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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

Paares ist eine Kombination zweier verschiedner ,,Vererbungstendenzen," ein
Individuum der dritten Generation enthält vier, eines der vierten acht, eines
der zehnten tausendzwanzig, und da sich in jedem einzelnen Falle jede dieser
Vererbungstendenzen "in diesem oder jenem Teile des aufzubauenden Organis¬
mus stärker oder schwächer geltend macht," so ergiebt sich eine Unzahl ver¬
schiedner Kombinationen. Von diesen gehen alle zu Grunde, die für die An¬
passung an wechselnde Lebensbedingungen nicht geeignet sind, und so ist damit
die Arten bildende Selektion gegeben, denn die einer gewissen Umgebung am
besten angepaßten Individuen werden selbstverständlich einander ähnlich sein.

Wir wollen sür diesmal nicht auf die Hauptschwierigkeit eingehen, die darin
liegt, daß jeder Ahne sein Teilchen Ahnenplasma beitragen soll, daß aber darin
seine erworbnen Eigentümlichkeiten nicht vertreten sein, daß also alle nach der
Zeugung eintretenden Einflüsse schlechthin ohne Einfluß auf die Substanz und
Struktur des Keimplasmas bleiben sollen, als ob dieses dem Gesetze des Stoff¬
wechsels gar nicht unterworfen wäre. Wir wollen nur ein paar Schwierig¬
keiten hervorheben, die ganz an der Oberfläche liegen. Zunächst bemerken wir
mit Haycmft, daß Weismann, gleich den meisten Darwinianern, weit weniger
vorsichtig und bescheiden als der Meister ist. Dieser wollte seine Pangenesis-
hypothese, als etwas "zu spekulatives," ursprünglich gar nicht veröffentlichen
und hat sie dann nur als Schlußkapitel und sozusagen als Anhang des Werkes
über das Variiren der Tiere und Pflanzen gegeben, um zu zeigen, wie man
sich die Vererbung allenfalls vorstellen könnte. Weismann aber stellt die
Struktur des Keimplasmas so ausführlich und genau dar, als wäre sie etwas
bewiesenes oder beweisbares, und macht sie, seitdeni er sie gefunden hat, zum
Mittelpunkt seiner Weilern Untersuchungen, obwohl sie niemals durch Experi¬
mente weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Denn in welchen Mengen¬
verhältnissen Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff in jeder organischen Ver¬
bindung vorkommen, das kann zwar durch ein Experiment festgestellt und
damit kann bewiesen werden, ob sich ein Chemiker in seinen Berechnungen
geirrt hat oder nicht, aber durch welches Experiment sollen die Iden, Deter¬
minanten und Biophoren und ihre Verrichtungen in dem von ihnen neu auf¬
zubauenden Leibe nachgewiesen werden? Sodann: wie ist die Geschlechtlichkeit
selbst entstanden, ohne die nach Weismann der Selektionsprozeß nicht hätte
anfangen können? "Vermutungen ließen sich darüber wohl aufstellen," meint
er a. a. O. S. 44. Gewiß, aber alle Vermutungen werden die Thatsache
nicht aus der Welt schaffen, daß die Entstehung geschlechtlicher Wesen ein
ebenso unbegreifliches Wunder ist wie die Entstehung der ersten Zelle, die
rin der Herstellung organischer Stoffe in der Retorte noch lange nicht gegeben
ist. Man denke sich, schreibt ein andrer Darwinianer, "um die Kluft zwischen



Dr. Eugen Droher, Der Darwinismus und seine Konsequenzen, S, 75.
vom Neudarwinismus

Paares ist eine Kombination zweier verschiedner ,,Vererbungstendenzen," ein
Individuum der dritten Generation enthält vier, eines der vierten acht, eines
der zehnten tausendzwanzig, und da sich in jedem einzelnen Falle jede dieser
Vererbungstendenzen „in diesem oder jenem Teile des aufzubauenden Organis¬
mus stärker oder schwächer geltend macht," so ergiebt sich eine Unzahl ver¬
schiedner Kombinationen. Von diesen gehen alle zu Grunde, die für die An¬
passung an wechselnde Lebensbedingungen nicht geeignet sind, und so ist damit
die Arten bildende Selektion gegeben, denn die einer gewissen Umgebung am
besten angepaßten Individuen werden selbstverständlich einander ähnlich sein.

Wir wollen sür diesmal nicht auf die Hauptschwierigkeit eingehen, die darin
liegt, daß jeder Ahne sein Teilchen Ahnenplasma beitragen soll, daß aber darin
seine erworbnen Eigentümlichkeiten nicht vertreten sein, daß also alle nach der
Zeugung eintretenden Einflüsse schlechthin ohne Einfluß auf die Substanz und
Struktur des Keimplasmas bleiben sollen, als ob dieses dem Gesetze des Stoff¬
wechsels gar nicht unterworfen wäre. Wir wollen nur ein paar Schwierig¬
keiten hervorheben, die ganz an der Oberfläche liegen. Zunächst bemerken wir
mit Haycmft, daß Weismann, gleich den meisten Darwinianern, weit weniger
vorsichtig und bescheiden als der Meister ist. Dieser wollte seine Pangenesis-
hypothese, als etwas „zu spekulatives," ursprünglich gar nicht veröffentlichen
und hat sie dann nur als Schlußkapitel und sozusagen als Anhang des Werkes
über das Variiren der Tiere und Pflanzen gegeben, um zu zeigen, wie man
sich die Vererbung allenfalls vorstellen könnte. Weismann aber stellt die
Struktur des Keimplasmas so ausführlich und genau dar, als wäre sie etwas
bewiesenes oder beweisbares, und macht sie, seitdeni er sie gefunden hat, zum
Mittelpunkt seiner Weilern Untersuchungen, obwohl sie niemals durch Experi¬
mente weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Denn in welchen Mengen¬
verhältnissen Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff in jeder organischen Ver¬
bindung vorkommen, das kann zwar durch ein Experiment festgestellt und
damit kann bewiesen werden, ob sich ein Chemiker in seinen Berechnungen
geirrt hat oder nicht, aber durch welches Experiment sollen die Iden, Deter¬
minanten und Biophoren und ihre Verrichtungen in dem von ihnen neu auf¬
zubauenden Leibe nachgewiesen werden? Sodann: wie ist die Geschlechtlichkeit
selbst entstanden, ohne die nach Weismann der Selektionsprozeß nicht hätte
anfangen können? „Vermutungen ließen sich darüber wohl aufstellen," meint
er a. a. O. S. 44. Gewiß, aber alle Vermutungen werden die Thatsache
nicht aus der Welt schaffen, daß die Entstehung geschlechtlicher Wesen ein
ebenso unbegreifliches Wunder ist wie die Entstehung der ersten Zelle, die
rin der Herstellung organischer Stoffe in der Retorte noch lange nicht gegeben
ist. Man denke sich, schreibt ein andrer Darwinianer, „um die Kluft zwischen



Dr. Eugen Droher, Der Darwinismus und seine Konsequenzen, S, 75.
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[0614] vom Neudarwinismus Paares ist eine Kombination zweier verschiedner ,,Vererbungstendenzen," ein Individuum der dritten Generation enthält vier, eines der vierten acht, eines der zehnten tausendzwanzig, und da sich in jedem einzelnen Falle jede dieser Vererbungstendenzen „in diesem oder jenem Teile des aufzubauenden Organis¬ mus stärker oder schwächer geltend macht," so ergiebt sich eine Unzahl ver¬ schiedner Kombinationen. Von diesen gehen alle zu Grunde, die für die An¬ passung an wechselnde Lebensbedingungen nicht geeignet sind, und so ist damit die Arten bildende Selektion gegeben, denn die einer gewissen Umgebung am besten angepaßten Individuen werden selbstverständlich einander ähnlich sein. Wir wollen sür diesmal nicht auf die Hauptschwierigkeit eingehen, die darin liegt, daß jeder Ahne sein Teilchen Ahnenplasma beitragen soll, daß aber darin seine erworbnen Eigentümlichkeiten nicht vertreten sein, daß also alle nach der Zeugung eintretenden Einflüsse schlechthin ohne Einfluß auf die Substanz und Struktur des Keimplasmas bleiben sollen, als ob dieses dem Gesetze des Stoff¬ wechsels gar nicht unterworfen wäre. Wir wollen nur ein paar Schwierig¬ keiten hervorheben, die ganz an der Oberfläche liegen. Zunächst bemerken wir mit Haycmft, daß Weismann, gleich den meisten Darwinianern, weit weniger vorsichtig und bescheiden als der Meister ist. Dieser wollte seine Pangenesis- hypothese, als etwas „zu spekulatives," ursprünglich gar nicht veröffentlichen und hat sie dann nur als Schlußkapitel und sozusagen als Anhang des Werkes über das Variiren der Tiere und Pflanzen gegeben, um zu zeigen, wie man sich die Vererbung allenfalls vorstellen könnte. Weismann aber stellt die Struktur des Keimplasmas so ausführlich und genau dar, als wäre sie etwas bewiesenes oder beweisbares, und macht sie, seitdeni er sie gefunden hat, zum Mittelpunkt seiner Weilern Untersuchungen, obwohl sie niemals durch Experi¬ mente weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Denn in welchen Mengen¬ verhältnissen Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff in jeder organischen Ver¬ bindung vorkommen, das kann zwar durch ein Experiment festgestellt und damit kann bewiesen werden, ob sich ein Chemiker in seinen Berechnungen geirrt hat oder nicht, aber durch welches Experiment sollen die Iden, Deter¬ minanten und Biophoren und ihre Verrichtungen in dem von ihnen neu auf¬ zubauenden Leibe nachgewiesen werden? Sodann: wie ist die Geschlechtlichkeit selbst entstanden, ohne die nach Weismann der Selektionsprozeß nicht hätte anfangen können? „Vermutungen ließen sich darüber wohl aufstellen," meint er a. a. O. S. 44. Gewiß, aber alle Vermutungen werden die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, daß die Entstehung geschlechtlicher Wesen ein ebenso unbegreifliches Wunder ist wie die Entstehung der ersten Zelle, die rin der Herstellung organischer Stoffe in der Retorte noch lange nicht gegeben ist. Man denke sich, schreibt ein andrer Darwinianer, „um die Kluft zwischen Dr. Eugen Droher, Der Darwinismus und seine Konsequenzen, S, 75.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/614>, abgerufen am 23.07.2024.