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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Schwund des Ehrgefühls

scheinung werfen, nämlich auf die Art, wie von vielen die Frauenfrage auf¬
gefaßt und im Parteiinteresse ausgebeutet wird. Die Frage ist brennend ge¬
worden, ihre Lösung ist ungemein wichtig, aber daß man sich in gewissen
Kreisen bemüht, wie in andern Dingen so auch hier nur an die niedern
Instinkte zu appelliren, giebt einen neuen Beweis der Verrohung unsrer Zeit.
Die Auffassung des vornehmen Mannes war bisher die, die Keuschheit der
Frau als ein edles, der Hochachtung würdiges sittliches Gut der Frau zu
betrachten. Man war gewohnt, die Ehre der Frau in der Hauptsache in
der Erhaltung ihrer sittlichen Makellosigkeit zu suchen und zu finden, man
dachte darüber sehr streng und unduldsam. Ein gesundes Empfinden sagte
jedem, daß Frauenehre ein unersetzliches Gut sei, von dessen Makellosigkeit die
Zukunft unsers Volkes mit entschieden werde. Frauen, die hierin keinen Spaß
verstehen, pflegen Söhne zu erziehen, die wirklich Achtung vor der Tugend
haben, die in ihrer Mutter verkörpert sehen, was sie durch das ganze Leben
als höchstes Beispiel der Reinheit begleitet. Auch hier hat man verstanden
zu verpöbeln, man ist so weit gegangen, sittliche Reinheit des Mädchens,
wenn nicht gerade als Dummheit, so doch als Unnatur hinzustellen, als eine
Verzichtleistung auf allgemeine Menschenrechte, und der Frau in der "freien
Liebe" und ähnlichen zuchtgeuossenschaftlichen Einrichtungen freies Feld für
niedrige Triebe zu schaffen. Man möchte sie gar zu gern den Männern gleich¬
stellen, nicht in der Höhe, wohl aber in der Tiefe. Statt ausschließlich dahin
zu wirken oder den Versuch zu machen, die Frau so zu stützen und zu heben,
daß sie sittlich und geistig mit tüchtigen Männern Hand in Hand auf gleicher
Höhe einherschreiten kann, hat man das Bestreben, sie auf das Niveau der
Durchschnittsliederlichkeit herabzuziehen.

Mannesmut, Vaterlandsliebe, die Pflicht, mit der Waffe zu dienen,
Heldenmut deutscher Seeleute, feines Ehrgefühl, Keuschheit des Weibes,
das alles sind überwundne Begriffe für die modernste Weltanschauung.
Hinunter damit, in den Schmutz hinein! Mit Männern und Frauen, die noch
an solchen Dingen festhalten, sich sogar dafür begeistern, läßt sich kein Zukunfts¬
programm durchführen. Wenn erst alle alles verachten, was uns und unsern
Bädern heilig war, erst dann ist die Saat reif zum Schneiden. Nur wird der
Schnitter Spreu statt Weizen finden, und das neue Paradies, das dann entstehen
soll, wird das Paradies der Kraftlosigkeit, der Charakterlosigkeit, der Lumperei
sein. Alles wird auf gleicher Tiefe kriechen, statt ans gleicher Höhe zu
schreiten.


L. Llausen


Der Schwund des Ehrgefühls

scheinung werfen, nämlich auf die Art, wie von vielen die Frauenfrage auf¬
gefaßt und im Parteiinteresse ausgebeutet wird. Die Frage ist brennend ge¬
worden, ihre Lösung ist ungemein wichtig, aber daß man sich in gewissen
Kreisen bemüht, wie in andern Dingen so auch hier nur an die niedern
Instinkte zu appelliren, giebt einen neuen Beweis der Verrohung unsrer Zeit.
Die Auffassung des vornehmen Mannes war bisher die, die Keuschheit der
Frau als ein edles, der Hochachtung würdiges sittliches Gut der Frau zu
betrachten. Man war gewohnt, die Ehre der Frau in der Hauptsache in
der Erhaltung ihrer sittlichen Makellosigkeit zu suchen und zu finden, man
dachte darüber sehr streng und unduldsam. Ein gesundes Empfinden sagte
jedem, daß Frauenehre ein unersetzliches Gut sei, von dessen Makellosigkeit die
Zukunft unsers Volkes mit entschieden werde. Frauen, die hierin keinen Spaß
verstehen, pflegen Söhne zu erziehen, die wirklich Achtung vor der Tugend
haben, die in ihrer Mutter verkörpert sehen, was sie durch das ganze Leben
als höchstes Beispiel der Reinheit begleitet. Auch hier hat man verstanden
zu verpöbeln, man ist so weit gegangen, sittliche Reinheit des Mädchens,
wenn nicht gerade als Dummheit, so doch als Unnatur hinzustellen, als eine
Verzichtleistung auf allgemeine Menschenrechte, und der Frau in der „freien
Liebe" und ähnlichen zuchtgeuossenschaftlichen Einrichtungen freies Feld für
niedrige Triebe zu schaffen. Man möchte sie gar zu gern den Männern gleich¬
stellen, nicht in der Höhe, wohl aber in der Tiefe. Statt ausschließlich dahin
zu wirken oder den Versuch zu machen, die Frau so zu stützen und zu heben,
daß sie sittlich und geistig mit tüchtigen Männern Hand in Hand auf gleicher
Höhe einherschreiten kann, hat man das Bestreben, sie auf das Niveau der
Durchschnittsliederlichkeit herabzuziehen.

Mannesmut, Vaterlandsliebe, die Pflicht, mit der Waffe zu dienen,
Heldenmut deutscher Seeleute, feines Ehrgefühl, Keuschheit des Weibes,
das alles sind überwundne Begriffe für die modernste Weltanschauung.
Hinunter damit, in den Schmutz hinein! Mit Männern und Frauen, die noch
an solchen Dingen festhalten, sich sogar dafür begeistern, läßt sich kein Zukunfts¬
programm durchführen. Wenn erst alle alles verachten, was uns und unsern
Bädern heilig war, erst dann ist die Saat reif zum Schneiden. Nur wird der
Schnitter Spreu statt Weizen finden, und das neue Paradies, das dann entstehen
soll, wird das Paradies der Kraftlosigkeit, der Charakterlosigkeit, der Lumperei
sein. Alles wird auf gleicher Tiefe kriechen, statt ans gleicher Höhe zu
schreiten.


L. Llausen


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[0611] Der Schwund des Ehrgefühls scheinung werfen, nämlich auf die Art, wie von vielen die Frauenfrage auf¬ gefaßt und im Parteiinteresse ausgebeutet wird. Die Frage ist brennend ge¬ worden, ihre Lösung ist ungemein wichtig, aber daß man sich in gewissen Kreisen bemüht, wie in andern Dingen so auch hier nur an die niedern Instinkte zu appelliren, giebt einen neuen Beweis der Verrohung unsrer Zeit. Die Auffassung des vornehmen Mannes war bisher die, die Keuschheit der Frau als ein edles, der Hochachtung würdiges sittliches Gut der Frau zu betrachten. Man war gewohnt, die Ehre der Frau in der Hauptsache in der Erhaltung ihrer sittlichen Makellosigkeit zu suchen und zu finden, man dachte darüber sehr streng und unduldsam. Ein gesundes Empfinden sagte jedem, daß Frauenehre ein unersetzliches Gut sei, von dessen Makellosigkeit die Zukunft unsers Volkes mit entschieden werde. Frauen, die hierin keinen Spaß verstehen, pflegen Söhne zu erziehen, die wirklich Achtung vor der Tugend haben, die in ihrer Mutter verkörpert sehen, was sie durch das ganze Leben als höchstes Beispiel der Reinheit begleitet. Auch hier hat man verstanden zu verpöbeln, man ist so weit gegangen, sittliche Reinheit des Mädchens, wenn nicht gerade als Dummheit, so doch als Unnatur hinzustellen, als eine Verzichtleistung auf allgemeine Menschenrechte, und der Frau in der „freien Liebe" und ähnlichen zuchtgeuossenschaftlichen Einrichtungen freies Feld für niedrige Triebe zu schaffen. Man möchte sie gar zu gern den Männern gleich¬ stellen, nicht in der Höhe, wohl aber in der Tiefe. Statt ausschließlich dahin zu wirken oder den Versuch zu machen, die Frau so zu stützen und zu heben, daß sie sittlich und geistig mit tüchtigen Männern Hand in Hand auf gleicher Höhe einherschreiten kann, hat man das Bestreben, sie auf das Niveau der Durchschnittsliederlichkeit herabzuziehen. Mannesmut, Vaterlandsliebe, die Pflicht, mit der Waffe zu dienen, Heldenmut deutscher Seeleute, feines Ehrgefühl, Keuschheit des Weibes, das alles sind überwundne Begriffe für die modernste Weltanschauung. Hinunter damit, in den Schmutz hinein! Mit Männern und Frauen, die noch an solchen Dingen festhalten, sich sogar dafür begeistern, läßt sich kein Zukunfts¬ programm durchführen. Wenn erst alle alles verachten, was uns und unsern Bädern heilig war, erst dann ist die Saat reif zum Schneiden. Nur wird der Schnitter Spreu statt Weizen finden, und das neue Paradies, das dann entstehen soll, wird das Paradies der Kraftlosigkeit, der Charakterlosigkeit, der Lumperei sein. Alles wird auf gleicher Tiefe kriechen, statt ans gleicher Höhe zu schreiten. L. Llausen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/611>, abgerufen am 23.07.2024.