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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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leiten der untern Beamten anführen; bei den Vorwürfen über die Verhand¬
lungen mit dem Feinde, die überhaupt den wundesten Punkt in seiner Hand¬
lungsweise bilden, verläßt ihn alle Sicherheit, er nimmt seine Zuflucht zu den
traurigsten Ausreden. Hierfür nur ein bezeichnendes Beispiel aus der Sitzung
von 17. Oktober. Es handelt sich um die Tage nach den Verhandlungen
mit Regnier. Der Vorsitzende hält dem Marschall vor, daß er am 29. Sep¬
tember -- also vier Wochen vor der Kapitulation! -- durch einen Parlamentär
eine Depesche aus Ferneres, dem damaligen Hauptquartier des Königs von
Preußen, erhalten habe, worin angefragt worden sei, ob er zur Übergabe der
um Metz versammelten Truppen unter den von Regnier angegebnen Bedingungen
bereit sei, soweit diese innerhalb seiner Instruktion seien, und daß er darauf
-- und zwar schriftlich! -- geantwortet habe, daß er bezüglich der Truppen
-- nicht aber der Festung -- auf eine Kapitulation mit allen kriegerischen
Ehren eingehen werde. Der Vorsitzende knüpft daran die Frage, ob sich der
Marschall denn nicht bewußt sei, wie schwer er sich durch diese Antwort dem
Grafen Vismarck gegenüber kompromittirt habe. Bazaine antwortet darauf
Ich wollte ihm eine Falle stellen. (O'sse un xieM, pus tut töuäcüs!)
Zutreffend bemerkt der Prozeßbericht, daß die Antwort des Angeklagten all¬
gemeine Erregung hervorgerufen habe, und daß man lebhaft Parallelen gezogen
habe zwischen "dem Meister der diplomatischen List" (mMro as 1a, russ
6ixlom3,ti<zuo) und dem Marschall, der ihn habe hintergehen (trornxgr) wollen.

Die Beweisaufnahme nahm die Sitzungen in der Zeit vom 18. Oktober
bis zum 2. Dezember in Anspruch. Der Vorsitzende zeigte dabei, abgesehen
von der riesigen körperlichen Anstrengung, eine solche Klarheit in der Be¬
herrschung des übergewaltigen Stoffs und eine so anerkennenswerte Sachlich¬
keit und Unparteilichkeit, daß man seine Leitung, abgesehen von einigen durch
die natürliche Erschöpfung wohl erklärlichen Zwischenfälle, als ganz hervor¬
ragende Leistung bezeichnen muß. Sonderbar erscheint uns Deutschen der Spiel¬
raum, den er oft recht fragwürdigen Personen einräumt, die unter allerlei
Führnissen durch die deutschen Linien gelangt sind, um oorain xublieo ihre
kleinen Großthaten zu rühmen und dafür "beglückwünscht" zu werden, eigen¬
tümlich mutet uns die Geduld an, mit denen die Phrasen-, ja oft thrünenreichen
Ergüsse und patriotischen Reden früherer Bürger von Metz und andern loth¬
ringischen Städten angehört und dankbar belobt werden.

Wie Heldeugesänge aber lesen sich die in so wohlklingender Sprache ab¬
gegebnen Aussagen der Marschülle Palikao, Canrobert, Leboeuf, der Generale
Cissey, Frossard, Lebrun und andrer, wenn sie die Augustschlachten und ihren
Anteil daran schildern. Keiner dieser hervorragenden Krieger belastet den
Marschall, alle erkennen seine Tapferkeit und seine militärische Tüchtigkeit
an und deuten auf die ausnehmend schwierige Lage hin, in der er den Ober¬
befehl übernommen hatte. Selbst General Jarras, der, obwohl er persönlich


leiten der untern Beamten anführen; bei den Vorwürfen über die Verhand¬
lungen mit dem Feinde, die überhaupt den wundesten Punkt in seiner Hand¬
lungsweise bilden, verläßt ihn alle Sicherheit, er nimmt seine Zuflucht zu den
traurigsten Ausreden. Hierfür nur ein bezeichnendes Beispiel aus der Sitzung
von 17. Oktober. Es handelt sich um die Tage nach den Verhandlungen
mit Regnier. Der Vorsitzende hält dem Marschall vor, daß er am 29. Sep¬
tember — also vier Wochen vor der Kapitulation! — durch einen Parlamentär
eine Depesche aus Ferneres, dem damaligen Hauptquartier des Königs von
Preußen, erhalten habe, worin angefragt worden sei, ob er zur Übergabe der
um Metz versammelten Truppen unter den von Regnier angegebnen Bedingungen
bereit sei, soweit diese innerhalb seiner Instruktion seien, und daß er darauf
— und zwar schriftlich! — geantwortet habe, daß er bezüglich der Truppen
— nicht aber der Festung — auf eine Kapitulation mit allen kriegerischen
Ehren eingehen werde. Der Vorsitzende knüpft daran die Frage, ob sich der
Marschall denn nicht bewußt sei, wie schwer er sich durch diese Antwort dem
Grafen Vismarck gegenüber kompromittirt habe. Bazaine antwortet darauf
Ich wollte ihm eine Falle stellen. (O'sse un xieM, pus tut töuäcüs!)
Zutreffend bemerkt der Prozeßbericht, daß die Antwort des Angeklagten all¬
gemeine Erregung hervorgerufen habe, und daß man lebhaft Parallelen gezogen
habe zwischen „dem Meister der diplomatischen List" (mMro as 1a, russ
6ixlom3,ti<zuo) und dem Marschall, der ihn habe hintergehen (trornxgr) wollen.

Die Beweisaufnahme nahm die Sitzungen in der Zeit vom 18. Oktober
bis zum 2. Dezember in Anspruch. Der Vorsitzende zeigte dabei, abgesehen
von der riesigen körperlichen Anstrengung, eine solche Klarheit in der Be¬
herrschung des übergewaltigen Stoffs und eine so anerkennenswerte Sachlich¬
keit und Unparteilichkeit, daß man seine Leitung, abgesehen von einigen durch
die natürliche Erschöpfung wohl erklärlichen Zwischenfälle, als ganz hervor¬
ragende Leistung bezeichnen muß. Sonderbar erscheint uns Deutschen der Spiel¬
raum, den er oft recht fragwürdigen Personen einräumt, die unter allerlei
Führnissen durch die deutschen Linien gelangt sind, um oorain xublieo ihre
kleinen Großthaten zu rühmen und dafür „beglückwünscht" zu werden, eigen¬
tümlich mutet uns die Geduld an, mit denen die Phrasen-, ja oft thrünenreichen
Ergüsse und patriotischen Reden früherer Bürger von Metz und andern loth¬
ringischen Städten angehört und dankbar belobt werden.

Wie Heldeugesänge aber lesen sich die in so wohlklingender Sprache ab¬
gegebnen Aussagen der Marschülle Palikao, Canrobert, Leboeuf, der Generale
Cissey, Frossard, Lebrun und andrer, wenn sie die Augustschlachten und ihren
Anteil daran schildern. Keiner dieser hervorragenden Krieger belastet den
Marschall, alle erkennen seine Tapferkeit und seine militärische Tüchtigkeit
an und deuten auf die ausnehmend schwierige Lage hin, in der er den Ober¬
befehl übernommen hatte. Selbst General Jarras, der, obwohl er persönlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/519>, abgerufen am 23.07.2024.