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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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die Schwierigkeiten der thatsächlichen Regierung zu vermehren. Nach Metz
zurückzukehren wurde dem General Bourbaki nicht gestattet, er ging zu den
Heeren, die sich im Süden Frankreichs bildeten.

Für Bazaine hatte diese Episode nun noch das Nachspiel der schon erwähnten
Anfrage aus Ferneres und seine ungeschickte Antwort darauf. Regnier, der als
Sendbote Bismcircks angesehen wurde, hat dies mündlich und in seiner Schrift
(just "se votrs vom? lebhaft in Abrede gestellt und behauptet, daß ihn nur das
Mitleid mit seinem dem Feinde rettungslos preisgegebnen Vaterlande und der
Wunsch, mit den einzig rechtlich befugten Stellen Friedensverhandlungen anzu¬
bahnen, zu seinem Vorgehen bewogen hätten. Seiner Vernehmung in Trianon
entzog er sich aber durch eine Reise nach der Schweiz. Er richtete an das
Kriegsgericht ein Schreiben, worin er nnter nochmaliger Beteuerung seiner guten
Absichten sein Ausbleiben damit begründete, daß er für seine persönliche Sicher¬
heit fürchte. Die deutsche Darstellung berichtet kurz, daß ein "aus England
gekommner Franzose" sich dem Bundeskanzler als Abgesandten der Kaiserin vor¬
gestellt und sich "in anscheinend wohlmeinender Absicht" erboten habe, auf Grund
einer zwischen dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee und der Kaiserin zu er¬
zielenden Verständigung den Abschluß des Friedens anzubahnen. Daß sich
Bismarck mit diesem sonderbaren Schwärmer eingelassen hatte, erklärt sich einfach
daraus, daß ja die Deutschen, denen an Abschluß eines sichern Friedens ebenfalls
liegen mußte, gar kein Risiko dabei hatten, wenn sie selbst durch einen so wunder¬
lichen Menschen mit der staatsrechtlich einzig dazu befugten Stelle einen
Friedensschluß anbahnten oder doch wenigstens, was immer wünschenswerter
wurde, die Truppen vor Metz zur anderweiten Verwendung freimachten. Anders
stand es um den Marschall. Er übernahm eine große, verhängnisvolle Ver¬
antwortung, wenn er auf so unbestimmte Legitimation hin sich auf Anbahnung
von Verhandlungen einließ. Man kann seinen Schmerzensschrei bei der Ver¬
handlung über diese ihm so verhängnisvoll gewordnen Vorgänge begreifen:
Ich wußte ja gar nicht, rief er aus, wie weit die Macht der gesetzlichen
Regierung, wie weit die der nationalen Verteidigung ging; ich war eben in
einer ganz außergewöhnlichen Ausnahmestellung. Nichts war mehr da! (Kiön
v'sxiswit, xlns.) Auf diesen Aufschrei eines gequälten Herzens erfolgte dann
vom Vorsitzenden die große, aber nichtssagende Phrase: Nais Is. ?riwos
exi8t-z.it ton^our8!

Wieder trat völlige Abgeschlossenheit ein, und es begann sich das Gespenst
des Hungers zu zeigen, der Hauptzweck des Ausfalls vom 29-/30. September,
Lebensmittel zu erlangen, schlug fehl, die vierhundert Wagen kehrten leer nach
Metz zurück. Alle Berichte meldeten die wachsende Schwierigkeit der Ver¬
pflegung, die reißende Abnahme der Lebensmittel, die Zunahme der Zucht-
losigkeit. So sah man sich denn zu Verhandlungen gezwungen. nachzuweisen,
daß der Beginn am 10. Oktober zu früh gewesen sei, ist nicht gelungen. Be-


die Schwierigkeiten der thatsächlichen Regierung zu vermehren. Nach Metz
zurückzukehren wurde dem General Bourbaki nicht gestattet, er ging zu den
Heeren, die sich im Süden Frankreichs bildeten.

Für Bazaine hatte diese Episode nun noch das Nachspiel der schon erwähnten
Anfrage aus Ferneres und seine ungeschickte Antwort darauf. Regnier, der als
Sendbote Bismcircks angesehen wurde, hat dies mündlich und in seiner Schrift
(just «se votrs vom? lebhaft in Abrede gestellt und behauptet, daß ihn nur das
Mitleid mit seinem dem Feinde rettungslos preisgegebnen Vaterlande und der
Wunsch, mit den einzig rechtlich befugten Stellen Friedensverhandlungen anzu¬
bahnen, zu seinem Vorgehen bewogen hätten. Seiner Vernehmung in Trianon
entzog er sich aber durch eine Reise nach der Schweiz. Er richtete an das
Kriegsgericht ein Schreiben, worin er nnter nochmaliger Beteuerung seiner guten
Absichten sein Ausbleiben damit begründete, daß er für seine persönliche Sicher¬
heit fürchte. Die deutsche Darstellung berichtet kurz, daß ein „aus England
gekommner Franzose" sich dem Bundeskanzler als Abgesandten der Kaiserin vor¬
gestellt und sich „in anscheinend wohlmeinender Absicht" erboten habe, auf Grund
einer zwischen dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee und der Kaiserin zu er¬
zielenden Verständigung den Abschluß des Friedens anzubahnen. Daß sich
Bismarck mit diesem sonderbaren Schwärmer eingelassen hatte, erklärt sich einfach
daraus, daß ja die Deutschen, denen an Abschluß eines sichern Friedens ebenfalls
liegen mußte, gar kein Risiko dabei hatten, wenn sie selbst durch einen so wunder¬
lichen Menschen mit der staatsrechtlich einzig dazu befugten Stelle einen
Friedensschluß anbahnten oder doch wenigstens, was immer wünschenswerter
wurde, die Truppen vor Metz zur anderweiten Verwendung freimachten. Anders
stand es um den Marschall. Er übernahm eine große, verhängnisvolle Ver¬
antwortung, wenn er auf so unbestimmte Legitimation hin sich auf Anbahnung
von Verhandlungen einließ. Man kann seinen Schmerzensschrei bei der Ver¬
handlung über diese ihm so verhängnisvoll gewordnen Vorgänge begreifen:
Ich wußte ja gar nicht, rief er aus, wie weit die Macht der gesetzlichen
Regierung, wie weit die der nationalen Verteidigung ging; ich war eben in
einer ganz außergewöhnlichen Ausnahmestellung. Nichts war mehr da! (Kiön
v'sxiswit, xlns.) Auf diesen Aufschrei eines gequälten Herzens erfolgte dann
vom Vorsitzenden die große, aber nichtssagende Phrase: Nais Is. ?riwos
exi8t-z.it ton^our8!

Wieder trat völlige Abgeschlossenheit ein, und es begann sich das Gespenst
des Hungers zu zeigen, der Hauptzweck des Ausfalls vom 29-/30. September,
Lebensmittel zu erlangen, schlug fehl, die vierhundert Wagen kehrten leer nach
Metz zurück. Alle Berichte meldeten die wachsende Schwierigkeit der Ver¬
pflegung, die reißende Abnahme der Lebensmittel, die Zunahme der Zucht-
losigkeit. So sah man sich denn zu Verhandlungen gezwungen. nachzuweisen,
daß der Beginn am 10. Oktober zu früh gewesen sei, ist nicht gelungen. Be-


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[0523] die Schwierigkeiten der thatsächlichen Regierung zu vermehren. Nach Metz zurückzukehren wurde dem General Bourbaki nicht gestattet, er ging zu den Heeren, die sich im Süden Frankreichs bildeten. Für Bazaine hatte diese Episode nun noch das Nachspiel der schon erwähnten Anfrage aus Ferneres und seine ungeschickte Antwort darauf. Regnier, der als Sendbote Bismcircks angesehen wurde, hat dies mündlich und in seiner Schrift (just «se votrs vom? lebhaft in Abrede gestellt und behauptet, daß ihn nur das Mitleid mit seinem dem Feinde rettungslos preisgegebnen Vaterlande und der Wunsch, mit den einzig rechtlich befugten Stellen Friedensverhandlungen anzu¬ bahnen, zu seinem Vorgehen bewogen hätten. Seiner Vernehmung in Trianon entzog er sich aber durch eine Reise nach der Schweiz. Er richtete an das Kriegsgericht ein Schreiben, worin er nnter nochmaliger Beteuerung seiner guten Absichten sein Ausbleiben damit begründete, daß er für seine persönliche Sicher¬ heit fürchte. Die deutsche Darstellung berichtet kurz, daß ein „aus England gekommner Franzose" sich dem Bundeskanzler als Abgesandten der Kaiserin vor¬ gestellt und sich „in anscheinend wohlmeinender Absicht" erboten habe, auf Grund einer zwischen dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee und der Kaiserin zu er¬ zielenden Verständigung den Abschluß des Friedens anzubahnen. Daß sich Bismarck mit diesem sonderbaren Schwärmer eingelassen hatte, erklärt sich einfach daraus, daß ja die Deutschen, denen an Abschluß eines sichern Friedens ebenfalls liegen mußte, gar kein Risiko dabei hatten, wenn sie selbst durch einen so wunder¬ lichen Menschen mit der staatsrechtlich einzig dazu befugten Stelle einen Friedensschluß anbahnten oder doch wenigstens, was immer wünschenswerter wurde, die Truppen vor Metz zur anderweiten Verwendung freimachten. Anders stand es um den Marschall. Er übernahm eine große, verhängnisvolle Ver¬ antwortung, wenn er auf so unbestimmte Legitimation hin sich auf Anbahnung von Verhandlungen einließ. Man kann seinen Schmerzensschrei bei der Ver¬ handlung über diese ihm so verhängnisvoll gewordnen Vorgänge begreifen: Ich wußte ja gar nicht, rief er aus, wie weit die Macht der gesetzlichen Regierung, wie weit die der nationalen Verteidigung ging; ich war eben in einer ganz außergewöhnlichen Ausnahmestellung. Nichts war mehr da! (Kiön v'sxiswit, xlns.) Auf diesen Aufschrei eines gequälten Herzens erfolgte dann vom Vorsitzenden die große, aber nichtssagende Phrase: Nais Is. ?riwos exi8t-z.it ton^our8! Wieder trat völlige Abgeschlossenheit ein, und es begann sich das Gespenst des Hungers zu zeigen, der Hauptzweck des Ausfalls vom 29-/30. September, Lebensmittel zu erlangen, schlug fehl, die vierhundert Wagen kehrten leer nach Metz zurück. Alle Berichte meldeten die wachsende Schwierigkeit der Ver¬ pflegung, die reißende Abnahme der Lebensmittel, die Zunahme der Zucht- losigkeit. So sah man sich denn zu Verhandlungen gezwungen. nachzuweisen, daß der Beginn am 10. Oktober zu früh gewesen sei, ist nicht gelungen. Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/523>, abgerufen am 23.07.2024.