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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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I^A rupture

schloß, hielt Napoleon den Krieg für vermeidbar; aber bloßen Frieden mit
Rußland wollte er nicht: es mußte sein Verbündeter sein, oder er gedachte es
anzugreifen und unschädlich zu machen. Und hier erkennt man, was die
Niederlage Rußlands, falls es nicht sein Partner bleiben wollte, allerdings für
Napoleon bedeutete. Stand er erst siegreich in Petersburg oder Moskau,
fügte sich Nußland seiner Macht, so mußte England daran verzweifeln, daß
es auf dein Festlande noch Verbündete finden und über Frankreich obsiegen
könne: es war dann gezwungen, Frieden zu suchen. Was Rvloff schon im
68. Band der Preußischen Jahrbücher ausgeführt hat, daß Napoleon bei
seinen Entwürfen gegen England (so bei dem Plan eines indischen Heerzugs)
nicht sowohl nach neuen Eroberungen, als vielmehr nach gesichertem Frieden
auf der Grundlage seines freilich ungeheuerlichen Besitzes strebte, daß es vor
allem galt, England zur Hinnahme des bestehenden Zustandes zu zwingen,
das geht, richtig verstanden, auch aus Vandnls Darstellung hervor. Die
Größe des napoleonischen Geistes aber ersieht man aus der Betrachtung, die
der Kaiser weiterhin anstellte. Die Zukunft gehörte nach seiner Überzeugung
den großen Reichen. "Während er sich Europa unterwarf, entschädigte sich
England auf der Welt; es gewann die Meerherrschaft und faßte in den ent¬
legensten Ländern festen Fuß. Zur gleichen Zeit wuchs die Bevölkerung
Rußlands Jahr für Jahr um eine halbe Million Seelen: am Horizont er¬
scheint ein Ozean von rohen und armen Menschen, eine unerschöpfliche Masse
von Kriegern, die sich eines Tages auf Europa stürzen und es überfluten kann.
So stolz Europa sein mag auf seine verfeinerte Zivilisation und seinen alten
Vorrang -- eines Tags wird es, klein und in seinem Dasein bedroht, zwischen
den beiden Kolossen stehen, die an seiner Seite emporwachsen. Um den einen
zurückzuschlagen, den andern niederzuwerfen, bedarf es der Einheit, und es ist
ein Glück, daß das Ergebnis der Kämpfe es eben jetzt unter einen Anführer
gestellt hat, der das Rettungsmittel der Diktatur anwenden kann." Man sieht,
es ist derselbe Gedankengang, der den Kaiser auf Se. Helena am 18. April 1816
das bekannte und oft falsch angeführte Wort sprechen ließ: "Vor Ablauf von
zehn Jahren kann Europa entweder kosakisch oder ganz republikanisch sein."

Wenn mau nun nach dem bisherigen annehmen mußte, daß der Angriff
von Nußland ausgehen würde, so zeigte sich freilich bald, daß dem nicht so
war. An zwei Punkien stieß Alexander auf Widerstand: aus dem Herzogtum
Warschau kamen Berichte, daß die maßgebenden Männer von einem Abfall
von Napoleon, auf den die polnische Nation ihre Hoffnung setzte, durchaus
nichts wissen wollten, und in Wien warf der Erzherzog Karl, der Sieger von
Aspern -- Vandal nennt ihn bezeichnenderweise S. 103 nicht so, sondern 1s
glorieux v-iinou av ^Vg.^i"ur! --, seinen ganzen Einfluß, der bei seiner Volks¬
tümlichkeit groß war, gegen Nußland in die Wagschale. Und der Staatskanzler
Graf Metternich war weit entfernt, sich in ein Abenteuer einzulassen, das


I^A rupture

schloß, hielt Napoleon den Krieg für vermeidbar; aber bloßen Frieden mit
Rußland wollte er nicht: es mußte sein Verbündeter sein, oder er gedachte es
anzugreifen und unschädlich zu machen. Und hier erkennt man, was die
Niederlage Rußlands, falls es nicht sein Partner bleiben wollte, allerdings für
Napoleon bedeutete. Stand er erst siegreich in Petersburg oder Moskau,
fügte sich Nußland seiner Macht, so mußte England daran verzweifeln, daß
es auf dein Festlande noch Verbündete finden und über Frankreich obsiegen
könne: es war dann gezwungen, Frieden zu suchen. Was Rvloff schon im
68. Band der Preußischen Jahrbücher ausgeführt hat, daß Napoleon bei
seinen Entwürfen gegen England (so bei dem Plan eines indischen Heerzugs)
nicht sowohl nach neuen Eroberungen, als vielmehr nach gesichertem Frieden
auf der Grundlage seines freilich ungeheuerlichen Besitzes strebte, daß es vor
allem galt, England zur Hinnahme des bestehenden Zustandes zu zwingen,
das geht, richtig verstanden, auch aus Vandnls Darstellung hervor. Die
Größe des napoleonischen Geistes aber ersieht man aus der Betrachtung, die
der Kaiser weiterhin anstellte. Die Zukunft gehörte nach seiner Überzeugung
den großen Reichen. „Während er sich Europa unterwarf, entschädigte sich
England auf der Welt; es gewann die Meerherrschaft und faßte in den ent¬
legensten Ländern festen Fuß. Zur gleichen Zeit wuchs die Bevölkerung
Rußlands Jahr für Jahr um eine halbe Million Seelen: am Horizont er¬
scheint ein Ozean von rohen und armen Menschen, eine unerschöpfliche Masse
von Kriegern, die sich eines Tages auf Europa stürzen und es überfluten kann.
So stolz Europa sein mag auf seine verfeinerte Zivilisation und seinen alten
Vorrang — eines Tags wird es, klein und in seinem Dasein bedroht, zwischen
den beiden Kolossen stehen, die an seiner Seite emporwachsen. Um den einen
zurückzuschlagen, den andern niederzuwerfen, bedarf es der Einheit, und es ist
ein Glück, daß das Ergebnis der Kämpfe es eben jetzt unter einen Anführer
gestellt hat, der das Rettungsmittel der Diktatur anwenden kann." Man sieht,
es ist derselbe Gedankengang, der den Kaiser auf Se. Helena am 18. April 1816
das bekannte und oft falsch angeführte Wort sprechen ließ: „Vor Ablauf von
zehn Jahren kann Europa entweder kosakisch oder ganz republikanisch sein."

Wenn mau nun nach dem bisherigen annehmen mußte, daß der Angriff
von Nußland ausgehen würde, so zeigte sich freilich bald, daß dem nicht so
war. An zwei Punkien stieß Alexander auf Widerstand: aus dem Herzogtum
Warschau kamen Berichte, daß die maßgebenden Männer von einem Abfall
von Napoleon, auf den die polnische Nation ihre Hoffnung setzte, durchaus
nichts wissen wollten, und in Wien warf der Erzherzog Karl, der Sieger von
Aspern — Vandal nennt ihn bezeichnenderweise S. 103 nicht so, sondern 1s
glorieux v-iinou av ^Vg.^i»ur! —, seinen ganzen Einfluß, der bei seiner Volks¬
tümlichkeit groß war, gegen Nußland in die Wagschale. Und der Staatskanzler
Graf Metternich war weit entfernt, sich in ein Abenteuer einzulassen, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/574>, abgerufen am 23.07.2024.