durch direkt wirkende Einflüsse
gewiß noch nicht hoch genug angeschlagen, wie ich oben schon bekannt habe,
aber ein Beweis, daß Variation ohne Amphimixis vorkomme, liegt in den
Knospenvariationen dennoch nicht" 578). Es kommt uns nur auf den
Vordersatz an, der Nachsatz ist uns gleichgiltig. Auf derselben Seite unten
heißt es: "Die letzte Ursache der Knospenvariation muß dieselbe sein wie bei
der Variation aus Samen, d. h. Ungleichheit der Ernährung des Keimplas¬
mas, das Wort "Ernährung" in seiner weitesten Bedeutung genommen, also
inklusive Temperaturverschiedenheiten usw." 15 603 bis 609 lesen wir: "Es folgt
schon aus der Theorie, daß somatogene oder erworbne Eigenschaften nicht
vererbt werden können. Dieser Satz ist aber nicht gleichbedeutend damit, daß
äußere Einflüsse keine vererbbarem Änderungen hervorzubringen vermöchten. . . .
Die Variation in ihrer letzten Wurzel beruht immer auf der Einwirkung
äußerer Einflüsse. Wäre es möglich, daß Wachstum stattfände unter absolut
gleichbleibenden äußern Einflüssen, so würde Variation nicht vorkommen; da
dies aber nicht möglich ist, so ist jedes Wachstum mit kleinen oder größern
Abweichungen von der ererbten Entwicklungsrichtung verbunden. Diese Ab¬
weichungen stellen, wenn sie nur das Somni treffen, passante, nicht vererbbare
Variationen dar, wenn sie aber am Keimplasma eintreten, übertragen sie sich
auf die folgende Generation und verursachen also ihnen entsprechende vererb¬
bare Variationen des Körpers." Und auf der folgenden Seite: "Streng ge¬
nommen kann eine Steigerung oder Abminderung eines Charakters allein durch
Amphimixis nicht erfolgen." Ferner: "Auch wird nicht leicht zu sagen sein,
ob das veränderte Klima nicht zunächst die Keimzelle verändert, und in diesem
Falle würde eine Kumulirung des Effekts durch Vererbung auf keine Schwie¬
rigkeiten stoßen. Daß z. B. reichlichere Ernährung eine Pflanze nicht nur


Vererbung

den Abschnitt über die Pflanzenpflege. Gefüllte Blüten entstehen nach ihm
durch Einwirkungen der veränderten Lebensbedingungen auf das Keimplasma.
Daß sie erst im Verlauf von mehreren Generationen zahlreich auftreten, läßt,
wie ihm scheint, „nur die eine Erklärung zu, daß die veränderten Bedingungen
zunächst nur unsichtbare Veränderungen im Keimplasma der einzelnen Pflanze
hervorriefen, Abänderungen z. B. der Determinanten der Blüten oder Blätter,
aber nicht gleich in allen, sondern zunächst nur in einzelnen Iden. Diese
abgeänderten Determinanten wurden durch die Kontinuität des Keimplasmas
auf die folgende Generation übertragen, da aber in dieser die Abänderungs¬
ursachen noch fortwirkten, so veränderten sich die homologen Determinanten
noch einiger andern Ite, und so nahm die Zahl der abgeänderten Determi¬
nanten der Blüte oder der Blätter langsam zu, so lange, bis schließlich einmal
ihre Zahl die der normalen Determinanten übertraf, und so die Abnormität
sichtbar wurde als Variation der Blüte oder des Blattes" 575). Mit
dieser Darstellung kann jeder Anhänger Lamarcks zufrieden sein. „Ich habe
^früher^ das Variiren des Keimplasmas selbst durch direkt wirkende Einflüsse
gewiß noch nicht hoch genug angeschlagen, wie ich oben schon bekannt habe,
aber ein Beweis, daß Variation ohne Amphimixis vorkomme, liegt in den
Knospenvariationen dennoch nicht" 578). Es kommt uns nur auf den
Vordersatz an, der Nachsatz ist uns gleichgiltig. Auf derselben Seite unten
heißt es: „Die letzte Ursache der Knospenvariation muß dieselbe sein wie bei
der Variation aus Samen, d. h. Ungleichheit der Ernährung des Keimplas¬
mas, das Wort »Ernährung« in seiner weitesten Bedeutung genommen, also
inklusive Temperaturverschiedenheiten usw." 15 603 bis 609 lesen wir: „Es folgt
schon aus der Theorie, daß somatogene oder erworbne Eigenschaften nicht
vererbt werden können. Dieser Satz ist aber nicht gleichbedeutend damit, daß
äußere Einflüsse keine vererbbarem Änderungen hervorzubringen vermöchten. . . .
Die Variation in ihrer letzten Wurzel beruht immer auf der Einwirkung
äußerer Einflüsse. Wäre es möglich, daß Wachstum stattfände unter absolut
gleichbleibenden äußern Einflüssen, so würde Variation nicht vorkommen; da
dies aber nicht möglich ist, so ist jedes Wachstum mit kleinen oder größern
Abweichungen von der ererbten Entwicklungsrichtung verbunden. Diese Ab¬
weichungen stellen, wenn sie nur das Somni treffen, passante, nicht vererbbare
Variationen dar, wenn sie aber am Keimplasma eintreten, übertragen sie sich
auf die folgende Generation und verursachen also ihnen entsprechende vererb¬
bare Variationen des Körpers." Und auf der folgenden Seite: „Streng ge¬
nommen kann eine Steigerung oder Abminderung eines Charakters allein durch
Amphimixis nicht erfolgen." Ferner: „Auch wird nicht leicht zu sagen sein,
ob das veränderte Klima nicht zunächst die Keimzelle verändert, und in diesem
Falle würde eine Kumulirung des Effekts durch Vererbung auf keine Schwie¬
rigkeiten stoßen. Daß z. B. reichlichere Ernährung eine Pflanze nicht nur


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[0136] Vererbung den Abschnitt über die Pflanzenpflege. Gefüllte Blüten entstehen nach ihm durch Einwirkungen der veränderten Lebensbedingungen auf das Keimplasma. Daß sie erst im Verlauf von mehreren Generationen zahlreich auftreten, läßt, wie ihm scheint, „nur die eine Erklärung zu, daß die veränderten Bedingungen zunächst nur unsichtbare Veränderungen im Keimplasma der einzelnen Pflanze hervorriefen, Abänderungen z. B. der Determinanten der Blüten oder Blätter, aber nicht gleich in allen, sondern zunächst nur in einzelnen Iden. Diese abgeänderten Determinanten wurden durch die Kontinuität des Keimplasmas auf die folgende Generation übertragen, da aber in dieser die Abänderungs¬ ursachen noch fortwirkten, so veränderten sich die homologen Determinanten noch einiger andern Ite, und so nahm die Zahl der abgeänderten Determi¬ nanten der Blüte oder der Blätter langsam zu, so lange, bis schließlich einmal ihre Zahl die der normalen Determinanten übertraf, und so die Abnormität sichtbar wurde als Variation der Blüte oder des Blattes" 575). Mit dieser Darstellung kann jeder Anhänger Lamarcks zufrieden sein. „Ich habe ^früher^ das Variiren des Keimplasmas selbst durch direkt wirkende Einflüsse gewiß noch nicht hoch genug angeschlagen, wie ich oben schon bekannt habe, aber ein Beweis, daß Variation ohne Amphimixis vorkomme, liegt in den Knospenvariationen dennoch nicht" 578). Es kommt uns nur auf den Vordersatz an, der Nachsatz ist uns gleichgiltig. Auf derselben Seite unten heißt es: „Die letzte Ursache der Knospenvariation muß dieselbe sein wie bei der Variation aus Samen, d. h. Ungleichheit der Ernährung des Keimplas¬ mas, das Wort »Ernährung« in seiner weitesten Bedeutung genommen, also inklusive Temperaturverschiedenheiten usw." 15 603 bis 609 lesen wir: „Es folgt schon aus der Theorie, daß somatogene oder erworbne Eigenschaften nicht vererbt werden können. Dieser Satz ist aber nicht gleichbedeutend damit, daß äußere Einflüsse keine vererbbarem Änderungen hervorzubringen vermöchten. . . . Die Variation in ihrer letzten Wurzel beruht immer auf der Einwirkung äußerer Einflüsse. Wäre es möglich, daß Wachstum stattfände unter absolut gleichbleibenden äußern Einflüssen, so würde Variation nicht vorkommen; da dies aber nicht möglich ist, so ist jedes Wachstum mit kleinen oder größern Abweichungen von der ererbten Entwicklungsrichtung verbunden. Diese Ab¬ weichungen stellen, wenn sie nur das Somni treffen, passante, nicht vererbbare Variationen dar, wenn sie aber am Keimplasma eintreten, übertragen sie sich auf die folgende Generation und verursachen also ihnen entsprechende vererb¬ bare Variationen des Körpers." Und auf der folgenden Seite: „Streng ge¬ nommen kann eine Steigerung oder Abminderung eines Charakters allein durch Amphimixis nicht erfolgen." Ferner: „Auch wird nicht leicht zu sagen sein, ob das veränderte Klima nicht zunächst die Keimzelle verändert, und in diesem Falle würde eine Kumulirung des Effekts durch Vererbung auf keine Schwie¬ rigkeiten stoßen. Daß z. B. reichlichere Ernährung eine Pflanze nicht nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/136>, abgerufen am 24.07.2024.