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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

ist, desto mehr verfällt es durch seinen verwickelten Bau dem Gesetz des Todes,
desto schwieriger wird ihm außerdem sein Fortkommen, desto mehr hängt es
von einem gewissen eng begrenzten Temperaturgrade, von einem bestimmten
Klima, von bestimmten Nährpflanzen oder Beutetieren ab, die nicht überall
vorkommen, daher können die Arten großer, hochentwickelter und edler Tiere,
wie Büffel, Löwen, Elefanten, und große Bäume wie die Zedern leicht aus¬
gerottet werden, während die Moose und Flechten, die Würmer und die kleinen
im Meere lebenden Weichtiere der Gefahr der Ausrottung kaum ausgesetzt
sind, den Infusorien aber gar nicht beizukommen ist. Erst der Mensch, dem
seine Intelligenz zu Hilfe kommt, erfreut sich wieder eines höhern Grades von
Sicherheit, wenn auch bei weitem keiner so großen wie die niedern Tiere;
sollte nach einigen Jahrtausenden die Erkaltung des Erdballs das organische
Leben allmählich vernichten, so würde nach den höhern Tieren und nach den
Nährpflanzen zuerst der Mensch an die Reihe kommen, dann erst die niedere
Tierwelt, und die Bakterien würden in orth rütimg, sein.

Also die Urtiere müssen durch Mittel, die uns ganz unbekannt und unsrer
Erfahrung unzugänglich sind, genötigt worden sein, sich zu differenziren; dann
erst sind durch die schon vorhcmdne Differenzirung Verhältnisse eingetreten,
unter denen die drei Darwinischen Triebkräfte einen Sinn bekamen und in
Wirksamkeit treten konnten. Aber auch auf dieser Stufe wieder müssen wir
uns die leitende Intelligenz hinzudenken, weil jene Kräfte nicht überall
gleichmüßig gewirkt haben, und weil wir sie heute nicht mehr in Thätigkeit
sehen. Es klingt ja sehr einleuchtend -- für den Gedankenlosen, daß sich
einzelne Saurier zum Schutz Panzer beigelegt haben. Der Denkende fragt:
Wie haben sie das angefangen? Hat ein Saurier so viel Verstand, daß er
den Entschluß fassen kaun, sich einen Panzer beizulegen? Und hätte er diesen
Verstand, würde ihm der Entschluß etwas nützen? Haben Entschließungen
einen Einfluß auf die physiologischen Vorgänge im Organismus? Wir haben
Menschen mit sehr schwachen Knochen; könnte diesen der Entschluß, sich ein
stärkeres Knochengerüst wachsen zu lassen, etwas nützen? Wir wissen wohl
heutzutage, daß man die Fleisch-, die Fett-, die Knochen-, die Nervenentwicklung
durch Auswahl der Nahrungsmittel fördern kann, aber in wie engen Grenzen
bewegt sich das, was durch planmäßige Eingriffe, namentlich in Beziehung
auf die Knochen, die Zähne, die Haare erreicht werden kann! Und nun gar


könne, denn es liege in ihrer Entwicklung kein Abschluß, der dem Tode vergleichbar sei, und
besonders sei die Entstehung neuer Individuen nicht mit dem Absterben der alten verbunden,
vielmehr geschehe die Vermehrung durch Teilung, und zwar so, daß die beiden Teilstücke ein¬
ander gleich seien, keines das ältere, keines das jüngere. So komme eine unendliche Reihe
von Individuen zu stände, deren jedes so alt als die Art selbst, deren jedes die Fähigkeit in
sich trägt, ins Unbegrenzte und unter steten neuen Teilungen weiter zu leben." Weismann:
Über Leben und Tod, S, 1.
vom Neudarwinismus

ist, desto mehr verfällt es durch seinen verwickelten Bau dem Gesetz des Todes,
desto schwieriger wird ihm außerdem sein Fortkommen, desto mehr hängt es
von einem gewissen eng begrenzten Temperaturgrade, von einem bestimmten
Klima, von bestimmten Nährpflanzen oder Beutetieren ab, die nicht überall
vorkommen, daher können die Arten großer, hochentwickelter und edler Tiere,
wie Büffel, Löwen, Elefanten, und große Bäume wie die Zedern leicht aus¬
gerottet werden, während die Moose und Flechten, die Würmer und die kleinen
im Meere lebenden Weichtiere der Gefahr der Ausrottung kaum ausgesetzt
sind, den Infusorien aber gar nicht beizukommen ist. Erst der Mensch, dem
seine Intelligenz zu Hilfe kommt, erfreut sich wieder eines höhern Grades von
Sicherheit, wenn auch bei weitem keiner so großen wie die niedern Tiere;
sollte nach einigen Jahrtausenden die Erkaltung des Erdballs das organische
Leben allmählich vernichten, so würde nach den höhern Tieren und nach den
Nährpflanzen zuerst der Mensch an die Reihe kommen, dann erst die niedere
Tierwelt, und die Bakterien würden in orth rütimg, sein.

Also die Urtiere müssen durch Mittel, die uns ganz unbekannt und unsrer
Erfahrung unzugänglich sind, genötigt worden sein, sich zu differenziren; dann
erst sind durch die schon vorhcmdne Differenzirung Verhältnisse eingetreten,
unter denen die drei Darwinischen Triebkräfte einen Sinn bekamen und in
Wirksamkeit treten konnten. Aber auch auf dieser Stufe wieder müssen wir
uns die leitende Intelligenz hinzudenken, weil jene Kräfte nicht überall
gleichmüßig gewirkt haben, und weil wir sie heute nicht mehr in Thätigkeit
sehen. Es klingt ja sehr einleuchtend — für den Gedankenlosen, daß sich
einzelne Saurier zum Schutz Panzer beigelegt haben. Der Denkende fragt:
Wie haben sie das angefangen? Hat ein Saurier so viel Verstand, daß er
den Entschluß fassen kaun, sich einen Panzer beizulegen? Und hätte er diesen
Verstand, würde ihm der Entschluß etwas nützen? Haben Entschließungen
einen Einfluß auf die physiologischen Vorgänge im Organismus? Wir haben
Menschen mit sehr schwachen Knochen; könnte diesen der Entschluß, sich ein
stärkeres Knochengerüst wachsen zu lassen, etwas nützen? Wir wissen wohl
heutzutage, daß man die Fleisch-, die Fett-, die Knochen-, die Nervenentwicklung
durch Auswahl der Nahrungsmittel fördern kann, aber in wie engen Grenzen
bewegt sich das, was durch planmäßige Eingriffe, namentlich in Beziehung
auf die Knochen, die Zähne, die Haare erreicht werden kann! Und nun gar


könne, denn es liege in ihrer Entwicklung kein Abschluß, der dem Tode vergleichbar sei, und
besonders sei die Entstehung neuer Individuen nicht mit dem Absterben der alten verbunden,
vielmehr geschehe die Vermehrung durch Teilung, und zwar so, daß die beiden Teilstücke ein¬
ander gleich seien, keines das ältere, keines das jüngere. So komme eine unendliche Reihe
von Individuen zu stände, deren jedes so alt als die Art selbst, deren jedes die Fähigkeit in
sich trägt, ins Unbegrenzte und unter steten neuen Teilungen weiter zu leben." Weismann:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/563>, abgerufen am 23.07.2024.