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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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vom Neudarwinismus

moule, vorübergehend in einen Konflikt mit gewissen Interessen geraten. Durch
die kopernikanische Hypothese glaubte die Kirche anfänglich das Ansehen der
Vibel und sich selbst gefährdet und verfolgte daher die Verkündiger der neuen
Lehre. Diese siegte, die Kirche fügte sich ins unvermeidliche und sah: es geht
auch so, und seitdem ist die Astronomie kein Zankapfel religiöser Parteien mehr.
Die moderne Physik und Chemie aber haben gar keine Berührungspunkte mit
dem christlichen Glauben, aus deuen Konflikte entstehen könnten; fromme Kirch-
glüubige, wie der Astronom Scachi, ein Jesuit, haben der Förderung der drei
exakten Naturwissenschaften ihr Leben gewidmet. Dagegen befindet sich die
neue Wissenschaft der Biologie im Kriegszustande mit der Kirche. In den
eingangs erwähnten Aufsätzen haben wir hervorgehoben, daß Darwin aus
einem Grunde, der ganz außerhalb der Naturwissenschaft liegt, in England
heftig angegriffen und in Deutschland mit Begeisterung gefeiert worden ist.
Der Darwinismus schien Gott endgiltig beseitigt zu haben; das war der
Grund seiner verschiednen Aufnahme in den beiden Ländern. Denn in Deutsch¬
land hatte damals die gelehrte Welt mit der Religion gebrochen und war
teilweise von Haß gegen die Kirche erfüllt, in England war das nicht der
Fall.*) Und das kirchliche oder kirchenfeindliche Interesse war nicht das einzige
fremde, das den Gang der wissenschaftlichen Erörterung bestimmte; bald sand
man auch einen engen Zusammenhang zwischen der Biologie und dem Bau
von Staat und Gesellschaft heraus. In der That, wenn alles in der Welt
reine Natur und dem Gesetz der Entwicklung unterworfen ist, so kann die
menschliche Gesellschaft, können Staat, Staatseinrichtungen, Stände, Volks¬
wirtschaft keine Ausnahme machen. Zunächst schwindet mit der Beständigkeit
der Art auch das Recht der Persönlichkeit. Der einzelne Mensch ist ein
Produkt der Entwicklung der Materie und hat sür sich selbst nichts zu be¬
deuten. "Es ist ja der Natur nur um die Erhaltung der Gattung zu thun,"
das war eine der darwinistischen Redensarten, die man 1870 in den Feuilletons
der Kriegskorrespondenten zu lesen bekam, wenn sie mit Leichen bedeckte



*) Die Hauptursache des stellenweise fanatischen Hasses gegen die Religion in Deutschland
und überhaupt auf dem europäischen Festland ist die zärtliche Fürsorge der hohen Obrigkeiten
für die Religion. Diese weisen Obrigkeiten wollen niemand nach seiner Fa?on selig werden
lassen, sondern Religiosität, und zwar jedesmal die ihnen für den Staatszweck passende Religio¬
sität, erzwingen. Die Faltschen Reformen sind vom Negierungstische u, a> damit begründet
worden, das; die liberfüttsrung mit religiösem Stoff die Volksschullehrer mit Widerwille" gegen
die Religion erfüllt habe. Nachdem die Neligionsseindschnft in die untern Schichten durchgesickert
war, haben sich die obern, teils blos; äußerlich, teils auch innerlich, der Religion wieder zu¬
gewandt. Aber die Art, wie jetzt die Polizei die "Verfrommung" des Volkes betreibt, wird
auch die obern Schichten wieder in die Religionsfcindschaft zurückdrängen. In England und
Nordamerika, wo jeder "ach seiner Fa^on selig werden darf, ist die christliche Religion niemals
Gegenstand des Hasses weiter Volkskreise geworden; in England gilt das allerdings nur für
die Zeit, seit der die Verfolgung der Katholiken und der Dissenters aufgehört hat.
vom Neudarwinismus

moule, vorübergehend in einen Konflikt mit gewissen Interessen geraten. Durch
die kopernikanische Hypothese glaubte die Kirche anfänglich das Ansehen der
Vibel und sich selbst gefährdet und verfolgte daher die Verkündiger der neuen
Lehre. Diese siegte, die Kirche fügte sich ins unvermeidliche und sah: es geht
auch so, und seitdem ist die Astronomie kein Zankapfel religiöser Parteien mehr.
Die moderne Physik und Chemie aber haben gar keine Berührungspunkte mit
dem christlichen Glauben, aus deuen Konflikte entstehen könnten; fromme Kirch-
glüubige, wie der Astronom Scachi, ein Jesuit, haben der Förderung der drei
exakten Naturwissenschaften ihr Leben gewidmet. Dagegen befindet sich die
neue Wissenschaft der Biologie im Kriegszustande mit der Kirche. In den
eingangs erwähnten Aufsätzen haben wir hervorgehoben, daß Darwin aus
einem Grunde, der ganz außerhalb der Naturwissenschaft liegt, in England
heftig angegriffen und in Deutschland mit Begeisterung gefeiert worden ist.
Der Darwinismus schien Gott endgiltig beseitigt zu haben; das war der
Grund seiner verschiednen Aufnahme in den beiden Ländern. Denn in Deutsch¬
land hatte damals die gelehrte Welt mit der Religion gebrochen und war
teilweise von Haß gegen die Kirche erfüllt, in England war das nicht der
Fall.*) Und das kirchliche oder kirchenfeindliche Interesse war nicht das einzige
fremde, das den Gang der wissenschaftlichen Erörterung bestimmte; bald sand
man auch einen engen Zusammenhang zwischen der Biologie und dem Bau
von Staat und Gesellschaft heraus. In der That, wenn alles in der Welt
reine Natur und dem Gesetz der Entwicklung unterworfen ist, so kann die
menschliche Gesellschaft, können Staat, Staatseinrichtungen, Stände, Volks¬
wirtschaft keine Ausnahme machen. Zunächst schwindet mit der Beständigkeit
der Art auch das Recht der Persönlichkeit. Der einzelne Mensch ist ein
Produkt der Entwicklung der Materie und hat sür sich selbst nichts zu be¬
deuten. „Es ist ja der Natur nur um die Erhaltung der Gattung zu thun,"
das war eine der darwinistischen Redensarten, die man 1870 in den Feuilletons
der Kriegskorrespondenten zu lesen bekam, wenn sie mit Leichen bedeckte



*) Die Hauptursache des stellenweise fanatischen Hasses gegen die Religion in Deutschland
und überhaupt auf dem europäischen Festland ist die zärtliche Fürsorge der hohen Obrigkeiten
für die Religion. Diese weisen Obrigkeiten wollen niemand nach seiner Fa?on selig werden
lassen, sondern Religiosität, und zwar jedesmal die ihnen für den Staatszweck passende Religio¬
sität, erzwingen. Die Faltschen Reformen sind vom Negierungstische u, a> damit begründet
worden, das; die liberfüttsrung mit religiösem Stoff die Volksschullehrer mit Widerwille» gegen
die Religion erfüllt habe. Nachdem die Neligionsseindschnft in die untern Schichten durchgesickert
war, haben sich die obern, teils blos; äußerlich, teils auch innerlich, der Religion wieder zu¬
gewandt. Aber die Art, wie jetzt die Polizei die „Verfrommung" des Volkes betreibt, wird
auch die obern Schichten wieder in die Religionsfcindschaft zurückdrängen. In England und
Nordamerika, wo jeder »ach seiner Fa^on selig werden darf, ist die christliche Religion niemals
Gegenstand des Hasses weiter Volkskreise geworden; in England gilt das allerdings nur für
die Zeit, seit der die Verfolgung der Katholiken und der Dissenters aufgehört hat.
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[0532] vom Neudarwinismus moule, vorübergehend in einen Konflikt mit gewissen Interessen geraten. Durch die kopernikanische Hypothese glaubte die Kirche anfänglich das Ansehen der Vibel und sich selbst gefährdet und verfolgte daher die Verkündiger der neuen Lehre. Diese siegte, die Kirche fügte sich ins unvermeidliche und sah: es geht auch so, und seitdem ist die Astronomie kein Zankapfel religiöser Parteien mehr. Die moderne Physik und Chemie aber haben gar keine Berührungspunkte mit dem christlichen Glauben, aus deuen Konflikte entstehen könnten; fromme Kirch- glüubige, wie der Astronom Scachi, ein Jesuit, haben der Förderung der drei exakten Naturwissenschaften ihr Leben gewidmet. Dagegen befindet sich die neue Wissenschaft der Biologie im Kriegszustande mit der Kirche. In den eingangs erwähnten Aufsätzen haben wir hervorgehoben, daß Darwin aus einem Grunde, der ganz außerhalb der Naturwissenschaft liegt, in England heftig angegriffen und in Deutschland mit Begeisterung gefeiert worden ist. Der Darwinismus schien Gott endgiltig beseitigt zu haben; das war der Grund seiner verschiednen Aufnahme in den beiden Ländern. Denn in Deutsch¬ land hatte damals die gelehrte Welt mit der Religion gebrochen und war teilweise von Haß gegen die Kirche erfüllt, in England war das nicht der Fall.*) Und das kirchliche oder kirchenfeindliche Interesse war nicht das einzige fremde, das den Gang der wissenschaftlichen Erörterung bestimmte; bald sand man auch einen engen Zusammenhang zwischen der Biologie und dem Bau von Staat und Gesellschaft heraus. In der That, wenn alles in der Welt reine Natur und dem Gesetz der Entwicklung unterworfen ist, so kann die menschliche Gesellschaft, können Staat, Staatseinrichtungen, Stände, Volks¬ wirtschaft keine Ausnahme machen. Zunächst schwindet mit der Beständigkeit der Art auch das Recht der Persönlichkeit. Der einzelne Mensch ist ein Produkt der Entwicklung der Materie und hat sür sich selbst nichts zu be¬ deuten. „Es ist ja der Natur nur um die Erhaltung der Gattung zu thun," das war eine der darwinistischen Redensarten, die man 1870 in den Feuilletons der Kriegskorrespondenten zu lesen bekam, wenn sie mit Leichen bedeckte *) Die Hauptursache des stellenweise fanatischen Hasses gegen die Religion in Deutschland und überhaupt auf dem europäischen Festland ist die zärtliche Fürsorge der hohen Obrigkeiten für die Religion. Diese weisen Obrigkeiten wollen niemand nach seiner Fa?on selig werden lassen, sondern Religiosität, und zwar jedesmal die ihnen für den Staatszweck passende Religio¬ sität, erzwingen. Die Faltschen Reformen sind vom Negierungstische u, a> damit begründet worden, das; die liberfüttsrung mit religiösem Stoff die Volksschullehrer mit Widerwille» gegen die Religion erfüllt habe. Nachdem die Neligionsseindschnft in die untern Schichten durchgesickert war, haben sich die obern, teils blos; äußerlich, teils auch innerlich, der Religion wieder zu¬ gewandt. Aber die Art, wie jetzt die Polizei die „Verfrommung" des Volkes betreibt, wird auch die obern Schichten wieder in die Religionsfcindschaft zurückdrängen. In England und Nordamerika, wo jeder »ach seiner Fa^on selig werden darf, ist die christliche Religion niemals Gegenstand des Hasses weiter Volkskreise geworden; in England gilt das allerdings nur für die Zeit, seit der die Verfolgung der Katholiken und der Dissenters aufgehört hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/532>, abgerufen am 23.07.2024.