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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

im Frühjahr, die andre im Herbst. In den Wintermonaten gedeihen alle euro¬
päischen Getreide- und Gemüsearten sowie Futterkräuter, insbesondre Klee und
Luzerne, dazu kommen Tabak, Leinsamen, Himmis und Baumwolle. Für die
Herbsternte kommen hauptsächlich Mais, Scham, Durra und europäische Hülsen¬
früchte in Betracht, Reis kann beiden Ernten zugezählt werden. Wasser ist
in reichem Maße vorhanden, es handelt sich nur um die richtige Verteilung.
Von den noch wenig erschlossenen Bodenschätzen sind hauptsächlich Erdpech,
Petroleum, Steinkohle und Eisen zu nennen.

Man muß wahrlich staunen, daß die Kultur eines solchen Gebietes bei
der allgemeinen Jagd nach Kolonien nicht längst wieder in Angriff genommen
worden ist, und man wird Sprenger nur in bescheidnen Maße Recht geben
können, wenn er den Grund hauptsächlich darin sucht, daß "Kapitalisten und
Politiker sich wenig mit Geschichte befassen, Geschichtsforscher dagegen keine
Kapitalien besitzen." Wir werden sehen, daß sich der Kolonisation hier ganz
eigentümliche Schwierigkeiten entgegenstellen, daß namentlich eine Kultur durch
einheimische Kräfte völlig ausgeschlossen ist. Diese Schwierigkeiten haben wohl
wesentlich dazu beigetragen, der Aufgabe für andre Volker ein sehr Stachliches
Ansehen zu geben; aber gerade sie machen die Kolonisation zu einer Aufgabe,
die den deutscheu Eigentümlichkeiten und Bedürfnissen besonders entspricht,
wie die keines zweiten Landes der Welt. Die Aufgabe, die hier zu lösen ist,
ist sozusagen dem deutschen Volke auf den Leib zugeschnitten.

Heute ist das Land Heide, Wüste, und es ist in seinen untern Teilen auch
mit Sümpfen angefüllt; die Kultur hat mit der künstlichen Bewässerung, die
das Land befruchtete und das überflüssige Wasser abführte, aufgehört, und
aus den Gärten Babyloniens sind Seen und Sümpfe geworden. Noch um die
Mitte des sechsten Jahrhunderts nachchristlicher Zeit, uuter Chosroes Nuschirwan,
sollen über 22 Millionen Hektar in sorgfältiger Kultur gewesen sein. Im
zweiten Drittel des siebenten Jahrhunderts brachen die Moslemin in das Land
ein, und von da an beginnt der Niedergang.

Das Gefüge orientalischer Staaten ist völlig anders als das der euro¬
päischen. Die territoriale Abgrenzung hat nur nebensächliche Bedeutung, von
einer geordneten Verwaltung ist keine Rede. Der Souverän als Haupt eines
vom Volke scharf abgegrenzten Wehrstandes bekümmert sich um das Wohl seiner
Unterthanen nicht, sondern treibt nur Steuern ein oder läßt sie eintreiben;
er ist das legitime und sakrosankte Haupt einer Räuberbande. Rechnet man
dazu, daß die Beamten einfach von Erpressungen leben, daß überall Faustrecht
und Fehde herrscht, so ist der thatsächlich jetzt bestehende Zustand allgemeinen
trostlosen Verfalls nur zu begreiflich. Moltke berichtet im Jahre 1838 über
das obere Euphratland: "Ein Paradies, wenn Menschen es nicht zerstörten;
soweit die Rosse der Araber schweifen, kann keine dauernde Niederlassung be¬
stehen, der ganze Südfuß des Taurus, das alte Osroene ist bedeckt mit den


Deutsche Kolonisation

im Frühjahr, die andre im Herbst. In den Wintermonaten gedeihen alle euro¬
päischen Getreide- und Gemüsearten sowie Futterkräuter, insbesondre Klee und
Luzerne, dazu kommen Tabak, Leinsamen, Himmis und Baumwolle. Für die
Herbsternte kommen hauptsächlich Mais, Scham, Durra und europäische Hülsen¬
früchte in Betracht, Reis kann beiden Ernten zugezählt werden. Wasser ist
in reichem Maße vorhanden, es handelt sich nur um die richtige Verteilung.
Von den noch wenig erschlossenen Bodenschätzen sind hauptsächlich Erdpech,
Petroleum, Steinkohle und Eisen zu nennen.

Man muß wahrlich staunen, daß die Kultur eines solchen Gebietes bei
der allgemeinen Jagd nach Kolonien nicht längst wieder in Angriff genommen
worden ist, und man wird Sprenger nur in bescheidnen Maße Recht geben
können, wenn er den Grund hauptsächlich darin sucht, daß „Kapitalisten und
Politiker sich wenig mit Geschichte befassen, Geschichtsforscher dagegen keine
Kapitalien besitzen." Wir werden sehen, daß sich der Kolonisation hier ganz
eigentümliche Schwierigkeiten entgegenstellen, daß namentlich eine Kultur durch
einheimische Kräfte völlig ausgeschlossen ist. Diese Schwierigkeiten haben wohl
wesentlich dazu beigetragen, der Aufgabe für andre Volker ein sehr Stachliches
Ansehen zu geben; aber gerade sie machen die Kolonisation zu einer Aufgabe,
die den deutscheu Eigentümlichkeiten und Bedürfnissen besonders entspricht,
wie die keines zweiten Landes der Welt. Die Aufgabe, die hier zu lösen ist,
ist sozusagen dem deutschen Volke auf den Leib zugeschnitten.

Heute ist das Land Heide, Wüste, und es ist in seinen untern Teilen auch
mit Sümpfen angefüllt; die Kultur hat mit der künstlichen Bewässerung, die
das Land befruchtete und das überflüssige Wasser abführte, aufgehört, und
aus den Gärten Babyloniens sind Seen und Sümpfe geworden. Noch um die
Mitte des sechsten Jahrhunderts nachchristlicher Zeit, uuter Chosroes Nuschirwan,
sollen über 22 Millionen Hektar in sorgfältiger Kultur gewesen sein. Im
zweiten Drittel des siebenten Jahrhunderts brachen die Moslemin in das Land
ein, und von da an beginnt der Niedergang.

Das Gefüge orientalischer Staaten ist völlig anders als das der euro¬
päischen. Die territoriale Abgrenzung hat nur nebensächliche Bedeutung, von
einer geordneten Verwaltung ist keine Rede. Der Souverän als Haupt eines
vom Volke scharf abgegrenzten Wehrstandes bekümmert sich um das Wohl seiner
Unterthanen nicht, sondern treibt nur Steuern ein oder läßt sie eintreiben;
er ist das legitime und sakrosankte Haupt einer Räuberbande. Rechnet man
dazu, daß die Beamten einfach von Erpressungen leben, daß überall Faustrecht
und Fehde herrscht, so ist der thatsächlich jetzt bestehende Zustand allgemeinen
trostlosen Verfalls nur zu begreiflich. Moltke berichtet im Jahre 1838 über
das obere Euphratland: „Ein Paradies, wenn Menschen es nicht zerstörten;
soweit die Rosse der Araber schweifen, kann keine dauernde Niederlassung be¬
stehen, der ganze Südfuß des Taurus, das alte Osroene ist bedeckt mit den


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[0078] Deutsche Kolonisation im Frühjahr, die andre im Herbst. In den Wintermonaten gedeihen alle euro¬ päischen Getreide- und Gemüsearten sowie Futterkräuter, insbesondre Klee und Luzerne, dazu kommen Tabak, Leinsamen, Himmis und Baumwolle. Für die Herbsternte kommen hauptsächlich Mais, Scham, Durra und europäische Hülsen¬ früchte in Betracht, Reis kann beiden Ernten zugezählt werden. Wasser ist in reichem Maße vorhanden, es handelt sich nur um die richtige Verteilung. Von den noch wenig erschlossenen Bodenschätzen sind hauptsächlich Erdpech, Petroleum, Steinkohle und Eisen zu nennen. Man muß wahrlich staunen, daß die Kultur eines solchen Gebietes bei der allgemeinen Jagd nach Kolonien nicht längst wieder in Angriff genommen worden ist, und man wird Sprenger nur in bescheidnen Maße Recht geben können, wenn er den Grund hauptsächlich darin sucht, daß „Kapitalisten und Politiker sich wenig mit Geschichte befassen, Geschichtsforscher dagegen keine Kapitalien besitzen." Wir werden sehen, daß sich der Kolonisation hier ganz eigentümliche Schwierigkeiten entgegenstellen, daß namentlich eine Kultur durch einheimische Kräfte völlig ausgeschlossen ist. Diese Schwierigkeiten haben wohl wesentlich dazu beigetragen, der Aufgabe für andre Volker ein sehr Stachliches Ansehen zu geben; aber gerade sie machen die Kolonisation zu einer Aufgabe, die den deutscheu Eigentümlichkeiten und Bedürfnissen besonders entspricht, wie die keines zweiten Landes der Welt. Die Aufgabe, die hier zu lösen ist, ist sozusagen dem deutschen Volke auf den Leib zugeschnitten. Heute ist das Land Heide, Wüste, und es ist in seinen untern Teilen auch mit Sümpfen angefüllt; die Kultur hat mit der künstlichen Bewässerung, die das Land befruchtete und das überflüssige Wasser abführte, aufgehört, und aus den Gärten Babyloniens sind Seen und Sümpfe geworden. Noch um die Mitte des sechsten Jahrhunderts nachchristlicher Zeit, uuter Chosroes Nuschirwan, sollen über 22 Millionen Hektar in sorgfältiger Kultur gewesen sein. Im zweiten Drittel des siebenten Jahrhunderts brachen die Moslemin in das Land ein, und von da an beginnt der Niedergang. Das Gefüge orientalischer Staaten ist völlig anders als das der euro¬ päischen. Die territoriale Abgrenzung hat nur nebensächliche Bedeutung, von einer geordneten Verwaltung ist keine Rede. Der Souverän als Haupt eines vom Volke scharf abgegrenzten Wehrstandes bekümmert sich um das Wohl seiner Unterthanen nicht, sondern treibt nur Steuern ein oder läßt sie eintreiben; er ist das legitime und sakrosankte Haupt einer Räuberbande. Rechnet man dazu, daß die Beamten einfach von Erpressungen leben, daß überall Faustrecht und Fehde herrscht, so ist der thatsächlich jetzt bestehende Zustand allgemeinen trostlosen Verfalls nur zu begreiflich. Moltke berichtet im Jahre 1838 über das obere Euphratland: „Ein Paradies, wenn Menschen es nicht zerstörten; soweit die Rosse der Araber schweifen, kann keine dauernde Niederlassung be¬ stehen, der ganze Südfuß des Taurus, das alte Osroene ist bedeckt mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/78>, abgerufen am 23.07.2024.