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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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ver Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

1848 Oberstleutnant, erhielt er 1850 das Kommando der Fremdenlegion. Im
Krimkrieg zeichnete er sich besonders aus und kehrte 1854 als Brigadegeneral
ruhmbedeckt, wenn auch in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt, nach Frank¬
reich zurück. Populär wurde er erst, als er 1363 zum Oberbefehlshaber der
mexikanischen Expedition an Stelle des Generals Forey ernannt wurde und
dessen Mißerfolge schneidig wett machte. Die Einnahme von Puebla und der
Sieg von Opcicca trugen seinen Namen in alle Welt. Als sich Napoleon in¬
folge der Einmischung der Vereinigten Staaten gezwungen sah, das mexikanische
Abenteuer aufzugeben und seine Truppen zurückzurufen, leitete Bazaine seinen
Rückzug durch das erregte feindliche Land zur Küste in einer solchen Weise,
daß dieser Marsch noch jetzt als ein Meisterstück der Strategie gilt. Gleich¬
zeitig trat aber auch seine Habsucht und Brutalität dabei zu Tage; die all¬
gemeine Stimme gab seiner Rücksichtslosigkeit die Schuld an dem traurigen
Ende des unglücklichen verlassenen Kaisers Max. Darnach wurde er Marschall
von Frankreich; er hatte sich auch in Mexiko mit einer reichen Dame ver¬
heiratet. Seit seiner Rückkehr aus Mexiko wurde sein Name öffentlich nicht
mehr genannt, bis ihn die unerwartet eingetretene äußerste Not des Vaterlands
an die erste Stelle brachte.

Aus der Niedrigkeit durch eigne Kraft in glänzender Laufbahn zu der
höchsten Ehrenstelle gelangt, stand er auch äußerlich ungebeugt vor seinen
Richtern. In würdiger Weise widerlegte er die Vorwürfe in dem ersten Teil
des Berichts. Nach deutscher Auffassung wäre vielleicht diese Widerlegung
noch vollständiger gewesen, wenn er die Minderwertigkeit der damaligen fran¬
zösischen Armee den Deutschen gegenüber betont oder nachgewiesen Hütte. Aber
sei es, daß er als Franzose selbst dagegen blind war, sei es, daß er sich
scheute, in öffentlicher Verhandlung den so schon erregten Nationalstolz zu
beleidigen, nirgends hat er vor dem Gerichtshof die überlegne Organisation
der deutschen Mobilmachung erwähnt, nirgends das betont, was nach Ansicht
deutscher Militärschriftsteller als eine der Hauptursachen der Niederlagen
Frankreichs angegeben wird: die geringere Marschfühigkeit der Franzosen,
verbunden mit den Mängeln des Sicherheits- und Verpflegungsdienstes. Als
bezeugt wurde, daß er einmal in der Schlacht vom 16. August beim Anblick
einer in volle Verwirrung geratenen Truppe ausgerufen habe: Was soll ich
mit solchen Leute" anfangen! entschuldigte er sich noch mit augenblicklicher Ver¬
stimmung !

Weniger sicher ist seine Verteidigung gegen die Vorwürfe der hinsichtlich
der Verpflegung und Sicherung der Vorräte getroffenen mangelhaften Ma߬
regeln; geradezu kläglich aber wird sie, wenn er die voreiligen Verhand¬
lungen mit dem Feinde zu verteidigen versucht. Gegen die erstgenannten
Vorwürfe kann er noch mit einigem Erfolg die widersprechenden und unge¬
nauen Berichte der leitenden Beamten und die Nachlässigkeiten, ja Pflichtwidrig-


ver Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

1848 Oberstleutnant, erhielt er 1850 das Kommando der Fremdenlegion. Im
Krimkrieg zeichnete er sich besonders aus und kehrte 1854 als Brigadegeneral
ruhmbedeckt, wenn auch in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt, nach Frank¬
reich zurück. Populär wurde er erst, als er 1363 zum Oberbefehlshaber der
mexikanischen Expedition an Stelle des Generals Forey ernannt wurde und
dessen Mißerfolge schneidig wett machte. Die Einnahme von Puebla und der
Sieg von Opcicca trugen seinen Namen in alle Welt. Als sich Napoleon in¬
folge der Einmischung der Vereinigten Staaten gezwungen sah, das mexikanische
Abenteuer aufzugeben und seine Truppen zurückzurufen, leitete Bazaine seinen
Rückzug durch das erregte feindliche Land zur Küste in einer solchen Weise,
daß dieser Marsch noch jetzt als ein Meisterstück der Strategie gilt. Gleich¬
zeitig trat aber auch seine Habsucht und Brutalität dabei zu Tage; die all¬
gemeine Stimme gab seiner Rücksichtslosigkeit die Schuld an dem traurigen
Ende des unglücklichen verlassenen Kaisers Max. Darnach wurde er Marschall
von Frankreich; er hatte sich auch in Mexiko mit einer reichen Dame ver¬
heiratet. Seit seiner Rückkehr aus Mexiko wurde sein Name öffentlich nicht
mehr genannt, bis ihn die unerwartet eingetretene äußerste Not des Vaterlands
an die erste Stelle brachte.

Aus der Niedrigkeit durch eigne Kraft in glänzender Laufbahn zu der
höchsten Ehrenstelle gelangt, stand er auch äußerlich ungebeugt vor seinen
Richtern. In würdiger Weise widerlegte er die Vorwürfe in dem ersten Teil
des Berichts. Nach deutscher Auffassung wäre vielleicht diese Widerlegung
noch vollständiger gewesen, wenn er die Minderwertigkeit der damaligen fran¬
zösischen Armee den Deutschen gegenüber betont oder nachgewiesen Hütte. Aber
sei es, daß er als Franzose selbst dagegen blind war, sei es, daß er sich
scheute, in öffentlicher Verhandlung den so schon erregten Nationalstolz zu
beleidigen, nirgends hat er vor dem Gerichtshof die überlegne Organisation
der deutschen Mobilmachung erwähnt, nirgends das betont, was nach Ansicht
deutscher Militärschriftsteller als eine der Hauptursachen der Niederlagen
Frankreichs angegeben wird: die geringere Marschfühigkeit der Franzosen,
verbunden mit den Mängeln des Sicherheits- und Verpflegungsdienstes. Als
bezeugt wurde, daß er einmal in der Schlacht vom 16. August beim Anblick
einer in volle Verwirrung geratenen Truppe ausgerufen habe: Was soll ich
mit solchen Leute» anfangen! entschuldigte er sich noch mit augenblicklicher Ver¬
stimmung !

Weniger sicher ist seine Verteidigung gegen die Vorwürfe der hinsichtlich
der Verpflegung und Sicherung der Vorräte getroffenen mangelhaften Ma߬
regeln; geradezu kläglich aber wird sie, wenn er die voreiligen Verhand¬
lungen mit dem Feinde zu verteidigen versucht. Gegen die erstgenannten
Vorwürfe kann er noch mit einigem Erfolg die widersprechenden und unge¬
nauen Berichte der leitenden Beamten und die Nachlässigkeiten, ja Pflichtwidrig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/518>, abgerufen am 23.07.2024.