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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

Also wir wollen nicht an solche Vertreter von Anschauungen denken, die zur
Zeit der Mehrzahl der Naturforscher für veraltet gelten, aber es bekämpfen
einander u. a. auch Weismann und Herbert Spencer, die beide gleich eifrige
Anhänger der Selektionstheorie sind. Und wie steht es mit Weismann und
Häckel? Ist nicht Häckels Plastidulenseele, die die zweckmäßigen Gruppirungen
der Atome besorgt, eben das von Weismann verworfne metaphysische Prinzip?
Nachdem Häckel die Beseelung der Materie augenommen hatte, war er be¬
rechtigt, die harmonische Anordnung der Atome im Krystall auf eine Stufe zu
stellen mit einer Anordnung von Atomen, die ein Wesen zu ganz neuen Ver¬
richtungen, zu Lebensthätigkeiten befähigt; ist doch nach dieser Ansicht auch
schon der tote Stein eine Gesellschaft lebender Wesen, und wenn er an einer
Stelle den anorganischen Stoffen die Beseelung abspricht, so ist das eine Folge¬
widrigkeit, die neue Schwierigkeiten schafft. Weismann, der diese Hypothese
nicht annimmt, meint (Studien II, 302) bei einer Vergleichung der Krystalle
mit Lebewesen: "In beiden Fällen kennen wir die letzte Ursache nicht, die stets
eine bestimmte Gleichgewichtslage herbeiführt; beim Krystall fallt es niemand
ein, die Harmonie in der Anordnung der Teilchen einer zweckthätigen Kraft
zuzuschreiben, warum sollten wir aber beim Organismus ein solches annehmen
und nicht lieber den bereits begonnenen Versuch fortsetzen, die sicherlich auch
hier vorhcindne und ebenso gesetzmäßige Harmonie der Teile auf ihre natür¬
lichen Ursachen zurückzuführen?" Fortsetzen kann man den Versuch schon, aber
gelingen wird er nicht; es wird niemals gelingen, begreiflich zu machen, wie
aus "natürlichen" Ursachen, worunter Weismann die Atome und ihre Be¬
wegungsgesetze versteht, bewußtes Leben hervorgehen könne. Huxley bestritt,
daß der Mechanismus die Teleologie ausschließe. "Im Gegenteil, je reiner
j^so in der Übersetzung^ der Mechanist ein spekulativer Mann ist, desto fester
wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung annehmen, von der sämtliche
Erscheinungen des Universums die Folgen sind, und desto vollständiger ist er
eben hierdurch in den Händen des Teleologen, der ihn jederzeit herausfordern
kann, zu beweisen, daß diese ursprüngliche Anordnung nicht dazu bestimmt ge¬
wesen sei, die Erscheinungen des Universums sich entwickeln zu lassen." Und
Darwin selbst konnte sich nicht dazu entschließen, das Universum für ein Werk
"roher Kräfte" zu halten; aber, meinte er, der Gegenstand sei zu tief für den
menschlichen Verstand, "ebenso gut könnte ein Hund über den Geist Newtons
spekuliren." (Darwins Leben und Briefe II 196 und 304.)

Und was soll die Selektion, d. h. wiederum nur die gesetzmäßige Be¬
wegung bewußtloser Atome, die Atomgruppen der einen Art zerstört, solche
der andern Art fortbestehen läßt und weiter bildet, was soll sie alles leisten!
"Der Anatom Hermann Meyer, liest man bei Weismann (Äußere Einflüsse
als Entwicklungsreize S. 5), hat wohl zuerst auf jene bis ins kleinste gehende
Zweckmäßigkeit der tierischen Gewebe aufmerksam gemacht, wie sie am auf-


vom Neudarwinismus

Also wir wollen nicht an solche Vertreter von Anschauungen denken, die zur
Zeit der Mehrzahl der Naturforscher für veraltet gelten, aber es bekämpfen
einander u. a. auch Weismann und Herbert Spencer, die beide gleich eifrige
Anhänger der Selektionstheorie sind. Und wie steht es mit Weismann und
Häckel? Ist nicht Häckels Plastidulenseele, die die zweckmäßigen Gruppirungen
der Atome besorgt, eben das von Weismann verworfne metaphysische Prinzip?
Nachdem Häckel die Beseelung der Materie augenommen hatte, war er be¬
rechtigt, die harmonische Anordnung der Atome im Krystall auf eine Stufe zu
stellen mit einer Anordnung von Atomen, die ein Wesen zu ganz neuen Ver¬
richtungen, zu Lebensthätigkeiten befähigt; ist doch nach dieser Ansicht auch
schon der tote Stein eine Gesellschaft lebender Wesen, und wenn er an einer
Stelle den anorganischen Stoffen die Beseelung abspricht, so ist das eine Folge¬
widrigkeit, die neue Schwierigkeiten schafft. Weismann, der diese Hypothese
nicht annimmt, meint (Studien II, 302) bei einer Vergleichung der Krystalle
mit Lebewesen: „In beiden Fällen kennen wir die letzte Ursache nicht, die stets
eine bestimmte Gleichgewichtslage herbeiführt; beim Krystall fallt es niemand
ein, die Harmonie in der Anordnung der Teilchen einer zweckthätigen Kraft
zuzuschreiben, warum sollten wir aber beim Organismus ein solches annehmen
und nicht lieber den bereits begonnenen Versuch fortsetzen, die sicherlich auch
hier vorhcindne und ebenso gesetzmäßige Harmonie der Teile auf ihre natür¬
lichen Ursachen zurückzuführen?" Fortsetzen kann man den Versuch schon, aber
gelingen wird er nicht; es wird niemals gelingen, begreiflich zu machen, wie
aus „natürlichen" Ursachen, worunter Weismann die Atome und ihre Be¬
wegungsgesetze versteht, bewußtes Leben hervorgehen könne. Huxley bestritt,
daß der Mechanismus die Teleologie ausschließe. „Im Gegenteil, je reiner
j^so in der Übersetzung^ der Mechanist ein spekulativer Mann ist, desto fester
wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung annehmen, von der sämtliche
Erscheinungen des Universums die Folgen sind, und desto vollständiger ist er
eben hierdurch in den Händen des Teleologen, der ihn jederzeit herausfordern
kann, zu beweisen, daß diese ursprüngliche Anordnung nicht dazu bestimmt ge¬
wesen sei, die Erscheinungen des Universums sich entwickeln zu lassen." Und
Darwin selbst konnte sich nicht dazu entschließen, das Universum für ein Werk
„roher Kräfte" zu halten; aber, meinte er, der Gegenstand sei zu tief für den
menschlichen Verstand, „ebenso gut könnte ein Hund über den Geist Newtons
spekuliren." (Darwins Leben und Briefe II 196 und 304.)

Und was soll die Selektion, d. h. wiederum nur die gesetzmäßige Be¬
wegung bewußtloser Atome, die Atomgruppen der einen Art zerstört, solche
der andern Art fortbestehen läßt und weiter bildet, was soll sie alles leisten!
„Der Anatom Hermann Meyer, liest man bei Weismann (Äußere Einflüsse
als Entwicklungsreize S. 5), hat wohl zuerst auf jene bis ins kleinste gehende
Zweckmäßigkeit der tierischen Gewebe aufmerksam gemacht, wie sie am auf-


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[0616] vom Neudarwinismus Also wir wollen nicht an solche Vertreter von Anschauungen denken, die zur Zeit der Mehrzahl der Naturforscher für veraltet gelten, aber es bekämpfen einander u. a. auch Weismann und Herbert Spencer, die beide gleich eifrige Anhänger der Selektionstheorie sind. Und wie steht es mit Weismann und Häckel? Ist nicht Häckels Plastidulenseele, die die zweckmäßigen Gruppirungen der Atome besorgt, eben das von Weismann verworfne metaphysische Prinzip? Nachdem Häckel die Beseelung der Materie augenommen hatte, war er be¬ rechtigt, die harmonische Anordnung der Atome im Krystall auf eine Stufe zu stellen mit einer Anordnung von Atomen, die ein Wesen zu ganz neuen Ver¬ richtungen, zu Lebensthätigkeiten befähigt; ist doch nach dieser Ansicht auch schon der tote Stein eine Gesellschaft lebender Wesen, und wenn er an einer Stelle den anorganischen Stoffen die Beseelung abspricht, so ist das eine Folge¬ widrigkeit, die neue Schwierigkeiten schafft. Weismann, der diese Hypothese nicht annimmt, meint (Studien II, 302) bei einer Vergleichung der Krystalle mit Lebewesen: „In beiden Fällen kennen wir die letzte Ursache nicht, die stets eine bestimmte Gleichgewichtslage herbeiführt; beim Krystall fallt es niemand ein, die Harmonie in der Anordnung der Teilchen einer zweckthätigen Kraft zuzuschreiben, warum sollten wir aber beim Organismus ein solches annehmen und nicht lieber den bereits begonnenen Versuch fortsetzen, die sicherlich auch hier vorhcindne und ebenso gesetzmäßige Harmonie der Teile auf ihre natür¬ lichen Ursachen zurückzuführen?" Fortsetzen kann man den Versuch schon, aber gelingen wird er nicht; es wird niemals gelingen, begreiflich zu machen, wie aus „natürlichen" Ursachen, worunter Weismann die Atome und ihre Be¬ wegungsgesetze versteht, bewußtes Leben hervorgehen könne. Huxley bestritt, daß der Mechanismus die Teleologie ausschließe. „Im Gegenteil, je reiner j^so in der Übersetzung^ der Mechanist ein spekulativer Mann ist, desto fester wird er eine ursprüngliche molekulare Anordnung annehmen, von der sämtliche Erscheinungen des Universums die Folgen sind, und desto vollständiger ist er eben hierdurch in den Händen des Teleologen, der ihn jederzeit herausfordern kann, zu beweisen, daß diese ursprüngliche Anordnung nicht dazu bestimmt ge¬ wesen sei, die Erscheinungen des Universums sich entwickeln zu lassen." Und Darwin selbst konnte sich nicht dazu entschließen, das Universum für ein Werk „roher Kräfte" zu halten; aber, meinte er, der Gegenstand sei zu tief für den menschlichen Verstand, „ebenso gut könnte ein Hund über den Geist Newtons spekuliren." (Darwins Leben und Briefe II 196 und 304.) Und was soll die Selektion, d. h. wiederum nur die gesetzmäßige Be¬ wegung bewußtloser Atome, die Atomgruppen der einen Art zerstört, solche der andern Art fortbestehen läßt und weiter bildet, was soll sie alles leisten! „Der Anatom Hermann Meyer, liest man bei Weismann (Äußere Einflüsse als Entwicklungsreize S. 5), hat wohl zuerst auf jene bis ins kleinste gehende Zweckmäßigkeit der tierischen Gewebe aufmerksam gemacht, wie sie am auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/616>, abgerufen am 23.07.2024.