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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst

schreibt er ausführlich den dreibeinigen Bock, an dem ein Flaschenzug aufge¬
hängt wurde; die Theorie des Flaschenzugs ist ihm fremd; welche Lasten ge¬
hoben werden können und in welcher Zeit und mit wieviel Hilfskräften, wird
mit keinem Worte erwähnt. Der Bock soll namentlich beim Tempelbau an¬
gewandt worden sein. Es läßt sich anch recht wohl denken, daß mit einem solchen
Hebewerkzeug die einzelnen Trommeln der Säulen gehoben und aufeinander
gesetzt und darüber die Architrave gehoben und gelegt worden sind. Vitruv
beschreibt auch Wasserhebemaschinen; über ihre Leistungsfähigkeit weiß er aber
nichts weiter zu sagen, als daß mit dem Wasserrade nur geringe Wassermengen,
aber bis zu größerer Höhe, mit der Wasserschnecke größere Mengen, aber bis
zu geringerer Hohe gehoben werden könnten. Er gedenkt ferner der Spring¬
brunnen als einer Erfindung des Ktesibios; sie dienten nur dem Vergnügen,
und ihre Anlage war nicht schwer, wenn man den Wasserdruck aus höher ge¬
legnen Bassins benutzte und das Wasser durch Röhren in tiefer gelegne Gärten
leitete, wo es dann unter dem Druck der höhern Wassersäule heraussprudelte.
Über das Gesetz des Wasserdrucks ist Vitruv schwerlich im klaren gewesen.
Etwas eingehender wird er in Bezug auf die Mathematik, wo er die Ballisten
beschreibt. Diese werden zwar ans sehr verschiedne Weisen in Bewegung ge¬
setzt, durch Hebel, Winden, Flaschenzüge und dergleichen, aber keine wird anders
gebaut als im Verhältnis zu dem Gewicht des Steins, der geworfen werden
soll; und dazu muß man Geometrie verstehen und multipliziren können. Damit
nun aber die Artilleristen, die nicht Geometrie verstehen, in der Hitze des Ge¬
fechts nicht durch allzu vieles Nachdenken an der Bedienung der Maschine ge¬
hindert werden, giebt er eine Dienstanweisung, in der gesagt wird, für welche
Öffnungen Steine von verschiednen Gewicht passen: sür Steine von zwei
Pfund Gewicht soll die Offnung fünf Zoll, für solche von vier Pfund sechs
Zoll groß sein usw. Für Steine von zweihnndertundzehn Pfund ist eine Öff¬
nung von zwei Fuß sieben Zoll erforderlich. Auf welche Entfernungen diese
Steine geschleudert werden können, wird nirgends gesagt. Im übrigen ent¬
hält die schwer verständliche Beschreibung doch nur sehr primitive Mathematik,
wenn auch der Verfasser am Schlüsse sagt, er habe so viel über den Gegen¬
stand gesprochen, wie er vermöge. Aber so naiv es klingen mag, wenn er in
wohlgefälliger Breite auseinandersetzt, daß die Fundamente breiter sein müssen
als die Mauern, daß Balken in der Mitte unterstützt werden müssen, wenn
sie sich nicht biegen sollen, daß, wenn Säulen übereinander aufgestellt
werden, die ober" um den vierten Teil kleiner sein müssen als die untern,
weil diese die Last der obern zu tragen haben, und dazu noch darauf hinweist,
daß auch die Zweige eines Baumes schwächer seien als der Stamm, so werden
doch auch andrerseits recht sinnreiche Einrichtungen für verschiedne Zwecke an¬
gegeben, so primitiv sie uns auch erscheinen mögen. Um die Länge einer Reise
zu messen, soll man den Umfang eines Wagenrades messen, an dem Rande


Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst

schreibt er ausführlich den dreibeinigen Bock, an dem ein Flaschenzug aufge¬
hängt wurde; die Theorie des Flaschenzugs ist ihm fremd; welche Lasten ge¬
hoben werden können und in welcher Zeit und mit wieviel Hilfskräften, wird
mit keinem Worte erwähnt. Der Bock soll namentlich beim Tempelbau an¬
gewandt worden sein. Es läßt sich anch recht wohl denken, daß mit einem solchen
Hebewerkzeug die einzelnen Trommeln der Säulen gehoben und aufeinander
gesetzt und darüber die Architrave gehoben und gelegt worden sind. Vitruv
beschreibt auch Wasserhebemaschinen; über ihre Leistungsfähigkeit weiß er aber
nichts weiter zu sagen, als daß mit dem Wasserrade nur geringe Wassermengen,
aber bis zu größerer Höhe, mit der Wasserschnecke größere Mengen, aber bis
zu geringerer Hohe gehoben werden könnten. Er gedenkt ferner der Spring¬
brunnen als einer Erfindung des Ktesibios; sie dienten nur dem Vergnügen,
und ihre Anlage war nicht schwer, wenn man den Wasserdruck aus höher ge¬
legnen Bassins benutzte und das Wasser durch Röhren in tiefer gelegne Gärten
leitete, wo es dann unter dem Druck der höhern Wassersäule heraussprudelte.
Über das Gesetz des Wasserdrucks ist Vitruv schwerlich im klaren gewesen.
Etwas eingehender wird er in Bezug auf die Mathematik, wo er die Ballisten
beschreibt. Diese werden zwar ans sehr verschiedne Weisen in Bewegung ge¬
setzt, durch Hebel, Winden, Flaschenzüge und dergleichen, aber keine wird anders
gebaut als im Verhältnis zu dem Gewicht des Steins, der geworfen werden
soll; und dazu muß man Geometrie verstehen und multipliziren können. Damit
nun aber die Artilleristen, die nicht Geometrie verstehen, in der Hitze des Ge¬
fechts nicht durch allzu vieles Nachdenken an der Bedienung der Maschine ge¬
hindert werden, giebt er eine Dienstanweisung, in der gesagt wird, für welche
Öffnungen Steine von verschiednen Gewicht passen: sür Steine von zwei
Pfund Gewicht soll die Offnung fünf Zoll, für solche von vier Pfund sechs
Zoll groß sein usw. Für Steine von zweihnndertundzehn Pfund ist eine Öff¬
nung von zwei Fuß sieben Zoll erforderlich. Auf welche Entfernungen diese
Steine geschleudert werden können, wird nirgends gesagt. Im übrigen ent¬
hält die schwer verständliche Beschreibung doch nur sehr primitive Mathematik,
wenn auch der Verfasser am Schlüsse sagt, er habe so viel über den Gegen¬
stand gesprochen, wie er vermöge. Aber so naiv es klingen mag, wenn er in
wohlgefälliger Breite auseinandersetzt, daß die Fundamente breiter sein müssen
als die Mauern, daß Balken in der Mitte unterstützt werden müssen, wenn
sie sich nicht biegen sollen, daß, wenn Säulen übereinander aufgestellt
werden, die ober« um den vierten Teil kleiner sein müssen als die untern,
weil diese die Last der obern zu tragen haben, und dazu noch darauf hinweist,
daß auch die Zweige eines Baumes schwächer seien als der Stamm, so werden
doch auch andrerseits recht sinnreiche Einrichtungen für verschiedne Zwecke an¬
gegeben, so primitiv sie uns auch erscheinen mögen. Um die Länge einer Reise
zu messen, soll man den Umfang eines Wagenrades messen, an dem Rande


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/582>, abgerufen am 23.07.2024.