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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Zeitgeist im Heere

Wind des neuen Kurses hat den wertlosen Plunder beiseite gefegt, und allent¬
halben regt sich neues Leben- Alle Waffen haben in den letzten Jahren neue,
vorzüglich redigirte Reglements bekommen, für die meisten Verwaltungszweige
sind neue Vorschriften ausgearbeitet worden, und an der Ausbildung der
Truppen wird mehr gearbeitet, denn je zuvor.

Man sollte also meinen, es wäre alles in bester Ordnung, und nur bös¬
willige Kritik könnte angesichts dieser Thatsachen noch ein Wort des Tadels
äußern. Leider ist es in Wahrheit anders, venu die neue Zeit hat dem Heere
nicht nur zum Guten gedient. Bewaffnung und Organisation mögen noch so
vortrefflich sein, die Zahl der Streiter und das Geschick der Führer noch so
groß: den wahren Wert erhält eine Armee erst dnrch den Geist, der sie beseelt,
denn dieser allein ist imstande, der tote" Masse Leben einzuhauchen und sie vor
Erstarrung zu bewahren. Mit Recht ist daher im deutschen Heere immer der
größte Wert auf einen "guten Geist" und -- die Begriffe decken sich sast --
aus eine gute Disziplin gelegt worden, und voll freudigen Stolzes sind wir
gewohnt, die Disziplin unsrer Truppen als unerreichbar rühmen zu hören.
Wenn sich nun in den letzten Jahren immer lauter und häufiger Klagen er¬
heben, daß der Geist, der einst unsre Väter und Brüder bei Königgrätz und
Sedan geleitet hat, aus dem Heere schwinde, daß ein neuer, ein schlechter an
seiner Stelle auszukommen drohe, so ist es wohl der Mühe wert, solche
Klagen ernstlich zu prüfen und, wenn sie sich als berechtigt erweisen, Abhilfe
zu fordern.

Es ist nicht das Eindringen der Sozialdemokratie in das Heer gemeint,
wenn von dem verderblichen Einfluß des neuen Geistes die Rede ist. Die
Thatsache, daß alljährlich eine ziemlich große Anzahl Sozialdemokraten in die
Armee eintritt, hat nicht die große Bedeutung, die ihr vielfach beigemessen
wird. Denn so lange der Soldat bei der Fahne ist, kann er sich mit den Ge¬
schäften der Partei nicht befassen -- er müßte schon sehr "zielbewußt" sein, wenn
er auch nur den Zusammenhang mit ihr aufrecht erhalten wollte --, seine
Stellung im Heere ist aber auch nicht bedeutend genng, ihm irgend welchen
Einfluß zu- sichern. Die Masse thuts eben nicht, von dieser Seite droht also,
wenigstens zunächst, keine Gefahr. "Der Geist einer Armee sitzt in ihren
Offiziers"; man kann also von dem Wechsel in den Anschauungen und Grund¬
sätzen eines Heeres nur dann sprechen, wenn das Offizierkorps daran beteiligt
ist. Das ist aber bei uns jetzt der Fall. Allen Hindernissen zum Trotz hat
der Zeitgeist auch in dem abgeschlossenen Kreis des Offizierkorps Eingang ge¬
funden und in dieser konservativsten aller Genossenschaften eine starke Wand¬
lung herbeigeführt.

Äußerlich tritt sie am deutlichsten da zu Tage, wo der Offizier mit der
Öffentlichkeit in Berührung kommt. Daß das jetzt häufiger als früher ge¬
schieht, ist allerseits mit Genugthuung begrüßt worden. An Stelle der früher


Der Zeitgeist im Heere

Wind des neuen Kurses hat den wertlosen Plunder beiseite gefegt, und allent¬
halben regt sich neues Leben- Alle Waffen haben in den letzten Jahren neue,
vorzüglich redigirte Reglements bekommen, für die meisten Verwaltungszweige
sind neue Vorschriften ausgearbeitet worden, und an der Ausbildung der
Truppen wird mehr gearbeitet, denn je zuvor.

Man sollte also meinen, es wäre alles in bester Ordnung, und nur bös¬
willige Kritik könnte angesichts dieser Thatsachen noch ein Wort des Tadels
äußern. Leider ist es in Wahrheit anders, venu die neue Zeit hat dem Heere
nicht nur zum Guten gedient. Bewaffnung und Organisation mögen noch so
vortrefflich sein, die Zahl der Streiter und das Geschick der Führer noch so
groß: den wahren Wert erhält eine Armee erst dnrch den Geist, der sie beseelt,
denn dieser allein ist imstande, der tote» Masse Leben einzuhauchen und sie vor
Erstarrung zu bewahren. Mit Recht ist daher im deutschen Heere immer der
größte Wert auf einen „guten Geist" und — die Begriffe decken sich sast —
aus eine gute Disziplin gelegt worden, und voll freudigen Stolzes sind wir
gewohnt, die Disziplin unsrer Truppen als unerreichbar rühmen zu hören.
Wenn sich nun in den letzten Jahren immer lauter und häufiger Klagen er¬
heben, daß der Geist, der einst unsre Väter und Brüder bei Königgrätz und
Sedan geleitet hat, aus dem Heere schwinde, daß ein neuer, ein schlechter an
seiner Stelle auszukommen drohe, so ist es wohl der Mühe wert, solche
Klagen ernstlich zu prüfen und, wenn sie sich als berechtigt erweisen, Abhilfe
zu fordern.

Es ist nicht das Eindringen der Sozialdemokratie in das Heer gemeint,
wenn von dem verderblichen Einfluß des neuen Geistes die Rede ist. Die
Thatsache, daß alljährlich eine ziemlich große Anzahl Sozialdemokraten in die
Armee eintritt, hat nicht die große Bedeutung, die ihr vielfach beigemessen
wird. Denn so lange der Soldat bei der Fahne ist, kann er sich mit den Ge¬
schäften der Partei nicht befassen — er müßte schon sehr „zielbewußt" sein, wenn
er auch nur den Zusammenhang mit ihr aufrecht erhalten wollte —, seine
Stellung im Heere ist aber auch nicht bedeutend genng, ihm irgend welchen
Einfluß zu- sichern. Die Masse thuts eben nicht, von dieser Seite droht also,
wenigstens zunächst, keine Gefahr. „Der Geist einer Armee sitzt in ihren
Offiziers"; man kann also von dem Wechsel in den Anschauungen und Grund¬
sätzen eines Heeres nur dann sprechen, wenn das Offizierkorps daran beteiligt
ist. Das ist aber bei uns jetzt der Fall. Allen Hindernissen zum Trotz hat
der Zeitgeist auch in dem abgeschlossenen Kreis des Offizierkorps Eingang ge¬
funden und in dieser konservativsten aller Genossenschaften eine starke Wand¬
lung herbeigeführt.

Äußerlich tritt sie am deutlichsten da zu Tage, wo der Offizier mit der
Öffentlichkeit in Berührung kommt. Daß das jetzt häufiger als früher ge¬
schieht, ist allerseits mit Genugthuung begrüßt worden. An Stelle der früher


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[0066] Der Zeitgeist im Heere Wind des neuen Kurses hat den wertlosen Plunder beiseite gefegt, und allent¬ halben regt sich neues Leben- Alle Waffen haben in den letzten Jahren neue, vorzüglich redigirte Reglements bekommen, für die meisten Verwaltungszweige sind neue Vorschriften ausgearbeitet worden, und an der Ausbildung der Truppen wird mehr gearbeitet, denn je zuvor. Man sollte also meinen, es wäre alles in bester Ordnung, und nur bös¬ willige Kritik könnte angesichts dieser Thatsachen noch ein Wort des Tadels äußern. Leider ist es in Wahrheit anders, venu die neue Zeit hat dem Heere nicht nur zum Guten gedient. Bewaffnung und Organisation mögen noch so vortrefflich sein, die Zahl der Streiter und das Geschick der Führer noch so groß: den wahren Wert erhält eine Armee erst dnrch den Geist, der sie beseelt, denn dieser allein ist imstande, der tote» Masse Leben einzuhauchen und sie vor Erstarrung zu bewahren. Mit Recht ist daher im deutschen Heere immer der größte Wert auf einen „guten Geist" und — die Begriffe decken sich sast — aus eine gute Disziplin gelegt worden, und voll freudigen Stolzes sind wir gewohnt, die Disziplin unsrer Truppen als unerreichbar rühmen zu hören. Wenn sich nun in den letzten Jahren immer lauter und häufiger Klagen er¬ heben, daß der Geist, der einst unsre Väter und Brüder bei Königgrätz und Sedan geleitet hat, aus dem Heere schwinde, daß ein neuer, ein schlechter an seiner Stelle auszukommen drohe, so ist es wohl der Mühe wert, solche Klagen ernstlich zu prüfen und, wenn sie sich als berechtigt erweisen, Abhilfe zu fordern. Es ist nicht das Eindringen der Sozialdemokratie in das Heer gemeint, wenn von dem verderblichen Einfluß des neuen Geistes die Rede ist. Die Thatsache, daß alljährlich eine ziemlich große Anzahl Sozialdemokraten in die Armee eintritt, hat nicht die große Bedeutung, die ihr vielfach beigemessen wird. Denn so lange der Soldat bei der Fahne ist, kann er sich mit den Ge¬ schäften der Partei nicht befassen — er müßte schon sehr „zielbewußt" sein, wenn er auch nur den Zusammenhang mit ihr aufrecht erhalten wollte —, seine Stellung im Heere ist aber auch nicht bedeutend genng, ihm irgend welchen Einfluß zu- sichern. Die Masse thuts eben nicht, von dieser Seite droht also, wenigstens zunächst, keine Gefahr. „Der Geist einer Armee sitzt in ihren Offiziers"; man kann also von dem Wechsel in den Anschauungen und Grund¬ sätzen eines Heeres nur dann sprechen, wenn das Offizierkorps daran beteiligt ist. Das ist aber bei uns jetzt der Fall. Allen Hindernissen zum Trotz hat der Zeitgeist auch in dem abgeschlossenen Kreis des Offizierkorps Eingang ge¬ funden und in dieser konservativsten aller Genossenschaften eine starke Wand¬ lung herbeigeführt. Äußerlich tritt sie am deutlichsten da zu Tage, wo der Offizier mit der Öffentlichkeit in Berührung kommt. Daß das jetzt häufiger als früher ge¬ schieht, ist allerseits mit Genugthuung begrüßt worden. An Stelle der früher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/66>, abgerufen am 23.07.2024.