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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Nationaldenkmal Raiser Wilhelms l. in Berlin

Platz in eine Parkanlage umwandelt, werden die kolossalen Geschäftsgebäude,
die dann wieder den neuen Hintergrund bilden, die Halle und das Denkmal
überragen und einen Mißton in die geweihte Stätte bringen.

Der Versuch, das Denkmal auf dem Platze der Schloßfreiheit zu errichten,
muß also bis auf weiteres für mißlungen erklärt werden. Der hinten vor¬
übergehende Spreearm, der zur Zeit für den Verkehr unentbehrlich ist, dessen
Beseitigung auch wieder eine völlige Umgestaltung der Schloßbrücke, des Lust¬
gartens usw. nach sich ziehen würde, ist ein Hindernis, das auch unsre ersten
Vankünstler, wenn sie zu Rate gezogen worden wären, nicht hätten überwinden
können. Der tief in das Velt des Spreearms hineingeführte Unterbau für
die Rückseite der Halle macht trotz des Aufwands an monumentalen Bau¬
material den Eindruck eines Notbehelfs, eines Provisoriums. Daß die Anlage
so, wie sie sich zur Zeit dem Auge bietet, nicht bleiben kann, ist jedem klar,
der erst urteilt, bevor er spricht.

Die Notwendigkeit, das Denkmal gerade an dieser Stelle zu errichten,
ist durch künstlerische Gründe ebenfalls nicht bewiesen worden, und an geschicht¬
lichen fehlt es auch. Kaiser Wilhelm I. hat mit dem alten Königsschlosse
an der Spree persönlich nur in sehr losem Zusammenhange gestanden. Er
hielt es als das Schloß seiner Ahnen in Ehren, er begab sich dorthin,
wenn er seinen Repräsentatiouspflichten als Herrscher oder als Gastgeber sür
große Hoffeste nachkommen mußte; aber das ganze Maß seiner Persönlichkeit
war nur auf das schlichte zweistöckige Haus unter den Linden zugeschnitten.
Seine Ansicht von künstlerischen Dingen hatte sich in der Gewöhnung an die
Schöpfungen Rauchs und seiner Schüler gebildet. Auf Rauchs Friedrichs¬
denkmal sah er täglich. Wenn er auch Lenbach und Vegas Porträtsitzungcn
gewährt hat, so geschah es nur, weil er in seiner Herzensgüte keinem lieben
Fürsprecher etwas abschlagen wollte. Innerlich waren ihm diese Künstler mit
ihren über die schlichte Wahrheit hinausgesteigerten Schöpfungen fremd.

Wenn wir in den Werken von Vegas keinen wesentlichen Fortschritt über
die glänzendsten Schöpfungen der Barock- und Nokokokunst zu erkennen ver¬
mögen, so siud wir ebenso weit entfernt, die deutsche Kunst auf den ein¬
seitigen klassizistischen Standpunkt Rauchs und seiner Schüler zurückzuver¬
weisen. Da aber die eine Richtung ebensowenig selbständig und eigenartig ist
wie die andre, so hätte man bei einem Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I.
vielleicht besser die Stimmung seiner Zeit, seines persönlichen Werdens, seiner
eignen Anschauung von dem Glanz des Lebens und seiner Abneigung gegen
den prunkvollen Apparat der Herrseherwürde festgehalten, wenn für die Aus¬
führung des Denkmals Künstler bestimmt worden wären, die, im Zusammenhang
mit den Überlieferungen der Rauchschcn Schule, mehr Sinn für echte Monu¬
mentalität, die zwischen Majestät und genrehafter Spielerei unterscheidet, als
für gefüllige malerische Wirkungen haben.


Das Nationaldenkmal Raiser Wilhelms l. in Berlin

Platz in eine Parkanlage umwandelt, werden die kolossalen Geschäftsgebäude,
die dann wieder den neuen Hintergrund bilden, die Halle und das Denkmal
überragen und einen Mißton in die geweihte Stätte bringen.

Der Versuch, das Denkmal auf dem Platze der Schloßfreiheit zu errichten,
muß also bis auf weiteres für mißlungen erklärt werden. Der hinten vor¬
übergehende Spreearm, der zur Zeit für den Verkehr unentbehrlich ist, dessen
Beseitigung auch wieder eine völlige Umgestaltung der Schloßbrücke, des Lust¬
gartens usw. nach sich ziehen würde, ist ein Hindernis, das auch unsre ersten
Vankünstler, wenn sie zu Rate gezogen worden wären, nicht hätten überwinden
können. Der tief in das Velt des Spreearms hineingeführte Unterbau für
die Rückseite der Halle macht trotz des Aufwands an monumentalen Bau¬
material den Eindruck eines Notbehelfs, eines Provisoriums. Daß die Anlage
so, wie sie sich zur Zeit dem Auge bietet, nicht bleiben kann, ist jedem klar,
der erst urteilt, bevor er spricht.

Die Notwendigkeit, das Denkmal gerade an dieser Stelle zu errichten,
ist durch künstlerische Gründe ebenfalls nicht bewiesen worden, und an geschicht¬
lichen fehlt es auch. Kaiser Wilhelm I. hat mit dem alten Königsschlosse
an der Spree persönlich nur in sehr losem Zusammenhange gestanden. Er
hielt es als das Schloß seiner Ahnen in Ehren, er begab sich dorthin,
wenn er seinen Repräsentatiouspflichten als Herrscher oder als Gastgeber sür
große Hoffeste nachkommen mußte; aber das ganze Maß seiner Persönlichkeit
war nur auf das schlichte zweistöckige Haus unter den Linden zugeschnitten.
Seine Ansicht von künstlerischen Dingen hatte sich in der Gewöhnung an die
Schöpfungen Rauchs und seiner Schüler gebildet. Auf Rauchs Friedrichs¬
denkmal sah er täglich. Wenn er auch Lenbach und Vegas Porträtsitzungcn
gewährt hat, so geschah es nur, weil er in seiner Herzensgüte keinem lieben
Fürsprecher etwas abschlagen wollte. Innerlich waren ihm diese Künstler mit
ihren über die schlichte Wahrheit hinausgesteigerten Schöpfungen fremd.

Wenn wir in den Werken von Vegas keinen wesentlichen Fortschritt über
die glänzendsten Schöpfungen der Barock- und Nokokokunst zu erkennen ver¬
mögen, so siud wir ebenso weit entfernt, die deutsche Kunst auf den ein¬
seitigen klassizistischen Standpunkt Rauchs und seiner Schüler zurückzuver¬
weisen. Da aber die eine Richtung ebensowenig selbständig und eigenartig ist
wie die andre, so hätte man bei einem Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I.
vielleicht besser die Stimmung seiner Zeit, seines persönlichen Werdens, seiner
eignen Anschauung von dem Glanz des Lebens und seiner Abneigung gegen
den prunkvollen Apparat der Herrseherwürde festgehalten, wenn für die Aus¬
führung des Denkmals Künstler bestimmt worden wären, die, im Zusammenhang
mit den Überlieferungen der Rauchschcn Schule, mehr Sinn für echte Monu¬
mentalität, die zwischen Majestät und genrehafter Spielerei unterscheidet, als
für gefüllige malerische Wirkungen haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/96>, abgerufen am 23.07.2024.