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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Zeitgeist im Heere

so peinlich gehüteten Abgeschlossenheit, die bald in dem lächerlichsten Standes¬
dünkel, bald in vornehmer Zurückhaltung vor allen irgend zweifelhaften Ele¬
menten ihren Grund hatte, ist ein reger Verkehr mit den Gebildeten aller
Stände getreten. Das Offizierkorps hat dadurch auch entschieden gewonnen,
denn es ist vor Einseitigkeit und Kastengeist bewahrt geblieben und verdankt
dem Umgang mit Andersdenkenden manche wertvolle Anregung. Aber freilich
der Gefahren, die damit verbunden waren, hat es sich nicht zu erwehren ge¬
wußt. Das Entgegenkommen, das man ihm an vielen Stellen erzeigt -- selbst
linksliberale Rechtsanwälte werden in diesem Punkte zuweilen ihren felsen¬
festen Überzeugungen untreu --, hat dazu geführt, die früher so eng gezognen
Grenzen recht weit zu stecken, und besonders den jungeu Offizier sieht man
jetzt häufig in Kreisen verkehren, die nicht gerade als Hort der guten Sitte
anzusehen siud. An die Enthüllungen des Hannoverschen Prozesses und ähnliche
Sensationsgeschichten braucht man gar nicht einmal zu erinnern, es giebt wohl
eitle Protzen genug, die sich rühmen können, ein paar Uniformen als Zierde
ihrer Diners erhandelt zu huben, und was ist es denn anders, das den adels¬
stolzen Gardeleutnant zu den sybaritischen Gelagen der Tiergartenvillen führt,
als die Aussicht, niedrigste materielle Gelüste befriedigen zu können? Die
Freude am Genuß und geschmeichelte Eitelkeit haben ihn den Mangel an
wahrer Bildung, die sittliche Fäulnis, die ihm hier entgegentritt, nur zu gern
übersehen lassen, und der Luxus, der in diesen Kreisen herrscht, hat einen
Hang zum Wohlleben in ihm wachgerufen, von dem die altpreußische Einfach¬
heit nichts wußte.

Die Tage, wo der sterbende Offizier seinen Söhnen nichts hinterließ als
seinen Degen, den Töchtern nichts als seine Tugenden, sind vergessen. Das
heutige Geschlecht rühmt sich reellerer Werte, und der Wahlspruch "Arm, aber
vornehm" will nicht mehr passen. Das Streben, es den reichen Freunden
gleich zu thun, führt zu einem Aufwande, der die oft kargen Mittel übersteigt
und zum Borgen zwingt. So kommt es. daß ein großer Teil unsrer jungen
Offiziere heutzutage über seine Verhältnisse lebt und in Schulden steckt, deren
Tilgung dann meist der Freigebigkeit des zukünftigen Schwiegervaters vorbehalten
bleibt. Ja eine reiche Heirat ist für so manchen dieser Kavaliere der letzte
Rettungsanker, und man weiß nicht, ob man mehr die Gefühlsroheit beklagen
foll, die den modernen Ritter das heiligste Gefühl des Herzens zur Spekulation
herabwürdigen läßt, oder die blöde Eitelkeit der Eltern, die einer thörichten
Eitelkeit das Glück ihres Kindes opfern. Daß dieses Kapitel eine unerschöpf¬
liche Fundgrube für die Witzblätter bildet, läßt es dem unbefangnen Beobachter
nicht minder ernst erscheinen. Auch Schlitgens satirischer Stift vermag die
häßlichen Schatten von dem Bilde nicht wegzuwischen, und die landläufige
Ansicht, daß der Offizier nur reich heiraten könne, trügt ebenso wenig zur Er¬
höhung der Achtung vor dem Stande bei, wie die freie Art, die der Leutnant


Der Zeitgeist im Heere

so peinlich gehüteten Abgeschlossenheit, die bald in dem lächerlichsten Standes¬
dünkel, bald in vornehmer Zurückhaltung vor allen irgend zweifelhaften Ele¬
menten ihren Grund hatte, ist ein reger Verkehr mit den Gebildeten aller
Stände getreten. Das Offizierkorps hat dadurch auch entschieden gewonnen,
denn es ist vor Einseitigkeit und Kastengeist bewahrt geblieben und verdankt
dem Umgang mit Andersdenkenden manche wertvolle Anregung. Aber freilich
der Gefahren, die damit verbunden waren, hat es sich nicht zu erwehren ge¬
wußt. Das Entgegenkommen, das man ihm an vielen Stellen erzeigt — selbst
linksliberale Rechtsanwälte werden in diesem Punkte zuweilen ihren felsen¬
festen Überzeugungen untreu —, hat dazu geführt, die früher so eng gezognen
Grenzen recht weit zu stecken, und besonders den jungeu Offizier sieht man
jetzt häufig in Kreisen verkehren, die nicht gerade als Hort der guten Sitte
anzusehen siud. An die Enthüllungen des Hannoverschen Prozesses und ähnliche
Sensationsgeschichten braucht man gar nicht einmal zu erinnern, es giebt wohl
eitle Protzen genug, die sich rühmen können, ein paar Uniformen als Zierde
ihrer Diners erhandelt zu huben, und was ist es denn anders, das den adels¬
stolzen Gardeleutnant zu den sybaritischen Gelagen der Tiergartenvillen führt,
als die Aussicht, niedrigste materielle Gelüste befriedigen zu können? Die
Freude am Genuß und geschmeichelte Eitelkeit haben ihn den Mangel an
wahrer Bildung, die sittliche Fäulnis, die ihm hier entgegentritt, nur zu gern
übersehen lassen, und der Luxus, der in diesen Kreisen herrscht, hat einen
Hang zum Wohlleben in ihm wachgerufen, von dem die altpreußische Einfach¬
heit nichts wußte.

Die Tage, wo der sterbende Offizier seinen Söhnen nichts hinterließ als
seinen Degen, den Töchtern nichts als seine Tugenden, sind vergessen. Das
heutige Geschlecht rühmt sich reellerer Werte, und der Wahlspruch „Arm, aber
vornehm" will nicht mehr passen. Das Streben, es den reichen Freunden
gleich zu thun, führt zu einem Aufwande, der die oft kargen Mittel übersteigt
und zum Borgen zwingt. So kommt es. daß ein großer Teil unsrer jungen
Offiziere heutzutage über seine Verhältnisse lebt und in Schulden steckt, deren
Tilgung dann meist der Freigebigkeit des zukünftigen Schwiegervaters vorbehalten
bleibt. Ja eine reiche Heirat ist für so manchen dieser Kavaliere der letzte
Rettungsanker, und man weiß nicht, ob man mehr die Gefühlsroheit beklagen
foll, die den modernen Ritter das heiligste Gefühl des Herzens zur Spekulation
herabwürdigen läßt, oder die blöde Eitelkeit der Eltern, die einer thörichten
Eitelkeit das Glück ihres Kindes opfern. Daß dieses Kapitel eine unerschöpf¬
liche Fundgrube für die Witzblätter bildet, läßt es dem unbefangnen Beobachter
nicht minder ernst erscheinen. Auch Schlitgens satirischer Stift vermag die
häßlichen Schatten von dem Bilde nicht wegzuwischen, und die landläufige
Ansicht, daß der Offizier nur reich heiraten könne, trügt ebenso wenig zur Er¬
höhung der Achtung vor dem Stande bei, wie die freie Art, die der Leutnant


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/67>, abgerufen am 23.07.2024.