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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

Eine Eisenbahn vom Mittelmeer bei Alexandrette nach dem Euphrat und
stromabwärts nach dem Persischen Golf würde sich bald als Notwendigkeit
herausstellen. Die Strecke von Alexandrette zum Euphrat beträgt etwa
120 englische Meilen; hier hat der Bau große Schwierigkeiten zu überwinden,
in seiner Fortsetzung keine mehr.

Syrien, Assyrien und Babylonien sind der herrlichste Siegespreis, den
die Welt bietet, wegen der Schätze, die der Boden birgt, und weil, wer den
Tigris und Euphrat besitzt, die Herrschaft Vorderasiens in den Händen hat.
Sprenger sagt am Schlüsse seines Buches: "Der Orient ist das einzige Terri¬
torium der Erde, das noch nicht von einer der emporstrebenden Nationen in
Beschlag genommen worden ist; er ist aber das schönste Kolonisationsfeld,
und wenn Deutschland die Gelegenheit nicht verpaßt und darnach greift, ehe
die Kosaken die Hand darnach ausstrecken, hat es in der Teilung der Erde
den besten Teil errungen, denn bei der Kolonisation des Orients würde das
ganze deutsche Volk in allen seinen Schichten und Ständen gewinnen. Der
deutsche Kaiser hat, sobald einige hunderttausend deutscher Kolonisten in Waffen
jene herrlichen Gefilde bebauen, die Geschicke Vorderasiens in seiner Hand und
kann und wird ein Hort des Friedens für ganz Asien sein. Der Kaufmann
und der Gewerbtreibende findet ein ergiebiges Feld für seine Thätigkeit, dem
Kapitalisten eröffnen sich Gelegenheiten für sichere, vorteilhafte Geldanlagen,
und die Enterbten, welche den größten und nicht gerade den schlechtesten Teil
der Nation ausmachen, können, insofern sie Geschick, Lust zur Arbeit und
Unternehmungsgeist besitzen, zu wohlhabenden Landwirten werden. . . . Vom
politischen Standpunkt angesehen, soll der Schwerpunkt eines Kolonisations¬
planes in der Verwendung von Deutschlands vorzüglichen Arbeitskräften zur
Mehrung des Reiches liegen. . . . Welche starke Stellung würden die Sozial-
demokraten einnehmen, wenn sie, statt wahnwitzige Utopien zu predigen und
sich als eine gesonderte, verfolgte Kaste hinzustellen, zu den Behörden sagten:
Wir leisten Kriegsdienst wie ihr und vergießen unser Blut zur Erweiterung
der Machtstellung des Reiches wie ihr, wohlan, benutzt die Machtstellung,
uns Ländereien zu verschaffen, die wir unter dem Schutze des Reiches anbauen
und wovon wir uns nähren können. Es mag schwierig sein, solche zu er¬
werben; aber die Erde ist Gottes, und er giebt sie dem Starken. Deutschland
ist jetzt stark, stark wie das Zarenreich, warum soll es nicht wie dieses in die
Schranken treten und den Ansprüchen des deutschen Volkes in der Teilung
der Erde gerecht zu werden suchen?"

Trotz aller amtlichen und halbamtlichen Friedensversicherungen verbreitet
sich in immer weitern Kreisen das Gefühl, daß in nicht ferner Zeit ein kritisches
Jahr erster Ordnung heranzieht, etwa wie es das Jahr 1740 war. Die ge¬
waltige Erregung der englischen Nation hatte im Herbst 1739 die Kriegs¬
erklärung gegen die bourbvnisch-spanische Kolonialmacht erzwungen. "Wenig


Deutsche Kolonisation

Eine Eisenbahn vom Mittelmeer bei Alexandrette nach dem Euphrat und
stromabwärts nach dem Persischen Golf würde sich bald als Notwendigkeit
herausstellen. Die Strecke von Alexandrette zum Euphrat beträgt etwa
120 englische Meilen; hier hat der Bau große Schwierigkeiten zu überwinden,
in seiner Fortsetzung keine mehr.

Syrien, Assyrien und Babylonien sind der herrlichste Siegespreis, den
die Welt bietet, wegen der Schätze, die der Boden birgt, und weil, wer den
Tigris und Euphrat besitzt, die Herrschaft Vorderasiens in den Händen hat.
Sprenger sagt am Schlüsse seines Buches: „Der Orient ist das einzige Terri¬
torium der Erde, das noch nicht von einer der emporstrebenden Nationen in
Beschlag genommen worden ist; er ist aber das schönste Kolonisationsfeld,
und wenn Deutschland die Gelegenheit nicht verpaßt und darnach greift, ehe
die Kosaken die Hand darnach ausstrecken, hat es in der Teilung der Erde
den besten Teil errungen, denn bei der Kolonisation des Orients würde das
ganze deutsche Volk in allen seinen Schichten und Ständen gewinnen. Der
deutsche Kaiser hat, sobald einige hunderttausend deutscher Kolonisten in Waffen
jene herrlichen Gefilde bebauen, die Geschicke Vorderasiens in seiner Hand und
kann und wird ein Hort des Friedens für ganz Asien sein. Der Kaufmann
und der Gewerbtreibende findet ein ergiebiges Feld für seine Thätigkeit, dem
Kapitalisten eröffnen sich Gelegenheiten für sichere, vorteilhafte Geldanlagen,
und die Enterbten, welche den größten und nicht gerade den schlechtesten Teil
der Nation ausmachen, können, insofern sie Geschick, Lust zur Arbeit und
Unternehmungsgeist besitzen, zu wohlhabenden Landwirten werden. . . . Vom
politischen Standpunkt angesehen, soll der Schwerpunkt eines Kolonisations¬
planes in der Verwendung von Deutschlands vorzüglichen Arbeitskräften zur
Mehrung des Reiches liegen. . . . Welche starke Stellung würden die Sozial-
demokraten einnehmen, wenn sie, statt wahnwitzige Utopien zu predigen und
sich als eine gesonderte, verfolgte Kaste hinzustellen, zu den Behörden sagten:
Wir leisten Kriegsdienst wie ihr und vergießen unser Blut zur Erweiterung
der Machtstellung des Reiches wie ihr, wohlan, benutzt die Machtstellung,
uns Ländereien zu verschaffen, die wir unter dem Schutze des Reiches anbauen
und wovon wir uns nähren können. Es mag schwierig sein, solche zu er¬
werben; aber die Erde ist Gottes, und er giebt sie dem Starken. Deutschland
ist jetzt stark, stark wie das Zarenreich, warum soll es nicht wie dieses in die
Schranken treten und den Ansprüchen des deutschen Volkes in der Teilung
der Erde gerecht zu werden suchen?"

Trotz aller amtlichen und halbamtlichen Friedensversicherungen verbreitet
sich in immer weitern Kreisen das Gefühl, daß in nicht ferner Zeit ein kritisches
Jahr erster Ordnung heranzieht, etwa wie es das Jahr 1740 war. Die ge¬
waltige Erregung der englischen Nation hatte im Herbst 1739 die Kriegs¬
erklärung gegen die bourbvnisch-spanische Kolonialmacht erzwungen. „Wenig


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[0080] Deutsche Kolonisation Eine Eisenbahn vom Mittelmeer bei Alexandrette nach dem Euphrat und stromabwärts nach dem Persischen Golf würde sich bald als Notwendigkeit herausstellen. Die Strecke von Alexandrette zum Euphrat beträgt etwa 120 englische Meilen; hier hat der Bau große Schwierigkeiten zu überwinden, in seiner Fortsetzung keine mehr. Syrien, Assyrien und Babylonien sind der herrlichste Siegespreis, den die Welt bietet, wegen der Schätze, die der Boden birgt, und weil, wer den Tigris und Euphrat besitzt, die Herrschaft Vorderasiens in den Händen hat. Sprenger sagt am Schlüsse seines Buches: „Der Orient ist das einzige Terri¬ torium der Erde, das noch nicht von einer der emporstrebenden Nationen in Beschlag genommen worden ist; er ist aber das schönste Kolonisationsfeld, und wenn Deutschland die Gelegenheit nicht verpaßt und darnach greift, ehe die Kosaken die Hand darnach ausstrecken, hat es in der Teilung der Erde den besten Teil errungen, denn bei der Kolonisation des Orients würde das ganze deutsche Volk in allen seinen Schichten und Ständen gewinnen. Der deutsche Kaiser hat, sobald einige hunderttausend deutscher Kolonisten in Waffen jene herrlichen Gefilde bebauen, die Geschicke Vorderasiens in seiner Hand und kann und wird ein Hort des Friedens für ganz Asien sein. Der Kaufmann und der Gewerbtreibende findet ein ergiebiges Feld für seine Thätigkeit, dem Kapitalisten eröffnen sich Gelegenheiten für sichere, vorteilhafte Geldanlagen, und die Enterbten, welche den größten und nicht gerade den schlechtesten Teil der Nation ausmachen, können, insofern sie Geschick, Lust zur Arbeit und Unternehmungsgeist besitzen, zu wohlhabenden Landwirten werden. . . . Vom politischen Standpunkt angesehen, soll der Schwerpunkt eines Kolonisations¬ planes in der Verwendung von Deutschlands vorzüglichen Arbeitskräften zur Mehrung des Reiches liegen. . . . Welche starke Stellung würden die Sozial- demokraten einnehmen, wenn sie, statt wahnwitzige Utopien zu predigen und sich als eine gesonderte, verfolgte Kaste hinzustellen, zu den Behörden sagten: Wir leisten Kriegsdienst wie ihr und vergießen unser Blut zur Erweiterung der Machtstellung des Reiches wie ihr, wohlan, benutzt die Machtstellung, uns Ländereien zu verschaffen, die wir unter dem Schutze des Reiches anbauen und wovon wir uns nähren können. Es mag schwierig sein, solche zu er¬ werben; aber die Erde ist Gottes, und er giebt sie dem Starken. Deutschland ist jetzt stark, stark wie das Zarenreich, warum soll es nicht wie dieses in die Schranken treten und den Ansprüchen des deutschen Volkes in der Teilung der Erde gerecht zu werden suchen?" Trotz aller amtlichen und halbamtlichen Friedensversicherungen verbreitet sich in immer weitern Kreisen das Gefühl, daß in nicht ferner Zeit ein kritisches Jahr erster Ordnung heranzieht, etwa wie es das Jahr 1740 war. Die ge¬ waltige Erregung der englischen Nation hatte im Herbst 1739 die Kriegs¬ erklärung gegen die bourbvnisch-spanische Kolonialmacht erzwungen. „Wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/80>, abgerufen am 23.07.2024.