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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. in Berlin

Warum dann nicht gleich die römische Jmperatorentracht wie beim Denkmal
des Großen Kurfürsten? Einen Schritt dazu hat man ohnehin gethan, indem
man dem Kaiser in die Rechte einen Feldherrnstab gegeben hat, den er auf
seinen Oberschenkel stützt, wobei noch im Interesse der geschichtlichen Wahrheit
bemerkt werden muß, daß Kaiser Wilhelm I. gegen bedeutungslose Jnsignien
wie Feldherrnstäbe eine entschiedne Abneigung gehabt hat, wenn er sie auch
andern zukommen ließ. Ganz besonders Walen ihm aber die Krone und der
übrige Ornat der alten deutschen Kaiser zuwider, worüber er sich, wenn er
eigne Bildnisse in diesem Ornat sah, bisweilen sehr mißmutig ausließ.

Der Kompromiß zwischen geschichtlicher Wahrheit und idealistischer Auf¬
fassung, die in die Zukunft hineinwirken soll, ist also nur sehr unvollkommen
geglückt. Und in welchem Zeitabstande von uns denkt man sich denn diese
Zukunft, von der die richtige Würdigung dieses Denkmals erwartet wird?
Kaiser Wilhelms lebende Gestalt ist durch drei Menschenalter, ohne zu wanken,
hindurchgeschritten, und das dritte dieser Menschenciltcr wurde durch ihn so
geprägt, daß der Geschichtschreiber, der die inhaltreichste Jubiläumsschrift zum
22. März 1897 verfaßt hat, einem frühern Werke mit Recht den Titel "Das
Zeitalter Kaiser Wilhelms I." geben konnte. Wenn man nun von den letzten
Lebensjahren des Kaisers in die Zukunft blickt, so wird es nach menschlichem
Ermessen noch um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts viele siebzigjährige
Männer und Frauen geben, auf deren Kindergesichtern einst der milde Blick
des großen Kriegs- und Friedeushelden geruht hat. Und sie werden, wenn
sie ihren Enkeln das Kaiserbild zeigen, die Köpfe schütteln und sagen: So war
er doch nicht! Er ließ sich in seinen letzten Entscheidungen nicht von Frauen,
sondern von dem Rate erprobter Männer leiten! Und wer sind diese Männer?
Wir sehen sie an seinem Denkmal nicht!

Man darf ein solches Stimmungsbild ebensogut schon heute entwerfen,
wie es die Lobredner des Kaiserdenkmnls gethan haben, um den historischen
Kaiser zu einem Idealbilds für die Zukunft umzuprägen. Wird die sagen¬
bildende Kraft der Volksseele versagen, wo es sich um Männer wie Bismarck
und Moltke handelt? Wenn wir die heutige Stimmung des deutschen Volkes
richtig beurteilen: nein! Und gerade in diesem Jahre ist so ungewöhnlich viel
zur Aufklärung des Verhältnisses dieser drei Männer durch Veröffentlichung
von Briefen und Aktenstücken gethan worden, daß eine nachträgliche Korrektur
der jetzt gewonnenen Auffassung kaum mehr möglich ist. Wir haben sogar
mit Überraschung erfahren, daß Moltke in Augenblicken, wo die allgemeine
Lage sehr günstig war, gezaudert hat, und daß Bismarck allein die treibende
Kraft war, die bisweilen aber auch die Energie des einmal zum Äußersten
entschlossenen Königs -- wir erinnern nur an die sächsische Frage im Juli
1866 -- mit Rücksicht auf seine letzten Pläne zügeln mußte. Wenn also einer
berechtigt war, auf einem öffentlichen Denkmal, noch dazu auf einem aus den


Das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. in Berlin

Warum dann nicht gleich die römische Jmperatorentracht wie beim Denkmal
des Großen Kurfürsten? Einen Schritt dazu hat man ohnehin gethan, indem
man dem Kaiser in die Rechte einen Feldherrnstab gegeben hat, den er auf
seinen Oberschenkel stützt, wobei noch im Interesse der geschichtlichen Wahrheit
bemerkt werden muß, daß Kaiser Wilhelm I. gegen bedeutungslose Jnsignien
wie Feldherrnstäbe eine entschiedne Abneigung gehabt hat, wenn er sie auch
andern zukommen ließ. Ganz besonders Walen ihm aber die Krone und der
übrige Ornat der alten deutschen Kaiser zuwider, worüber er sich, wenn er
eigne Bildnisse in diesem Ornat sah, bisweilen sehr mißmutig ausließ.

Der Kompromiß zwischen geschichtlicher Wahrheit und idealistischer Auf¬
fassung, die in die Zukunft hineinwirken soll, ist also nur sehr unvollkommen
geglückt. Und in welchem Zeitabstande von uns denkt man sich denn diese
Zukunft, von der die richtige Würdigung dieses Denkmals erwartet wird?
Kaiser Wilhelms lebende Gestalt ist durch drei Menschenalter, ohne zu wanken,
hindurchgeschritten, und das dritte dieser Menschenciltcr wurde durch ihn so
geprägt, daß der Geschichtschreiber, der die inhaltreichste Jubiläumsschrift zum
22. März 1897 verfaßt hat, einem frühern Werke mit Recht den Titel „Das
Zeitalter Kaiser Wilhelms I." geben konnte. Wenn man nun von den letzten
Lebensjahren des Kaisers in die Zukunft blickt, so wird es nach menschlichem
Ermessen noch um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts viele siebzigjährige
Männer und Frauen geben, auf deren Kindergesichtern einst der milde Blick
des großen Kriegs- und Friedeushelden geruht hat. Und sie werden, wenn
sie ihren Enkeln das Kaiserbild zeigen, die Köpfe schütteln und sagen: So war
er doch nicht! Er ließ sich in seinen letzten Entscheidungen nicht von Frauen,
sondern von dem Rate erprobter Männer leiten! Und wer sind diese Männer?
Wir sehen sie an seinem Denkmal nicht!

Man darf ein solches Stimmungsbild ebensogut schon heute entwerfen,
wie es die Lobredner des Kaiserdenkmnls gethan haben, um den historischen
Kaiser zu einem Idealbilds für die Zukunft umzuprägen. Wird die sagen¬
bildende Kraft der Volksseele versagen, wo es sich um Männer wie Bismarck
und Moltke handelt? Wenn wir die heutige Stimmung des deutschen Volkes
richtig beurteilen: nein! Und gerade in diesem Jahre ist so ungewöhnlich viel
zur Aufklärung des Verhältnisses dieser drei Männer durch Veröffentlichung
von Briefen und Aktenstücken gethan worden, daß eine nachträgliche Korrektur
der jetzt gewonnenen Auffassung kaum mehr möglich ist. Wir haben sogar
mit Überraschung erfahren, daß Moltke in Augenblicken, wo die allgemeine
Lage sehr günstig war, gezaudert hat, und daß Bismarck allein die treibende
Kraft war, die bisweilen aber auch die Energie des einmal zum Äußersten
entschlossenen Königs — wir erinnern nur an die sächsische Frage im Juli
1866 — mit Rücksicht auf seine letzten Pläne zügeln mußte. Wenn also einer
berechtigt war, auf einem öffentlichen Denkmal, noch dazu auf einem aus den


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[0094] Das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. in Berlin Warum dann nicht gleich die römische Jmperatorentracht wie beim Denkmal des Großen Kurfürsten? Einen Schritt dazu hat man ohnehin gethan, indem man dem Kaiser in die Rechte einen Feldherrnstab gegeben hat, den er auf seinen Oberschenkel stützt, wobei noch im Interesse der geschichtlichen Wahrheit bemerkt werden muß, daß Kaiser Wilhelm I. gegen bedeutungslose Jnsignien wie Feldherrnstäbe eine entschiedne Abneigung gehabt hat, wenn er sie auch andern zukommen ließ. Ganz besonders Walen ihm aber die Krone und der übrige Ornat der alten deutschen Kaiser zuwider, worüber er sich, wenn er eigne Bildnisse in diesem Ornat sah, bisweilen sehr mißmutig ausließ. Der Kompromiß zwischen geschichtlicher Wahrheit und idealistischer Auf¬ fassung, die in die Zukunft hineinwirken soll, ist also nur sehr unvollkommen geglückt. Und in welchem Zeitabstande von uns denkt man sich denn diese Zukunft, von der die richtige Würdigung dieses Denkmals erwartet wird? Kaiser Wilhelms lebende Gestalt ist durch drei Menschenalter, ohne zu wanken, hindurchgeschritten, und das dritte dieser Menschenciltcr wurde durch ihn so geprägt, daß der Geschichtschreiber, der die inhaltreichste Jubiläumsschrift zum 22. März 1897 verfaßt hat, einem frühern Werke mit Recht den Titel „Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I." geben konnte. Wenn man nun von den letzten Lebensjahren des Kaisers in die Zukunft blickt, so wird es nach menschlichem Ermessen noch um die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts viele siebzigjährige Männer und Frauen geben, auf deren Kindergesichtern einst der milde Blick des großen Kriegs- und Friedeushelden geruht hat. Und sie werden, wenn sie ihren Enkeln das Kaiserbild zeigen, die Köpfe schütteln und sagen: So war er doch nicht! Er ließ sich in seinen letzten Entscheidungen nicht von Frauen, sondern von dem Rate erprobter Männer leiten! Und wer sind diese Männer? Wir sehen sie an seinem Denkmal nicht! Man darf ein solches Stimmungsbild ebensogut schon heute entwerfen, wie es die Lobredner des Kaiserdenkmnls gethan haben, um den historischen Kaiser zu einem Idealbilds für die Zukunft umzuprägen. Wird die sagen¬ bildende Kraft der Volksseele versagen, wo es sich um Männer wie Bismarck und Moltke handelt? Wenn wir die heutige Stimmung des deutschen Volkes richtig beurteilen: nein! Und gerade in diesem Jahre ist so ungewöhnlich viel zur Aufklärung des Verhältnisses dieser drei Männer durch Veröffentlichung von Briefen und Aktenstücken gethan worden, daß eine nachträgliche Korrektur der jetzt gewonnenen Auffassung kaum mehr möglich ist. Wir haben sogar mit Überraschung erfahren, daß Moltke in Augenblicken, wo die allgemeine Lage sehr günstig war, gezaudert hat, und daß Bismarck allein die treibende Kraft war, die bisweilen aber auch die Energie des einmal zum Äußersten entschlossenen Königs — wir erinnern nur an die sächsische Frage im Juli 1866 — mit Rücksicht auf seine letzten Pläne zügeln mußte. Wenn also einer berechtigt war, auf einem öffentlichen Denkmal, noch dazu auf einem aus den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/94>, abgerufen am 23.07.2024.