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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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I^a ruptui'e

Smolensk oder die Republiken der Tataren wieder ins Leben zu rufen, den
russischen Adel durch den Köder einer Verfassung zu verlocken und das Volk
durch die Aufhebung der Leibeigenschaft; er gedachte das revolutionäre Wort
in die Welt zu schleudern, das einen soziale" Krieg zu seiner Hilfe entzünden
sollte. Endlich beschloß er nichts, weil er das Unausführbare seiner Gedanken
erkannte, versank in eine dumpfe Unthütigkeit, suchte nichts mehr zu denken
und entrann sich selbst dnrch Einbildungen und las Romane." Auf der andern
Seite war die Lage einige Zeit lang nicht minder schwierig: daß "ein Mann
in den Kreml gezogen war ohne die Erlaubnis des Zaren," erschütterte das
russische Volk tief. Zum erstenmal schien es am Zaren und an Gott zu
zweifeln; man erwartete bei Hofe eine Katastrophe; als am 18. September der
Regierungsantritt des Zaren in Petersburg wohl oder übel feierlich begangen
werden mußte, ertönte kein Laut des Zurufs aus der Masse, sodaß man das
Rauschen der seidnen Frnuenkleider auf den Marmorstufen der Kathedrale hören
konnte; man war schließlich froh, als der Tag vorüber war. Aber in dem
Kampf, der zwischen der Furcht, die Napoleon einflößte, und dem Glauben
der Russen an die Gerechtigkeit ihrer Sache ausgefochten ward, siegte der
edlere Teil, die Religion des Vaterlandes, die den Russen vorschrieb, an der
Sache ihres Volkes nicht zu verzweifeln. Vier Wochen später erdröhnten von
der Peter- und Paulsfestung ein, zwei, drei Kanonenschüsse, schließlich eine
ganze Salve, eine Salve voll Frohlocken und Triumph; sie kündigte der
Hauptstadt an, daß Moskau frei sei. Und dann folgte der Rückzug, tausend¬
mal erzählt, von Vandal aber zum tausendundersteumal mit einer solchen
Lebendigkeit in den knappsten Umrissen, auf vier bis fünf Seiten geschildert,
daß wir nicht anstehen, diesen Abschnitt den größten Meisterwerken der ge¬
schichtlichen Darstellung beizuzählen.

Betrachten wir noch den Schluß, den Vandal aus seinen Studien für die
Gegenwart zieht; er ist in der That merkwürdig genug.

Die 1812 in die Brüche gegangne russisch-französische Allianz, lesen wir
auf S. 544, hatte von Anfang an den Keim der Auflösung in sich getragen,
denn sie war nichts als eine Gemeinschaft für Krieg und Eroberung, und
solche Bündnisse werden stets nur mit Hintergedanken abgeschlossen, aus denen
mit Sicherheit Nebenbuhlerschaft und Haß hervorwachsen. Im Vertrauen auf
Rußlands Freundschaft unterfing sich Napoleon alle Staaten, die sich seinem
System nicht einfügen wollten, zu Boden zu schlagen; er verkaufte Finnland für
Spanien, und als sich dieses Land mit Erfolg zur Wehr setzte, als Österreich
sich erhob, gab er dem Zaren die Dvnaufürstentümer zurück, in der Hoffnung
einer ausgiebigen Hilfe gegen Österreich. Aber der Zar hatte sich damals schon
von ihm zurückgezogen, er wollte gewinnen und nichts leisten; so entschloß
sich Napoleon, 1809 die Ergebenheit der Polen mit der Vergrößerung von
Warschau zu belohnen. Damit war das Bündnis mit Nußland auf den Tod


I^a ruptui'e

Smolensk oder die Republiken der Tataren wieder ins Leben zu rufen, den
russischen Adel durch den Köder einer Verfassung zu verlocken und das Volk
durch die Aufhebung der Leibeigenschaft; er gedachte das revolutionäre Wort
in die Welt zu schleudern, das einen soziale» Krieg zu seiner Hilfe entzünden
sollte. Endlich beschloß er nichts, weil er das Unausführbare seiner Gedanken
erkannte, versank in eine dumpfe Unthütigkeit, suchte nichts mehr zu denken
und entrann sich selbst dnrch Einbildungen und las Romane." Auf der andern
Seite war die Lage einige Zeit lang nicht minder schwierig: daß „ein Mann
in den Kreml gezogen war ohne die Erlaubnis des Zaren," erschütterte das
russische Volk tief. Zum erstenmal schien es am Zaren und an Gott zu
zweifeln; man erwartete bei Hofe eine Katastrophe; als am 18. September der
Regierungsantritt des Zaren in Petersburg wohl oder übel feierlich begangen
werden mußte, ertönte kein Laut des Zurufs aus der Masse, sodaß man das
Rauschen der seidnen Frnuenkleider auf den Marmorstufen der Kathedrale hören
konnte; man war schließlich froh, als der Tag vorüber war. Aber in dem
Kampf, der zwischen der Furcht, die Napoleon einflößte, und dem Glauben
der Russen an die Gerechtigkeit ihrer Sache ausgefochten ward, siegte der
edlere Teil, die Religion des Vaterlandes, die den Russen vorschrieb, an der
Sache ihres Volkes nicht zu verzweifeln. Vier Wochen später erdröhnten von
der Peter- und Paulsfestung ein, zwei, drei Kanonenschüsse, schließlich eine
ganze Salve, eine Salve voll Frohlocken und Triumph; sie kündigte der
Hauptstadt an, daß Moskau frei sei. Und dann folgte der Rückzug, tausend¬
mal erzählt, von Vandal aber zum tausendundersteumal mit einer solchen
Lebendigkeit in den knappsten Umrissen, auf vier bis fünf Seiten geschildert,
daß wir nicht anstehen, diesen Abschnitt den größten Meisterwerken der ge¬
schichtlichen Darstellung beizuzählen.

Betrachten wir noch den Schluß, den Vandal aus seinen Studien für die
Gegenwart zieht; er ist in der That merkwürdig genug.

Die 1812 in die Brüche gegangne russisch-französische Allianz, lesen wir
auf S. 544, hatte von Anfang an den Keim der Auflösung in sich getragen,
denn sie war nichts als eine Gemeinschaft für Krieg und Eroberung, und
solche Bündnisse werden stets nur mit Hintergedanken abgeschlossen, aus denen
mit Sicherheit Nebenbuhlerschaft und Haß hervorwachsen. Im Vertrauen auf
Rußlands Freundschaft unterfing sich Napoleon alle Staaten, die sich seinem
System nicht einfügen wollten, zu Boden zu schlagen; er verkaufte Finnland für
Spanien, und als sich dieses Land mit Erfolg zur Wehr setzte, als Österreich
sich erhob, gab er dem Zaren die Dvnaufürstentümer zurück, in der Hoffnung
einer ausgiebigen Hilfe gegen Österreich. Aber der Zar hatte sich damals schon
von ihm zurückgezogen, er wollte gewinnen und nichts leisten; so entschloß
sich Napoleon, 1809 die Ergebenheit der Polen mit der Vergrößerung von
Warschau zu belohnen. Damit war das Bündnis mit Nußland auf den Tod


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/578>, abgerufen am 23.07.2024.