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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

sei, die Fahnen, das Kriegsmaterial, die Forts vor dem Abschluß zu ver¬
nichten, sind geteilt, an Deklamationen über die nun in Berlin als Zeichen der
Niederlage hängenden Fahnen fehlt es natürlich nicht.

Vernichtend aber für den Angeklagten sind die Feststellungen über seine
vorzeitigen Verhandlungen mit dem Feinde. Der ganze vor fünfundzwanzig
Jahren so rätselhaft erscheinende Beginn dieser Verhandlungen ist, wie man
jetzt wohl annehmen kann, der Anfang zu dem schweren Mißgriffe des Mar¬
schalls gewesen. Er ist so sonderbar und zum Teil so tragikomisch, daß es
sich wohl verlohnt, die Erinnerung an ihn aufzufrischen. Vergegenwärtigen
wir uns zunächst die Lage der Dinge.

Seit den letzten Tagen des August hatte alle Verbindung des eingeschlossenen
Heeres mit dein übrigen Frankreich aufgehört. Am 4. oder 5. September be¬
richteten ausgewechselte Gefangne von der Katastrophe bei Sedan, von dem
Befehlshaber der Belagerungsarmee wurden Zeitungen gesandt, die die Ge¬
fangennahme des Kaisers und die Einsetzung einer neuen Negierung mitteilten;
auch wurde ein von den deutschen Behörden in den InclgvLnclxmt, rvinois vom
11. September gebrachter Artikel bekannt, worin ausgeführt wurde, daß die
deutschen Behörden die neue Regierung nicht anerkennten, sondern nur mit der
Kaiserin oder dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee Frieden schließen könnten.
Darauf blieb alles still, eine Mitteilung der neuen Negierung gelangte nicht
an den Marschall, Boten von ihm kamen nicht mehr durch die nun völlig
geschlossenen, unermüdlich bewachten Linien. Da stellte sich am 23. September
ein mit der Genfer Binde versehener Mann bei den französischen Vorposten
ein, zeigte einen Passirschein des Grafen Bismarck vor und verlangte zum
Marschall geführt zu werden. Diesem stellte er sich als ein in Veaulieu lebender
Rentner Regnier vor, zeigte auch den von Bismarck ausgestellten Passirschein
und behauptete von der in Hastings lebenden Kaiserin abgesendet zu sein, um
sich mit Bazaine wegen Anbahnung von Friedensverhandlungen in Verbindung
zu setzen. Als Legitimation seiner Sendung zeigte er eine Photographie von
Hastings, auf deren Rückseite sich die Unterschrift des kaiserlichen Prinzen be¬
fand. Dieselbe Angabe unter Vorzeigung derselben wunderlichen Legitimations-
nrknndc hatte er auch dem Bundeskanzler gemacht.

Seine Bitte an Bazaine, er möge seinen Namen neben den des kaiser¬
lichen Prinzen setzen und ihm erlauben, mit dem Marschall Canrobert und dem
General Vourbaki zu verhandeln, ob sich einer von ihnen zur Kaiserin begeben
wolle, wurde ohne Zögern bewilligt, Canrobert lehnte ab, Bvurbaki aber reiste
am nächsten Tage mit schriftlicher Ermächtigung Bazaines und stillschweigender
Duldung des Prinzen Friedrich Karl in Zivil und unter dem Schutze eines für
belgische Ärzte erteilten Passirscheins nach Hastings zur Kaiserin und erfuhr
dort, daß sie Regnier gar nicht kenne, noch weniger beauftragt habe und es
ablehne, sich mit den Deutschen in Friedensverhandlungen einzulassen und so


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

sei, die Fahnen, das Kriegsmaterial, die Forts vor dem Abschluß zu ver¬
nichten, sind geteilt, an Deklamationen über die nun in Berlin als Zeichen der
Niederlage hängenden Fahnen fehlt es natürlich nicht.

Vernichtend aber für den Angeklagten sind die Feststellungen über seine
vorzeitigen Verhandlungen mit dem Feinde. Der ganze vor fünfundzwanzig
Jahren so rätselhaft erscheinende Beginn dieser Verhandlungen ist, wie man
jetzt wohl annehmen kann, der Anfang zu dem schweren Mißgriffe des Mar¬
schalls gewesen. Er ist so sonderbar und zum Teil so tragikomisch, daß es
sich wohl verlohnt, die Erinnerung an ihn aufzufrischen. Vergegenwärtigen
wir uns zunächst die Lage der Dinge.

Seit den letzten Tagen des August hatte alle Verbindung des eingeschlossenen
Heeres mit dein übrigen Frankreich aufgehört. Am 4. oder 5. September be¬
richteten ausgewechselte Gefangne von der Katastrophe bei Sedan, von dem
Befehlshaber der Belagerungsarmee wurden Zeitungen gesandt, die die Ge¬
fangennahme des Kaisers und die Einsetzung einer neuen Negierung mitteilten;
auch wurde ein von den deutschen Behörden in den InclgvLnclxmt, rvinois vom
11. September gebrachter Artikel bekannt, worin ausgeführt wurde, daß die
deutschen Behörden die neue Regierung nicht anerkennten, sondern nur mit der
Kaiserin oder dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee Frieden schließen könnten.
Darauf blieb alles still, eine Mitteilung der neuen Negierung gelangte nicht
an den Marschall, Boten von ihm kamen nicht mehr durch die nun völlig
geschlossenen, unermüdlich bewachten Linien. Da stellte sich am 23. September
ein mit der Genfer Binde versehener Mann bei den französischen Vorposten
ein, zeigte einen Passirschein des Grafen Bismarck vor und verlangte zum
Marschall geführt zu werden. Diesem stellte er sich als ein in Veaulieu lebender
Rentner Regnier vor, zeigte auch den von Bismarck ausgestellten Passirschein
und behauptete von der in Hastings lebenden Kaiserin abgesendet zu sein, um
sich mit Bazaine wegen Anbahnung von Friedensverhandlungen in Verbindung
zu setzen. Als Legitimation seiner Sendung zeigte er eine Photographie von
Hastings, auf deren Rückseite sich die Unterschrift des kaiserlichen Prinzen be¬
fand. Dieselbe Angabe unter Vorzeigung derselben wunderlichen Legitimations-
nrknndc hatte er auch dem Bundeskanzler gemacht.

Seine Bitte an Bazaine, er möge seinen Namen neben den des kaiser¬
lichen Prinzen setzen und ihm erlauben, mit dem Marschall Canrobert und dem
General Vourbaki zu verhandeln, ob sich einer von ihnen zur Kaiserin begeben
wolle, wurde ohne Zögern bewilligt, Canrobert lehnte ab, Bvurbaki aber reiste
am nächsten Tage mit schriftlicher Ermächtigung Bazaines und stillschweigender
Duldung des Prinzen Friedrich Karl in Zivil und unter dem Schutze eines für
belgische Ärzte erteilten Passirscheins nach Hastings zur Kaiserin und erfuhr
dort, daß sie Regnier gar nicht kenne, noch weniger beauftragt habe und es
ablehne, sich mit den Deutschen in Friedensverhandlungen einzulassen und so


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[0522] Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren sei, die Fahnen, das Kriegsmaterial, die Forts vor dem Abschluß zu ver¬ nichten, sind geteilt, an Deklamationen über die nun in Berlin als Zeichen der Niederlage hängenden Fahnen fehlt es natürlich nicht. Vernichtend aber für den Angeklagten sind die Feststellungen über seine vorzeitigen Verhandlungen mit dem Feinde. Der ganze vor fünfundzwanzig Jahren so rätselhaft erscheinende Beginn dieser Verhandlungen ist, wie man jetzt wohl annehmen kann, der Anfang zu dem schweren Mißgriffe des Mar¬ schalls gewesen. Er ist so sonderbar und zum Teil so tragikomisch, daß es sich wohl verlohnt, die Erinnerung an ihn aufzufrischen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Lage der Dinge. Seit den letzten Tagen des August hatte alle Verbindung des eingeschlossenen Heeres mit dein übrigen Frankreich aufgehört. Am 4. oder 5. September be¬ richteten ausgewechselte Gefangne von der Katastrophe bei Sedan, von dem Befehlshaber der Belagerungsarmee wurden Zeitungen gesandt, die die Ge¬ fangennahme des Kaisers und die Einsetzung einer neuen Negierung mitteilten; auch wurde ein von den deutschen Behörden in den InclgvLnclxmt, rvinois vom 11. September gebrachter Artikel bekannt, worin ausgeführt wurde, daß die deutschen Behörden die neue Regierung nicht anerkennten, sondern nur mit der Kaiserin oder dem Oberbefehlshaber der Rheinarmee Frieden schließen könnten. Darauf blieb alles still, eine Mitteilung der neuen Negierung gelangte nicht an den Marschall, Boten von ihm kamen nicht mehr durch die nun völlig geschlossenen, unermüdlich bewachten Linien. Da stellte sich am 23. September ein mit der Genfer Binde versehener Mann bei den französischen Vorposten ein, zeigte einen Passirschein des Grafen Bismarck vor und verlangte zum Marschall geführt zu werden. Diesem stellte er sich als ein in Veaulieu lebender Rentner Regnier vor, zeigte auch den von Bismarck ausgestellten Passirschein und behauptete von der in Hastings lebenden Kaiserin abgesendet zu sein, um sich mit Bazaine wegen Anbahnung von Friedensverhandlungen in Verbindung zu setzen. Als Legitimation seiner Sendung zeigte er eine Photographie von Hastings, auf deren Rückseite sich die Unterschrift des kaiserlichen Prinzen be¬ fand. Dieselbe Angabe unter Vorzeigung derselben wunderlichen Legitimations- nrknndc hatte er auch dem Bundeskanzler gemacht. Seine Bitte an Bazaine, er möge seinen Namen neben den des kaiser¬ lichen Prinzen setzen und ihm erlauben, mit dem Marschall Canrobert und dem General Vourbaki zu verhandeln, ob sich einer von ihnen zur Kaiserin begeben wolle, wurde ohne Zögern bewilligt, Canrobert lehnte ab, Bvurbaki aber reiste am nächsten Tage mit schriftlicher Ermächtigung Bazaines und stillschweigender Duldung des Prinzen Friedrich Karl in Zivil und unter dem Schutze eines für belgische Ärzte erteilten Passirscheins nach Hastings zur Kaiserin und erfuhr dort, daß sie Regnier gar nicht kenne, noch weniger beauftragt habe und es ablehne, sich mit den Deutschen in Friedensverhandlungen einzulassen und so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/522>, abgerufen am 23.07.2024.