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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Zeitgeist im Heere

auf der Abendpromenade im Verkehr mit den Damen der Halbwelt zeigt. Ein
Mönchsgelübde wird man von jungen, lebenslustigen Leuten nicht verlangen,
aber es wäre doch recht wünschenswert, wenn der Offizier seine Verehrung
der Vöiin.8 vuIZivgZg, etwas weniger öffentlich zur Schau trüge und mindestens
die Rücksicht auf seine Uniform nähme, die jedes Studentenkorps seinen Mit¬
gliedern zur Bedingung macht. Die Beleidigung, die er durch eine solche Ver-
nachlässigung dem Rock des Kaisers und damit -- wenn die kürzlich herum¬
getragne Äußerung des Monarchen wirklich zum Gesetz erhoben werden soll --
dem Kaiser selbst zufügt, ist jedenfalls weit schwerer, als wenn ihn ein be-
trunkner Rüpel mit wüsten Schimpfreden belästigt oder ein Gassenjunge mit
Kot bespritzt.

Der Offizier sollte nicht vergessen, daß er seine bevorzugte Stellung im
Staate gerade der Einfachheit seiner Sitten und der Makellosigkeit seines
Charakters verdankt, daß er aber jeden Anspruch darauf verlieren muß, sobald
er sich dieser Vorzüge begiebt und den Tanz um das goldne Kat mitmacht.
Gerade heute, wo es die Genußsucht und der Mammondienst schon dahin ge¬
bracht haben, daß die Edelsten der Nation auf Sport- und Spielplätzen mit
Gründern und Jobbern Verbrüderungsfeste feiern, müßte das Offizierkorps
eine scharfe Scheidewand aufrichten und aller Welt zeigen, daß es dergleichen
Versuchungen weit von sich weist.

Es wird nicht leicht sein und eines kräftigen Eingriffs bedürfen, um
dieses Übel, das schon ziemlich weit um sich gegriffen hat, mit Erfolg zu be¬
kämpfen; sehr viel mehr Anstrengung aber wird es kosten, die schweren
Schäden zu beseitigen, die, ebenfalls unter der Einwirkung des Zeitgeistes
herangewachsen, sich der äußern Wahrnehmung entziehen. Das Gefühl der
Unsicherheit, das ja überall das Zeichen des neuen Kurses bildet, hat auch
im Offizierkorps Platz gegriffen, die bange Sorge vor der Verantwortlichkeit
hat die Lust an selbständigem Schaffen und energischem Handeln unterdrückt,
statt kräftiger, mannhafter Charaktere ziehen wir nnzufriedne Streber groß.

Was nützen uns unsre ausgezeichneten Reglements, wenn sie in der be¬
schränktesten Weise ausgelegt werden? Was hilft es, daß wir in der Theorie
groß sind, wenn die Praxis so unendlich weit dahinter zurück bleibt? Der
freudige Eifer, durch deu sich früher der Dienstbetrieb in unserm Heere aus¬
zeichnete, droht zu schwinden, und Mißmut und Unlust wollen an seine Stelle
treten. Von jeher ist ja über den Dienst "räsonnirt" worden -- auch das
gehört zu den alten und, wie manche behaupten, berechtigten Überlieferungen --,
aber es geschah ohne Bitterkeit. Heute sehen viele in dem Borgesetzten ihren
Feind, dem sie nicht trauen dürfen und daher nach Möglichkeit ans dem Wege
gehen. Und sie haben auch alle Ursache, sich dem Vorgesetzten nur im besten
Lichte zu zeigen, ist er doch in Bezug auf ihr ferneres Fortkommen allmächtig.
Infolge des heimlichen Konduitenwesens erfahren sie es nicht einmal, wenn


Der Zeitgeist im Heere

auf der Abendpromenade im Verkehr mit den Damen der Halbwelt zeigt. Ein
Mönchsgelübde wird man von jungen, lebenslustigen Leuten nicht verlangen,
aber es wäre doch recht wünschenswert, wenn der Offizier seine Verehrung
der Vöiin.8 vuIZivgZg, etwas weniger öffentlich zur Schau trüge und mindestens
die Rücksicht auf seine Uniform nähme, die jedes Studentenkorps seinen Mit¬
gliedern zur Bedingung macht. Die Beleidigung, die er durch eine solche Ver-
nachlässigung dem Rock des Kaisers und damit — wenn die kürzlich herum¬
getragne Äußerung des Monarchen wirklich zum Gesetz erhoben werden soll —
dem Kaiser selbst zufügt, ist jedenfalls weit schwerer, als wenn ihn ein be-
trunkner Rüpel mit wüsten Schimpfreden belästigt oder ein Gassenjunge mit
Kot bespritzt.

Der Offizier sollte nicht vergessen, daß er seine bevorzugte Stellung im
Staate gerade der Einfachheit seiner Sitten und der Makellosigkeit seines
Charakters verdankt, daß er aber jeden Anspruch darauf verlieren muß, sobald
er sich dieser Vorzüge begiebt und den Tanz um das goldne Kat mitmacht.
Gerade heute, wo es die Genußsucht und der Mammondienst schon dahin ge¬
bracht haben, daß die Edelsten der Nation auf Sport- und Spielplätzen mit
Gründern und Jobbern Verbrüderungsfeste feiern, müßte das Offizierkorps
eine scharfe Scheidewand aufrichten und aller Welt zeigen, daß es dergleichen
Versuchungen weit von sich weist.

Es wird nicht leicht sein und eines kräftigen Eingriffs bedürfen, um
dieses Übel, das schon ziemlich weit um sich gegriffen hat, mit Erfolg zu be¬
kämpfen; sehr viel mehr Anstrengung aber wird es kosten, die schweren
Schäden zu beseitigen, die, ebenfalls unter der Einwirkung des Zeitgeistes
herangewachsen, sich der äußern Wahrnehmung entziehen. Das Gefühl der
Unsicherheit, das ja überall das Zeichen des neuen Kurses bildet, hat auch
im Offizierkorps Platz gegriffen, die bange Sorge vor der Verantwortlichkeit
hat die Lust an selbständigem Schaffen und energischem Handeln unterdrückt,
statt kräftiger, mannhafter Charaktere ziehen wir nnzufriedne Streber groß.

Was nützen uns unsre ausgezeichneten Reglements, wenn sie in der be¬
schränktesten Weise ausgelegt werden? Was hilft es, daß wir in der Theorie
groß sind, wenn die Praxis so unendlich weit dahinter zurück bleibt? Der
freudige Eifer, durch deu sich früher der Dienstbetrieb in unserm Heere aus¬
zeichnete, droht zu schwinden, und Mißmut und Unlust wollen an seine Stelle
treten. Von jeher ist ja über den Dienst „räsonnirt" worden — auch das
gehört zu den alten und, wie manche behaupten, berechtigten Überlieferungen —,
aber es geschah ohne Bitterkeit. Heute sehen viele in dem Borgesetzten ihren
Feind, dem sie nicht trauen dürfen und daher nach Möglichkeit ans dem Wege
gehen. Und sie haben auch alle Ursache, sich dem Vorgesetzten nur im besten
Lichte zu zeigen, ist er doch in Bezug auf ihr ferneres Fortkommen allmächtig.
Infolge des heimlichen Konduitenwesens erfahren sie es nicht einmal, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/68>, abgerufen am 23.07.2024.