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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Stellung und Rechte am Niger

Diese Erkenntnis steigert allerdings in unserm Auge das Verdienst derer, die
sich in diesem Ringen aufgerieben haben. Wir denken dabei mit Dank und
Rührung an Stabsarzt L. Wolf und Hauptmann E. Kling.

Deutschland hat den Vorteil des Anschlusses an den Niger, an die große
Lebensader des Sudan, nicht allein erkannt. Zwar war es ein Deutscher,
Heinrich Barth, der schon vor mehr als vierzig Jahren auf die wirtschaftliche
und politische Bedeutung des Niger und des Benus hingewiesen hat. Aber
die politische Verwertung dieser Erkenntnis begann vor etwa dreißig Jahren
von Frankreich aus mit den Vorstoßen gegen Timbuktu. Frankreich ist seit
dieser Zeit unablässig vorgeschritten, und seit zehn Jahren durchziehen seine
Missionen das Hinterland unsrer Kolonie. Außerdem hat es in Dahomey
einen zweiten Weg nach demselben Ziele betreten. Indem Frankreich seinen
ältern Faktoreienbesitz an der Sklavenküste, besonders Porto-Novo, seit 1885
nordwärts ausdehnte, begann es von Osten her an der Grenze Togos hinzu-
wachscn und beansprucht seit den Feldzügen gegen Dahomey von 1890 und 1894
den ganzen Streifen bis zum Niger. Einstweilen hat es immer nnr die Küste
besetzt und in dem küstennahen Hinterkante zwei abhängige Kleinstaaten, Allada
und Adon6, aus dem Gebiet von Dahomey herausgeschnitten. Aber indem es
für diesen Streifen einen binnenländischen Zusammenhang mit dem französischen
Sudan herzustellen wünscht, geht sein Streben natürlich auf die Abschließung
Togos vom Niger. Und diese Politik fällt ganz mit der französischen Niger-
Politik zusammen, die sich in die Worte fassen läßt: Sind wir einmal so un¬
vorsichtig gewesen, die Engländer sich am untern Niger in so weiter Aus¬
dehnung festsetzen zu lassen, so bleiben wir wenigstens Herren des ganzen
übrigen Stromes. Also Ausschluß Deutschlands vom Niger aus zwei Gründen,
die sehr greifbar und für jeden Franzosen selbstverständlich sind.

Ähnlich wie mit Frankreich berührt sich Togo auch mit England auf zwei
Seiten. Westlich von Togo liegt der zum Teil alte Besitz Englands an der
Goldküste, der durch deu Ankauf dänischer und holländischer Besitzungen und
Ansprüche und durch mehrere Feldzüge gegen das einst mächtige Goldküsten¬
hinterland Aschanti allmählich an Breite und Tiefe so mächtig gewachsen ist,
daß die Kronkolonie Gold Coast unter den vier West African settlements
oder Colonies: Gambia, Sierra Leone, Gold Coast und Lagos jetzt gleich
hinter Lagos folgt. Bei weiterer Entwicklung in dem bisherigen Tempo wird
die Goldküstenkvlonie in wenigen Jahren die erste sein. An Handel und Schiffs¬
verkehr übertrifft sie um das fünffache unser kleines Togo, um ebenso viel
das französische Dahomey. England hat also alle Ursache, die Ausbreitung
dieser Kolonie zu fördern und womöglich das für den Handel so günstige obere
Vvltagcbiet zu umfassen. Damit greift es nun in die deutsche Sphäre von
Westen herein. Der Volta, dieser wichtige Fluß Guineas, ist zwar im Unter¬
lauf Grenzfluß zwischen englischem und deutschen: Gebiet; aber gerade da, wo
sich in der Nähe des Meeres seine Bedeutung sehr steigert, tritt Deutschland


Deutschlands Stellung und Rechte am Niger

Diese Erkenntnis steigert allerdings in unserm Auge das Verdienst derer, die
sich in diesem Ringen aufgerieben haben. Wir denken dabei mit Dank und
Rührung an Stabsarzt L. Wolf und Hauptmann E. Kling.

Deutschland hat den Vorteil des Anschlusses an den Niger, an die große
Lebensader des Sudan, nicht allein erkannt. Zwar war es ein Deutscher,
Heinrich Barth, der schon vor mehr als vierzig Jahren auf die wirtschaftliche
und politische Bedeutung des Niger und des Benus hingewiesen hat. Aber
die politische Verwertung dieser Erkenntnis begann vor etwa dreißig Jahren
von Frankreich aus mit den Vorstoßen gegen Timbuktu. Frankreich ist seit
dieser Zeit unablässig vorgeschritten, und seit zehn Jahren durchziehen seine
Missionen das Hinterland unsrer Kolonie. Außerdem hat es in Dahomey
einen zweiten Weg nach demselben Ziele betreten. Indem Frankreich seinen
ältern Faktoreienbesitz an der Sklavenküste, besonders Porto-Novo, seit 1885
nordwärts ausdehnte, begann es von Osten her an der Grenze Togos hinzu-
wachscn und beansprucht seit den Feldzügen gegen Dahomey von 1890 und 1894
den ganzen Streifen bis zum Niger. Einstweilen hat es immer nnr die Küste
besetzt und in dem küstennahen Hinterkante zwei abhängige Kleinstaaten, Allada
und Adon6, aus dem Gebiet von Dahomey herausgeschnitten. Aber indem es
für diesen Streifen einen binnenländischen Zusammenhang mit dem französischen
Sudan herzustellen wünscht, geht sein Streben natürlich auf die Abschließung
Togos vom Niger. Und diese Politik fällt ganz mit der französischen Niger-
Politik zusammen, die sich in die Worte fassen läßt: Sind wir einmal so un¬
vorsichtig gewesen, die Engländer sich am untern Niger in so weiter Aus¬
dehnung festsetzen zu lassen, so bleiben wir wenigstens Herren des ganzen
übrigen Stromes. Also Ausschluß Deutschlands vom Niger aus zwei Gründen,
die sehr greifbar und für jeden Franzosen selbstverständlich sind.

Ähnlich wie mit Frankreich berührt sich Togo auch mit England auf zwei
Seiten. Westlich von Togo liegt der zum Teil alte Besitz Englands an der
Goldküste, der durch deu Ankauf dänischer und holländischer Besitzungen und
Ansprüche und durch mehrere Feldzüge gegen das einst mächtige Goldküsten¬
hinterland Aschanti allmählich an Breite und Tiefe so mächtig gewachsen ist,
daß die Kronkolonie Gold Coast unter den vier West African settlements
oder Colonies: Gambia, Sierra Leone, Gold Coast und Lagos jetzt gleich
hinter Lagos folgt. Bei weiterer Entwicklung in dem bisherigen Tempo wird
die Goldküstenkvlonie in wenigen Jahren die erste sein. An Handel und Schiffs¬
verkehr übertrifft sie um das fünffache unser kleines Togo, um ebenso viel
das französische Dahomey. England hat also alle Ursache, die Ausbreitung
dieser Kolonie zu fördern und womöglich das für den Handel so günstige obere
Vvltagcbiet zu umfassen. Damit greift es nun in die deutsche Sphäre von
Westen herein. Der Volta, dieser wichtige Fluß Guineas, ist zwar im Unter¬
lauf Grenzfluß zwischen englischem und deutschen: Gebiet; aber gerade da, wo
sich in der Nähe des Meeres seine Bedeutung sehr steigert, tritt Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/557>, abgerufen am 23.07.2024.