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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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In den diesjährigen Raisermanövern

fand niemals Begrüßung statt, wie ein Privatmann fuhr der Kaiser durch
die Hauptstadt des zweitgrößten deutschen Vundesstaates. Er zog es deshalb
vor, sein Nachtquartier immer in Augsburg zu nehmen. Die Leute, die die
Ungehörigkeit eines solchen Zustandes empfanden, schwiegen, und darum nahm
ihre Anzahl mehr und mehr ab. Was vorhin von König Ludwig II. gesagt
wurde, gilt auch von vielen, zum Teil sehr hochgestellten und einflußreichen
Persönlichkeiten. Sie haben sich ja in vollster Loyalität dem Reiche und seinem
Oberhaupt unterworfen, sie denken an keinen Anschluß an das Ausland, und
im Kriegsfalle werden sie ebenso Treue beweisen wie 1870; aber jedem Ein¬
zelnen fällt es schwer, daraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen und
mit freudigem Gemüt die aus der Sachlage hervorgehenden Opfer zu bringen.
Mit dem Verstände sind sie reichs- und kaisertreu, aber nicht mit dem Herzen.
Das alles hat seinen ausreichenden geschichtlichen Grund. In dem mittlern,
westlichen und südwestlichen Deutschland, sogar in der Mark Brandenburg, waren
die alten Kaisererinnerungen niemals ganz erloschen, in manchen Gegenden be¬
lebten sie noch 1866 die Opposition gegen Preußen, und im Jahre 1871 halfen
sie dann die Begeisterung für das neue Kaisertum fördern. Aber Altbaiern
kannte diese Erinnerungen nicht mehr. Die Ohnmacht der Kaiser aus dem
Habsburgischen Stamme während und nach dem dreißigjährigen Kriege, die
fast ununterbrochne Opposition der bairischen Kurfürsten gegen Kaiser und
Reich, Gebietsstreitigkeiten mit Österreich und Bündnisse mit Frankreich hatten
es trotz aller Familienverbindungen mit den Habsburger" dahin gebracht, daß
in den altbairischen Provinzen der Gedanke an das Reich nahezu verloren ge¬
gangen war. So etwas belebt sich schwer wieder.

Der deutsche Süden leidet überhaupt darunter, daß er in den Kämpfen
gegen den ersten Napoleon keine nationalen Thaten gesehen hat. Dort erschien
der Korse nicht als Unterdrücker, sondern als Bringer von Größe und Macht,
allerdings auf Kosten andrer. Man ertrug es in Baiern willig und gern,
daß Napoleon die bairischen Truppen unter französische Marschülle stellte,
aber man hatte sich schon im dreißigjährigen Kriege gegen jeden kaiserlichen
Oberbefehlshaber gewehrt. Blücher ist dem Altbaiern eine höchst gleichgiltige
Persönlichkeit, Andreas Hofer ein Rebell, da Tirol an Baiern abgetreten
worden war. Auch diese nationalen Erinnerungen, die im Norden bis zum
Jahre 1870 das Gemüt des ältern Geschlechts erfüllten, gehen den Baiern ab,
aber man kann heute niemand einen Vorwurf daraus machen. Im Feldzug
1870/71 haben die Bniern an Tapferkeit mit allen deutschen Waffenbrüdern
gewetteifert, und gerade die Altbaiern vom ersten Korps sind sämtlich mit der
Überzeugung heimgekommen, daß der "Bruder Preuß" ein tüchtiger Deutscher
sei. Doch die Zahl dieser Wackern ist nicht groß, viele sind schon tot, und
überhaupt gilt der Soldat in Baiern noch immer viel weniger als in Preußen,
wo die allgemeine Wehrpflicht schon in die vierte Generation geht. Das ist


In den diesjährigen Raisermanövern

fand niemals Begrüßung statt, wie ein Privatmann fuhr der Kaiser durch
die Hauptstadt des zweitgrößten deutschen Vundesstaates. Er zog es deshalb
vor, sein Nachtquartier immer in Augsburg zu nehmen. Die Leute, die die
Ungehörigkeit eines solchen Zustandes empfanden, schwiegen, und darum nahm
ihre Anzahl mehr und mehr ab. Was vorhin von König Ludwig II. gesagt
wurde, gilt auch von vielen, zum Teil sehr hochgestellten und einflußreichen
Persönlichkeiten. Sie haben sich ja in vollster Loyalität dem Reiche und seinem
Oberhaupt unterworfen, sie denken an keinen Anschluß an das Ausland, und
im Kriegsfalle werden sie ebenso Treue beweisen wie 1870; aber jedem Ein¬
zelnen fällt es schwer, daraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen und
mit freudigem Gemüt die aus der Sachlage hervorgehenden Opfer zu bringen.
Mit dem Verstände sind sie reichs- und kaisertreu, aber nicht mit dem Herzen.
Das alles hat seinen ausreichenden geschichtlichen Grund. In dem mittlern,
westlichen und südwestlichen Deutschland, sogar in der Mark Brandenburg, waren
die alten Kaisererinnerungen niemals ganz erloschen, in manchen Gegenden be¬
lebten sie noch 1866 die Opposition gegen Preußen, und im Jahre 1871 halfen
sie dann die Begeisterung für das neue Kaisertum fördern. Aber Altbaiern
kannte diese Erinnerungen nicht mehr. Die Ohnmacht der Kaiser aus dem
Habsburgischen Stamme während und nach dem dreißigjährigen Kriege, die
fast ununterbrochne Opposition der bairischen Kurfürsten gegen Kaiser und
Reich, Gebietsstreitigkeiten mit Österreich und Bündnisse mit Frankreich hatten
es trotz aller Familienverbindungen mit den Habsburger« dahin gebracht, daß
in den altbairischen Provinzen der Gedanke an das Reich nahezu verloren ge¬
gangen war. So etwas belebt sich schwer wieder.

Der deutsche Süden leidet überhaupt darunter, daß er in den Kämpfen
gegen den ersten Napoleon keine nationalen Thaten gesehen hat. Dort erschien
der Korse nicht als Unterdrücker, sondern als Bringer von Größe und Macht,
allerdings auf Kosten andrer. Man ertrug es in Baiern willig und gern,
daß Napoleon die bairischen Truppen unter französische Marschülle stellte,
aber man hatte sich schon im dreißigjährigen Kriege gegen jeden kaiserlichen
Oberbefehlshaber gewehrt. Blücher ist dem Altbaiern eine höchst gleichgiltige
Persönlichkeit, Andreas Hofer ein Rebell, da Tirol an Baiern abgetreten
worden war. Auch diese nationalen Erinnerungen, die im Norden bis zum
Jahre 1870 das Gemüt des ältern Geschlechts erfüllten, gehen den Baiern ab,
aber man kann heute niemand einen Vorwurf daraus machen. Im Feldzug
1870/71 haben die Bniern an Tapferkeit mit allen deutschen Waffenbrüdern
gewetteifert, und gerade die Altbaiern vom ersten Korps sind sämtlich mit der
Überzeugung heimgekommen, daß der „Bruder Preuß" ein tüchtiger Deutscher
sei. Doch die Zahl dieser Wackern ist nicht groß, viele sind schon tot, und
überhaupt gilt der Soldat in Baiern noch immer viel weniger als in Preußen,
wo die allgemeine Wehrpflicht schon in die vierte Generation geht. Das ist


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[0109] In den diesjährigen Raisermanövern fand niemals Begrüßung statt, wie ein Privatmann fuhr der Kaiser durch die Hauptstadt des zweitgrößten deutschen Vundesstaates. Er zog es deshalb vor, sein Nachtquartier immer in Augsburg zu nehmen. Die Leute, die die Ungehörigkeit eines solchen Zustandes empfanden, schwiegen, und darum nahm ihre Anzahl mehr und mehr ab. Was vorhin von König Ludwig II. gesagt wurde, gilt auch von vielen, zum Teil sehr hochgestellten und einflußreichen Persönlichkeiten. Sie haben sich ja in vollster Loyalität dem Reiche und seinem Oberhaupt unterworfen, sie denken an keinen Anschluß an das Ausland, und im Kriegsfalle werden sie ebenso Treue beweisen wie 1870; aber jedem Ein¬ zelnen fällt es schwer, daraus die notwendigen Folgerungen zu ziehen und mit freudigem Gemüt die aus der Sachlage hervorgehenden Opfer zu bringen. Mit dem Verstände sind sie reichs- und kaisertreu, aber nicht mit dem Herzen. Das alles hat seinen ausreichenden geschichtlichen Grund. In dem mittlern, westlichen und südwestlichen Deutschland, sogar in der Mark Brandenburg, waren die alten Kaisererinnerungen niemals ganz erloschen, in manchen Gegenden be¬ lebten sie noch 1866 die Opposition gegen Preußen, und im Jahre 1871 halfen sie dann die Begeisterung für das neue Kaisertum fördern. Aber Altbaiern kannte diese Erinnerungen nicht mehr. Die Ohnmacht der Kaiser aus dem Habsburgischen Stamme während und nach dem dreißigjährigen Kriege, die fast ununterbrochne Opposition der bairischen Kurfürsten gegen Kaiser und Reich, Gebietsstreitigkeiten mit Österreich und Bündnisse mit Frankreich hatten es trotz aller Familienverbindungen mit den Habsburger« dahin gebracht, daß in den altbairischen Provinzen der Gedanke an das Reich nahezu verloren ge¬ gangen war. So etwas belebt sich schwer wieder. Der deutsche Süden leidet überhaupt darunter, daß er in den Kämpfen gegen den ersten Napoleon keine nationalen Thaten gesehen hat. Dort erschien der Korse nicht als Unterdrücker, sondern als Bringer von Größe und Macht, allerdings auf Kosten andrer. Man ertrug es in Baiern willig und gern, daß Napoleon die bairischen Truppen unter französische Marschülle stellte, aber man hatte sich schon im dreißigjährigen Kriege gegen jeden kaiserlichen Oberbefehlshaber gewehrt. Blücher ist dem Altbaiern eine höchst gleichgiltige Persönlichkeit, Andreas Hofer ein Rebell, da Tirol an Baiern abgetreten worden war. Auch diese nationalen Erinnerungen, die im Norden bis zum Jahre 1870 das Gemüt des ältern Geschlechts erfüllten, gehen den Baiern ab, aber man kann heute niemand einen Vorwurf daraus machen. Im Feldzug 1870/71 haben die Bniern an Tapferkeit mit allen deutschen Waffenbrüdern gewetteifert, und gerade die Altbaiern vom ersten Korps sind sämtlich mit der Überzeugung heimgekommen, daß der „Bruder Preuß" ein tüchtiger Deutscher sei. Doch die Zahl dieser Wackern ist nicht groß, viele sind schon tot, und überhaupt gilt der Soldat in Baiern noch immer viel weniger als in Preußen, wo die allgemeine Wehrpflicht schon in die vierte Generation geht. Das ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/109>, abgerufen am 24.07.2024.