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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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entwirft unser Historiker S. 211 bis 217 ein lebendiges Bild. Es war mehr
ein Monolog, weil Napoleon in seiner leidenschaftlichen Erregung fast immer
selber sprach und den Gesandten kaum hie und da zu Worte kommen
ließ. Die Summe war: "Ich habe 800000 Mann, dazu jährlich 250000
Rekruten; ich kann den Krieg gleichzeitig in Spanien und gegen euch führen;
ich verstehe ein bischen das Handwerk; ich habe immer Erfolg gehabt und
hoffe ihn wieder zu haben, wenn ihr mich zum Kriege zwingt. Den Herzog
von Oldenburg will ich entschädigen; aber vom Großherzogtum Warschau gebe
ich keinen Zoll her, kein Dorf, keine Mühle." Das Wort, das man wohl
lesen kann: "Ihr Kaiser belügt mich," ist von Napoleon übrigens nicht ge¬
sprochen worden; aber Kurakin zog sich ganz niedergeschmettert zurück, Schwei߬
tropfen auf der Stirn; "es ist, sagte er, sehr heiß bei Seiner Majestät ge¬
wesen."

Von da an war jede Aussicht auf Verständigung vollends geschwunden;
das Unheil war im Lauf, und bei dem Unternehmen, den letzten unabhängigen
Staat Europas niederzuzwingen, zersplitterte das Schwert des großen Kriegs¬
fürsten, das bisher jeden Feind gefällt hatte. Er eroberte Moskau; aber als¬
bald flammte es in einer riesigen Lohe auf, und nach einigen Tagen "herrschte
Napoleon nur noch über Ruinen. Rings um den Kreml waren elftausend
verbrannte Häuser, und die Feuersbrunst wütete fort, auch noch die Reste der
Stadt zu verzehren; aufrecht standen nur noch die 340 Kirchen inmitten
eines Meeres von Trümmern. Das Heer war überfüttert mit Plünderung, voll¬
gestopft mit unnützen Reichtümern, die es den Flammen streitig gemacht hatte,
sich beugend unter dem Gewicht einer Art von Trunkenheit, ohne Mut, die
Zukunft ins Ange zu fassen; in den Ebenen ringsum viertausend geplünderte
Schlösser und Dörfer, in den Wäldern zweimalhunderttausend Menschen, die
von Haus und Herd verjagt und zu einem wilden Leben gezwungen waren.
Am Horizont tauchten Banden von Bauern auf, die sich wütend erhoben, unsre
Zufuhren angriffen, unsre vereinzelten Soldaten erwürgten oder lebendig be¬
gruben, die den Krieg nach spanischer Weise zu führen anfingen. Inmitten dieser
Verwüstung handelte Napoleon nicht mehr; er wartete. Am Ende mußte es
mit den Russen gehen wie mit den Preußen und Österreichern, wie mit so
vielen andern, wo der Gewinn einer Schlacht und die Einnahme der Haupt¬
stadt alles in Ordnung gebracht hatte. Aber der Friede kam nicht, und
Napoleon, erstaunt über die Feuersbrunst und die planmäßigen Zerstörungen,
fragte sich, mit welchem Volk er es zu thun habe, was das für eine Rasse sei,
die ein heiliges Werk zu verrichten meinte, indem sie selbst Feuer an ihre
Städte legte. Manchmal erwog er sehr schöne kriegerische Pläne, auf die er
aber bei der Erschöpfung seiner Leutnants und seiner Soldaten verzichten
mußte. Auch trug er sich damit, gigantische und abenteuerliche Hilfsmittel
anzuwenden, sich selbst zum König von Polen auszurufen, das Fürstentum


Grenzboten II 1897 72
I-g, ruptnre

entwirft unser Historiker S. 211 bis 217 ein lebendiges Bild. Es war mehr
ein Monolog, weil Napoleon in seiner leidenschaftlichen Erregung fast immer
selber sprach und den Gesandten kaum hie und da zu Worte kommen
ließ. Die Summe war: „Ich habe 800000 Mann, dazu jährlich 250000
Rekruten; ich kann den Krieg gleichzeitig in Spanien und gegen euch führen;
ich verstehe ein bischen das Handwerk; ich habe immer Erfolg gehabt und
hoffe ihn wieder zu haben, wenn ihr mich zum Kriege zwingt. Den Herzog
von Oldenburg will ich entschädigen; aber vom Großherzogtum Warschau gebe
ich keinen Zoll her, kein Dorf, keine Mühle." Das Wort, das man wohl
lesen kann: „Ihr Kaiser belügt mich," ist von Napoleon übrigens nicht ge¬
sprochen worden; aber Kurakin zog sich ganz niedergeschmettert zurück, Schwei߬
tropfen auf der Stirn; „es ist, sagte er, sehr heiß bei Seiner Majestät ge¬
wesen."

Von da an war jede Aussicht auf Verständigung vollends geschwunden;
das Unheil war im Lauf, und bei dem Unternehmen, den letzten unabhängigen
Staat Europas niederzuzwingen, zersplitterte das Schwert des großen Kriegs¬
fürsten, das bisher jeden Feind gefällt hatte. Er eroberte Moskau; aber als¬
bald flammte es in einer riesigen Lohe auf, und nach einigen Tagen „herrschte
Napoleon nur noch über Ruinen. Rings um den Kreml waren elftausend
verbrannte Häuser, und die Feuersbrunst wütete fort, auch noch die Reste der
Stadt zu verzehren; aufrecht standen nur noch die 340 Kirchen inmitten
eines Meeres von Trümmern. Das Heer war überfüttert mit Plünderung, voll¬
gestopft mit unnützen Reichtümern, die es den Flammen streitig gemacht hatte,
sich beugend unter dem Gewicht einer Art von Trunkenheit, ohne Mut, die
Zukunft ins Ange zu fassen; in den Ebenen ringsum viertausend geplünderte
Schlösser und Dörfer, in den Wäldern zweimalhunderttausend Menschen, die
von Haus und Herd verjagt und zu einem wilden Leben gezwungen waren.
Am Horizont tauchten Banden von Bauern auf, die sich wütend erhoben, unsre
Zufuhren angriffen, unsre vereinzelten Soldaten erwürgten oder lebendig be¬
gruben, die den Krieg nach spanischer Weise zu führen anfingen. Inmitten dieser
Verwüstung handelte Napoleon nicht mehr; er wartete. Am Ende mußte es
mit den Russen gehen wie mit den Preußen und Österreichern, wie mit so
vielen andern, wo der Gewinn einer Schlacht und die Einnahme der Haupt¬
stadt alles in Ordnung gebracht hatte. Aber der Friede kam nicht, und
Napoleon, erstaunt über die Feuersbrunst und die planmäßigen Zerstörungen,
fragte sich, mit welchem Volk er es zu thun habe, was das für eine Rasse sei,
die ein heiliges Werk zu verrichten meinte, indem sie selbst Feuer an ihre
Städte legte. Manchmal erwog er sehr schöne kriegerische Pläne, auf die er
aber bei der Erschöpfung seiner Leutnants und seiner Soldaten verzichten
mußte. Auch trug er sich damit, gigantische und abenteuerliche Hilfsmittel
anzuwenden, sich selbst zum König von Polen auszurufen, das Fürstentum


Grenzboten II 1897 72
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/577>, abgerufen am 23.07.2024.