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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

reichen Fälle von NichtVererbung erworbner Eigenschaften bestimmt, mit andern
Darwinianern den Glauben an solche Vererbung verloren und nahm an, daß
die Eltern immer und überall nur das vererbten, was sie selbst geerbt Hütten.
Das Keimplasma geht also durch die ganze Ahnenreihe hindurch, und jedes
Individuum, durch das es seinen Weg nimmt, stellt eine Variation des Stamm-
Wesens dar, die ihre besondern, auf das nächste Glied nicht übertragbaren
Eigentümlichkeiten hat; das Keimplasma ist einer Schnur vergleichbar, an der
die unter sich verschiednen Ahnen oder Nachkommen aufgereiht sind. Aber
auf diesem seinem Wege durch Millionen von Geschlechtern bleibt das Keim¬
plasma doch nicht unverändert, es wird immer zusammengesetzter, indem jeder
Vater und jede Mutter zu dem schon überkommenen einen neuen Beitrag
liefern. Einen solchen Beitrag nennt Weismann einen Id. Im Eltern können
durch Färbung Stäbchen sichtbar gemacht werden, die das letzte sind, was mit
dem Mikroskop der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden kann.
Weil Weismann annimmt, daß jedes dieser "Chromatinstäbchen" aus Iden
zusammengesetzt ist, so nennt er sie Idanten. Die Ite läßt er wieder aus
Determinanten, diese aus Biophoren bestehen, die den Minen,u1g.ö Darwins
entsprechen, indem sie gleich diesen dafür sorgen, daß sich im Leibe des Kindes
an der richtigen Stelle die richtigen Zellen bilden. Die Biophoren bestehen
dann schließlich aus Atomen.

Durch die Geschlechtlichkeit ist für die Abändernngsfähigkeit, also auch
für die Anpassungsfähigkeit der Individuen gesorgt. Die "sexuelle oder
mnphigone" Fortpflanzung, schreibt Weismann ("Die Bedeutung der sexuellen
Fortpflanzung für die Selektionstheorie" S. 28 ff.), "beruht bekanntlich auf
der Verschmelzung zweier gegensätzlichen Keimzellen oder vielleicht auch nur
ihrer Kerne; diese Keimzellen enthalten die Keimsubstanz, das Keimplasma,
und dieses wiederum ist vermöge seiner spezifischen Molekularstruktnr der
Träger der Vererbungstendenzen des Organismus, von welchem die Keimzelle
herstammt. Es werden also bei der amphigonen Fortpflanzung zwei Ver¬
erbungstendenzen gewissermaßen mit einander gemischt. In dieser Vermischung
sehe ich die Ursache der erblichen individuellen Charaktere und in der Her¬
stellung dieser Charaktere die Aufgabe der amphigonen Fortpflanzung. Sie
hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen
Selektion neue Arten hervorbringt." Pflanzten sich die Wesen eingeschlechtig
fort, führt er weiter aus, so würden Vater oder Mutter und Kind einander
vollkommen gleich sein; es könnten niemals Verschiedenheiten entstehen, es
könnte also auch keine Auslese aus Verschiednem getroffen werden, könnten
demnach keine neuen Arten entstehen. Anders bei der sexuellen Fortpflanzung:
"Sobald hier ein Anfang individueller Verschiedenheit gegeben ist, so kann nie
wieder Gleichheit der Individuen eintreten, ja die Verschiedenheiten müssen sich
sogar im Laufe der Generationen steigern." Der Nachkomme des ersten Eltern-


vom Neudarwinismus

reichen Fälle von NichtVererbung erworbner Eigenschaften bestimmt, mit andern
Darwinianern den Glauben an solche Vererbung verloren und nahm an, daß
die Eltern immer und überall nur das vererbten, was sie selbst geerbt Hütten.
Das Keimplasma geht also durch die ganze Ahnenreihe hindurch, und jedes
Individuum, durch das es seinen Weg nimmt, stellt eine Variation des Stamm-
Wesens dar, die ihre besondern, auf das nächste Glied nicht übertragbaren
Eigentümlichkeiten hat; das Keimplasma ist einer Schnur vergleichbar, an der
die unter sich verschiednen Ahnen oder Nachkommen aufgereiht sind. Aber
auf diesem seinem Wege durch Millionen von Geschlechtern bleibt das Keim¬
plasma doch nicht unverändert, es wird immer zusammengesetzter, indem jeder
Vater und jede Mutter zu dem schon überkommenen einen neuen Beitrag
liefern. Einen solchen Beitrag nennt Weismann einen Id. Im Eltern können
durch Färbung Stäbchen sichtbar gemacht werden, die das letzte sind, was mit
dem Mikroskop der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden kann.
Weil Weismann annimmt, daß jedes dieser „Chromatinstäbchen" aus Iden
zusammengesetzt ist, so nennt er sie Idanten. Die Ite läßt er wieder aus
Determinanten, diese aus Biophoren bestehen, die den Minen,u1g.ö Darwins
entsprechen, indem sie gleich diesen dafür sorgen, daß sich im Leibe des Kindes
an der richtigen Stelle die richtigen Zellen bilden. Die Biophoren bestehen
dann schließlich aus Atomen.

Durch die Geschlechtlichkeit ist für die Abändernngsfähigkeit, also auch
für die Anpassungsfähigkeit der Individuen gesorgt. Die „sexuelle oder
mnphigone" Fortpflanzung, schreibt Weismann („Die Bedeutung der sexuellen
Fortpflanzung für die Selektionstheorie" S. 28 ff.), „beruht bekanntlich auf
der Verschmelzung zweier gegensätzlichen Keimzellen oder vielleicht auch nur
ihrer Kerne; diese Keimzellen enthalten die Keimsubstanz, das Keimplasma,
und dieses wiederum ist vermöge seiner spezifischen Molekularstruktnr der
Träger der Vererbungstendenzen des Organismus, von welchem die Keimzelle
herstammt. Es werden also bei der amphigonen Fortpflanzung zwei Ver¬
erbungstendenzen gewissermaßen mit einander gemischt. In dieser Vermischung
sehe ich die Ursache der erblichen individuellen Charaktere und in der Her¬
stellung dieser Charaktere die Aufgabe der amphigonen Fortpflanzung. Sie
hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen
Selektion neue Arten hervorbringt." Pflanzten sich die Wesen eingeschlechtig
fort, führt er weiter aus, so würden Vater oder Mutter und Kind einander
vollkommen gleich sein; es könnten niemals Verschiedenheiten entstehen, es
könnte also auch keine Auslese aus Verschiednem getroffen werden, könnten
demnach keine neuen Arten entstehen. Anders bei der sexuellen Fortpflanzung:
„Sobald hier ein Anfang individueller Verschiedenheit gegeben ist, so kann nie
wieder Gleichheit der Individuen eintreten, ja die Verschiedenheiten müssen sich
sogar im Laufe der Generationen steigern." Der Nachkomme des ersten Eltern-


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[0613] vom Neudarwinismus reichen Fälle von NichtVererbung erworbner Eigenschaften bestimmt, mit andern Darwinianern den Glauben an solche Vererbung verloren und nahm an, daß die Eltern immer und überall nur das vererbten, was sie selbst geerbt Hütten. Das Keimplasma geht also durch die ganze Ahnenreihe hindurch, und jedes Individuum, durch das es seinen Weg nimmt, stellt eine Variation des Stamm- Wesens dar, die ihre besondern, auf das nächste Glied nicht übertragbaren Eigentümlichkeiten hat; das Keimplasma ist einer Schnur vergleichbar, an der die unter sich verschiednen Ahnen oder Nachkommen aufgereiht sind. Aber auf diesem seinem Wege durch Millionen von Geschlechtern bleibt das Keim¬ plasma doch nicht unverändert, es wird immer zusammengesetzter, indem jeder Vater und jede Mutter zu dem schon überkommenen einen neuen Beitrag liefern. Einen solchen Beitrag nennt Weismann einen Id. Im Eltern können durch Färbung Stäbchen sichtbar gemacht werden, die das letzte sind, was mit dem Mikroskop der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich gemacht werden kann. Weil Weismann annimmt, daß jedes dieser „Chromatinstäbchen" aus Iden zusammengesetzt ist, so nennt er sie Idanten. Die Ite läßt er wieder aus Determinanten, diese aus Biophoren bestehen, die den Minen,u1g.ö Darwins entsprechen, indem sie gleich diesen dafür sorgen, daß sich im Leibe des Kindes an der richtigen Stelle die richtigen Zellen bilden. Die Biophoren bestehen dann schließlich aus Atomen. Durch die Geschlechtlichkeit ist für die Abändernngsfähigkeit, also auch für die Anpassungsfähigkeit der Individuen gesorgt. Die „sexuelle oder mnphigone" Fortpflanzung, schreibt Weismann („Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektionstheorie" S. 28 ff.), „beruht bekanntlich auf der Verschmelzung zweier gegensätzlichen Keimzellen oder vielleicht auch nur ihrer Kerne; diese Keimzellen enthalten die Keimsubstanz, das Keimplasma, und dieses wiederum ist vermöge seiner spezifischen Molekularstruktnr der Träger der Vererbungstendenzen des Organismus, von welchem die Keimzelle herstammt. Es werden also bei der amphigonen Fortpflanzung zwei Ver¬ erbungstendenzen gewissermaßen mit einander gemischt. In dieser Vermischung sehe ich die Ursache der erblichen individuellen Charaktere und in der Her¬ stellung dieser Charaktere die Aufgabe der amphigonen Fortpflanzung. Sie hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittels dessen Selektion neue Arten hervorbringt." Pflanzten sich die Wesen eingeschlechtig fort, führt er weiter aus, so würden Vater oder Mutter und Kind einander vollkommen gleich sein; es könnten niemals Verschiedenheiten entstehen, es könnte also auch keine Auslese aus Verschiednem getroffen werden, könnten demnach keine neuen Arten entstehen. Anders bei der sexuellen Fortpflanzung: „Sobald hier ein Anfang individueller Verschiedenheit gegeben ist, so kann nie wieder Gleichheit der Individuen eintreten, ja die Verschiedenheiten müssen sich sogar im Laufe der Generationen steigern." Der Nachkomme des ersten Eltern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/613>, abgerufen am 23.07.2024.