Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ver Schwund des Ehrgefühls

Die Verkündigung des Ideals der Vciterlandslosigkeit -- was ich nicht
schützen will, besitze ich nicht --, diese Kaninchen- und Spatzenweltanschauung
wäre ein leeres Wort, ein Hauch, den der Wind verweht, wenn ihr nicht
tausende von kleinen Ködern lustig zubellten und wacker Wauwau machten,
was in der Hundesprache "Bravo, bravo" heißt. Wer will ihnen beweisen,
daß sie nicht die Träger idealer Zukunftsgedanken sind?

Wie tief sich eine derartige Auffassung bereits in das verlogne Bewußt¬
sein breiter Massen hineingedrückt hat, und wie schwach im allgemeinen das
Ehrgefühl des Volkes geworden ist, dafür bieten Vorkommnisse unsrer Tage
die Belege. Ich will nur das krasseste Beispiel benutzen.

Deutsche Teerjacken, brave Kerle gingen, als sie einsahen, daß ihr Leben
verloren sei, mit einem Hurra auf König und Vaterland in den nassen Tod.
Für jeden Menschen, der sich noch eine Spur von Stolz und Ehrgefühl be¬
wahrt hat, liegt etwas erhebend Heroenhaftes in dem Thun von Männern,
die, den sichern Tod vor Augen, in einer Minute, wo jede Pose, jede Phrase
vor dem Ernst des sichern Todes verblaßt, den letzten Atemzug benutzen, um
wie Helden, ihrem besten und heiligsten Gefühl Ausdruck gebend, zu sterben.
Wer ein Mann ist und von solchen Thaten hört, der fühlt, wie ihm Be¬
geisterung die Brust hebt, der spürt jenes Zusammenschnüren der Kehle,
wie es nur das Miterleben großer Thaten verursacht. Fremde Völker, die
uns feindlich gesinnt sind, vergaßen gegenüber solcher Mannesthat alle Feind¬
seligkeit und fanden für das Heldentum jener Männer warme Worte der
Anerkennung, ja Rufe der Bewunderung. Noch waren die Gemüter hierüber
erregt, da stellt sich ein Mann, ein Deutscher, in einer öffentlichen Versamm¬
lung hin und findet Worte des Tadels, der Kritik (ich wähle absichtlich so
milde Ausdrücke) für das Verhalten jener deutschen Seeleute und ihres Kom¬
mandanten. Jener Redner hielt seine Rede an Gesinnungsgenossen, aber doch
öffentlich, sie erschien in allen Zeitungen. Jeder weiß, daß bei einem Mann
ohne moralischen Mut, bei einem Schwächling angesichts des unvermeidlichen
Todes der Selbsterhaltungstrieb in seiner niedrigsten Form zum Ausdruck
kommt, d. h. er beginnt zu winseln, zu heulen und macht kindische, thörichte
Versuche zur Rettung, von denen ihm doch sein Verstand sagen muß, daß sie
nutzlos sind. Ein wirklicher Mann kreuzt die Arme und bemüht sich, vornehm
zu sterben. Man durfte also gespannt sei", wie die anwesenden Zuhörer und
vor allem wie das deutsche Volk jenen Tadel aufnehmen würde; man hätte
meinen sollen, daß sich jener Redner nur noch von Sicherheitsbeamten beschützt
vor dem Toben des Volksgefühls würde retten können. Aber siehe da, es
geschah nichts. Gewiß, jene Schmährede war an sich geringfügig; aber an
der Art, wie ein Volk solche Verletzungen seines Gefühls aufnimmt, erkennt
man den Pulsschlag seines Blutes, und wer bei dieser Gelegenheit dem deutscheu
Volke an den Puls fühlte, konnte nur hochgradige Blutarmut beobachten.


Ver Schwund des Ehrgefühls

Die Verkündigung des Ideals der Vciterlandslosigkeit — was ich nicht
schützen will, besitze ich nicht —, diese Kaninchen- und Spatzenweltanschauung
wäre ein leeres Wort, ein Hauch, den der Wind verweht, wenn ihr nicht
tausende von kleinen Ködern lustig zubellten und wacker Wauwau machten,
was in der Hundesprache „Bravo, bravo" heißt. Wer will ihnen beweisen,
daß sie nicht die Träger idealer Zukunftsgedanken sind?

Wie tief sich eine derartige Auffassung bereits in das verlogne Bewußt¬
sein breiter Massen hineingedrückt hat, und wie schwach im allgemeinen das
Ehrgefühl des Volkes geworden ist, dafür bieten Vorkommnisse unsrer Tage
die Belege. Ich will nur das krasseste Beispiel benutzen.

Deutsche Teerjacken, brave Kerle gingen, als sie einsahen, daß ihr Leben
verloren sei, mit einem Hurra auf König und Vaterland in den nassen Tod.
Für jeden Menschen, der sich noch eine Spur von Stolz und Ehrgefühl be¬
wahrt hat, liegt etwas erhebend Heroenhaftes in dem Thun von Männern,
die, den sichern Tod vor Augen, in einer Minute, wo jede Pose, jede Phrase
vor dem Ernst des sichern Todes verblaßt, den letzten Atemzug benutzen, um
wie Helden, ihrem besten und heiligsten Gefühl Ausdruck gebend, zu sterben.
Wer ein Mann ist und von solchen Thaten hört, der fühlt, wie ihm Be¬
geisterung die Brust hebt, der spürt jenes Zusammenschnüren der Kehle,
wie es nur das Miterleben großer Thaten verursacht. Fremde Völker, die
uns feindlich gesinnt sind, vergaßen gegenüber solcher Mannesthat alle Feind¬
seligkeit und fanden für das Heldentum jener Männer warme Worte der
Anerkennung, ja Rufe der Bewunderung. Noch waren die Gemüter hierüber
erregt, da stellt sich ein Mann, ein Deutscher, in einer öffentlichen Versamm¬
lung hin und findet Worte des Tadels, der Kritik (ich wähle absichtlich so
milde Ausdrücke) für das Verhalten jener deutschen Seeleute und ihres Kom¬
mandanten. Jener Redner hielt seine Rede an Gesinnungsgenossen, aber doch
öffentlich, sie erschien in allen Zeitungen. Jeder weiß, daß bei einem Mann
ohne moralischen Mut, bei einem Schwächling angesichts des unvermeidlichen
Todes der Selbsterhaltungstrieb in seiner niedrigsten Form zum Ausdruck
kommt, d. h. er beginnt zu winseln, zu heulen und macht kindische, thörichte
Versuche zur Rettung, von denen ihm doch sein Verstand sagen muß, daß sie
nutzlos sind. Ein wirklicher Mann kreuzt die Arme und bemüht sich, vornehm
zu sterben. Man durfte also gespannt sei», wie die anwesenden Zuhörer und
vor allem wie das deutsche Volk jenen Tadel aufnehmen würde; man hätte
meinen sollen, daß sich jener Redner nur noch von Sicherheitsbeamten beschützt
vor dem Toben des Volksgefühls würde retten können. Aber siehe da, es
geschah nichts. Gewiß, jene Schmährede war an sich geringfügig; aber an
der Art, wie ein Volk solche Verletzungen seines Gefühls aufnimmt, erkennt
man den Pulsschlag seines Blutes, und wer bei dieser Gelegenheit dem deutscheu
Volke an den Puls fühlte, konnte nur hochgradige Blutarmut beobachten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225534"/>
          <fw type="header" place="top"> Ver Schwund des Ehrgefühls</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1903"> Die Verkündigung des Ideals der Vciterlandslosigkeit &#x2014; was ich nicht<lb/>
schützen will, besitze ich nicht &#x2014;, diese Kaninchen- und Spatzenweltanschauung<lb/>
wäre ein leeres Wort, ein Hauch, den der Wind verweht, wenn ihr nicht<lb/>
tausende von kleinen Ködern lustig zubellten und wacker Wauwau machten,<lb/>
was in der Hundesprache &#x201E;Bravo, bravo" heißt. Wer will ihnen beweisen,<lb/>
daß sie nicht die Träger idealer Zukunftsgedanken sind?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1904"> Wie tief sich eine derartige Auffassung bereits in das verlogne Bewußt¬<lb/>
sein breiter Massen hineingedrückt hat, und wie schwach im allgemeinen das<lb/>
Ehrgefühl des Volkes geworden ist, dafür bieten Vorkommnisse unsrer Tage<lb/>
die Belege.  Ich will nur das krasseste Beispiel benutzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1905" next="#ID_1906"> Deutsche Teerjacken, brave Kerle gingen, als sie einsahen, daß ihr Leben<lb/>
verloren sei, mit einem Hurra auf König und Vaterland in den nassen Tod.<lb/>
Für jeden Menschen, der sich noch eine Spur von Stolz und Ehrgefühl be¬<lb/>
wahrt hat, liegt etwas erhebend Heroenhaftes in dem Thun von Männern,<lb/>
die, den sichern Tod vor Augen, in einer Minute, wo jede Pose, jede Phrase<lb/>
vor dem Ernst des sichern Todes verblaßt, den letzten Atemzug benutzen, um<lb/>
wie Helden, ihrem besten und heiligsten Gefühl Ausdruck gebend, zu sterben.<lb/>
Wer ein Mann ist und von solchen Thaten hört, der fühlt, wie ihm Be¬<lb/>
geisterung die Brust hebt, der spürt jenes Zusammenschnüren der Kehle,<lb/>
wie es nur das Miterleben großer Thaten verursacht. Fremde Völker, die<lb/>
uns feindlich gesinnt sind, vergaßen gegenüber solcher Mannesthat alle Feind¬<lb/>
seligkeit und fanden für das Heldentum jener Männer warme Worte der<lb/>
Anerkennung, ja Rufe der Bewunderung. Noch waren die Gemüter hierüber<lb/>
erregt, da stellt sich ein Mann, ein Deutscher, in einer öffentlichen Versamm¬<lb/>
lung hin und findet Worte des Tadels, der Kritik (ich wähle absichtlich so<lb/>
milde Ausdrücke) für das Verhalten jener deutschen Seeleute und ihres Kom¬<lb/>
mandanten. Jener Redner hielt seine Rede an Gesinnungsgenossen, aber doch<lb/>
öffentlich, sie erschien in allen Zeitungen. Jeder weiß, daß bei einem Mann<lb/>
ohne moralischen Mut, bei einem Schwächling angesichts des unvermeidlichen<lb/>
Todes der Selbsterhaltungstrieb in seiner niedrigsten Form zum Ausdruck<lb/>
kommt, d. h. er beginnt zu winseln, zu heulen und macht kindische, thörichte<lb/>
Versuche zur Rettung, von denen ihm doch sein Verstand sagen muß, daß sie<lb/>
nutzlos sind. Ein wirklicher Mann kreuzt die Arme und bemüht sich, vornehm<lb/>
zu sterben. Man durfte also gespannt sei», wie die anwesenden Zuhörer und<lb/>
vor allem wie das deutsche Volk jenen Tadel aufnehmen würde; man hätte<lb/>
meinen sollen, daß sich jener Redner nur noch von Sicherheitsbeamten beschützt<lb/>
vor dem Toben des Volksgefühls würde retten können. Aber siehe da, es<lb/>
geschah nichts. Gewiß, jene Schmährede war an sich geringfügig; aber an<lb/>
der Art, wie ein Volk solche Verletzungen seines Gefühls aufnimmt, erkennt<lb/>
man den Pulsschlag seines Blutes, und wer bei dieser Gelegenheit dem deutscheu<lb/>
Volke an den Puls fühlte, konnte nur hochgradige Blutarmut beobachten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0606] Ver Schwund des Ehrgefühls Die Verkündigung des Ideals der Vciterlandslosigkeit — was ich nicht schützen will, besitze ich nicht —, diese Kaninchen- und Spatzenweltanschauung wäre ein leeres Wort, ein Hauch, den der Wind verweht, wenn ihr nicht tausende von kleinen Ködern lustig zubellten und wacker Wauwau machten, was in der Hundesprache „Bravo, bravo" heißt. Wer will ihnen beweisen, daß sie nicht die Träger idealer Zukunftsgedanken sind? Wie tief sich eine derartige Auffassung bereits in das verlogne Bewußt¬ sein breiter Massen hineingedrückt hat, und wie schwach im allgemeinen das Ehrgefühl des Volkes geworden ist, dafür bieten Vorkommnisse unsrer Tage die Belege. Ich will nur das krasseste Beispiel benutzen. Deutsche Teerjacken, brave Kerle gingen, als sie einsahen, daß ihr Leben verloren sei, mit einem Hurra auf König und Vaterland in den nassen Tod. Für jeden Menschen, der sich noch eine Spur von Stolz und Ehrgefühl be¬ wahrt hat, liegt etwas erhebend Heroenhaftes in dem Thun von Männern, die, den sichern Tod vor Augen, in einer Minute, wo jede Pose, jede Phrase vor dem Ernst des sichern Todes verblaßt, den letzten Atemzug benutzen, um wie Helden, ihrem besten und heiligsten Gefühl Ausdruck gebend, zu sterben. Wer ein Mann ist und von solchen Thaten hört, der fühlt, wie ihm Be¬ geisterung die Brust hebt, der spürt jenes Zusammenschnüren der Kehle, wie es nur das Miterleben großer Thaten verursacht. Fremde Völker, die uns feindlich gesinnt sind, vergaßen gegenüber solcher Mannesthat alle Feind¬ seligkeit und fanden für das Heldentum jener Männer warme Worte der Anerkennung, ja Rufe der Bewunderung. Noch waren die Gemüter hierüber erregt, da stellt sich ein Mann, ein Deutscher, in einer öffentlichen Versamm¬ lung hin und findet Worte des Tadels, der Kritik (ich wähle absichtlich so milde Ausdrücke) für das Verhalten jener deutschen Seeleute und ihres Kom¬ mandanten. Jener Redner hielt seine Rede an Gesinnungsgenossen, aber doch öffentlich, sie erschien in allen Zeitungen. Jeder weiß, daß bei einem Mann ohne moralischen Mut, bei einem Schwächling angesichts des unvermeidlichen Todes der Selbsterhaltungstrieb in seiner niedrigsten Form zum Ausdruck kommt, d. h. er beginnt zu winseln, zu heulen und macht kindische, thörichte Versuche zur Rettung, von denen ihm doch sein Verstand sagen muß, daß sie nutzlos sind. Ein wirklicher Mann kreuzt die Arme und bemüht sich, vornehm zu sterben. Man durfte also gespannt sei», wie die anwesenden Zuhörer und vor allem wie das deutsche Volk jenen Tadel aufnehmen würde; man hätte meinen sollen, daß sich jener Redner nur noch von Sicherheitsbeamten beschützt vor dem Toben des Volksgefühls würde retten können. Aber siehe da, es geschah nichts. Gewiß, jene Schmährede war an sich geringfügig; aber an der Art, wie ein Volk solche Verletzungen seines Gefühls aufnimmt, erkennt man den Pulsschlag seines Blutes, und wer bei dieser Gelegenheit dem deutscheu Volke an den Puls fühlte, konnte nur hochgradige Blutarmut beobachten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/606
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/606>, abgerufen am 23.07.2024.