Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

wiescne Unthätigkeit vor. Statt den Feind durch fortwährende Gefechte in
Unruhe zu versetzen, ihm Schaden zuzufügen und dadurch auch den kriegerischen
Sinn der eignen Truppen zu erhalten und zu erhöhen, auch Gelegenheiten zur
Wegnahme von Lebensmitteln zu suchen, habe er seine Leute nur mit Arbeiten
an den Forts und kleinem Dienst beschäftigt und nur am 29. und 30. August
ein mangelhaft vorbereitetes, schlecht geführtes und wieder ohne Not erfolglos
aufgegebnes Ausfallgefecht befohlen. Er habe unterlassen, nachdem er durch
ausgewechselte Gefangne und vom Feinde übersandte Zeitungen von der Kapi¬
tulation von Sedan, der Gefangennahme des Kaisers und der Einsetzung einer
Negierung der nationalen Verteidigung Mitteilung erhalten habe, sich mit der
Negierung in Verbindung zu setzen, dagegen habe er sich nicht nur mit dem
Lisur RöMisr eingelassen, um durch die Kaiserin einen Friedensschluß herbei¬
zuführen, sondern sogar schon damals, wo ihn noch keine Not drängte, dem
Feinde gegenüber schriftlich auf eine Kapitulation hingewiesen. Hieraus folgert
der Bericht, daß Bazaine beabsichtigt habe, sich mit dem Feinde zu einigen,
um mit seinem Heere gegen die thatsächlich bestehende Regierung aufzutreten
und so den Bürgerkrieg zu entflammen. Endlich enthält dieser Teil die Vor¬
würfe, daß durch Schuld des Marschalls die Vorräte schlecht gesichert gewesen
und durch nachlässige Überwachung des Verbrauchs mehrere Wochen eher zu
Ende gegangen seien, als es nötig gewesen wäre.

Der dritte Teil des Berichts unterzieht die bei herannahender Hungersnot
unabweislich gewordnen Kapitulationsverhandlungeu einer bittern Kritik. Die
Verhandlungen seien im Widerspruch mit den Dienstvorschriften vorzeitig be¬
gonnen und kopflos geführt worden; der Abschluß sei überhastet worden, und
bei der Ausführung der Übergabe habe der Marschall weder die Ehre der Waffen,
noch das Interesse des Landes gewahrt. In den leidenschaftlichsten Worten
wird gerügt, daß die Vernichtung der Fahnen und des Kriegsmaterials, sowie
die Sprengung der Forts unterlassen worden, und daß in den Kapitula-
tivnsbedingungen das Schicksal der Offiziere von dem ihrer Leute getrennt
worden sei.

Das nun folgende Verhör des Angeklagten nahm vier Sitzungen in An¬
spruch. Es verlief im großen und ganzen würdig und sachlich.

Es war kein liebenswürdiger Herr, dieser Marschall von Frankreich,
wenigstens nicht für solche, die ihm ferne standen, aber immerhin ein persönlich
tapferer und energischer, wenn auch brutaler Mann. Seine Familie und ein
großer Teil seiner Freunde haben ihm Liebe und Freundschaft mich im Unglück
und in der Erniedrigung bewahrt. Im Jahre 1810 in Versailles geboren,
stammte er aus einer vermögenslosen Familie. 1831 ließ er sich als Gemeiner
für die afrikanischen Truppen anwerben und zeichnete sich so durch Tapferkeit
aus, daß er schon 1835 zum Leutnant befördert wurde und das Kreuz der
Ehrenlegion erhielt. Im Jahre 1837 Kapitän, 1844 Bataillonskommandeur,


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

wiescne Unthätigkeit vor. Statt den Feind durch fortwährende Gefechte in
Unruhe zu versetzen, ihm Schaden zuzufügen und dadurch auch den kriegerischen
Sinn der eignen Truppen zu erhalten und zu erhöhen, auch Gelegenheiten zur
Wegnahme von Lebensmitteln zu suchen, habe er seine Leute nur mit Arbeiten
an den Forts und kleinem Dienst beschäftigt und nur am 29. und 30. August
ein mangelhaft vorbereitetes, schlecht geführtes und wieder ohne Not erfolglos
aufgegebnes Ausfallgefecht befohlen. Er habe unterlassen, nachdem er durch
ausgewechselte Gefangne und vom Feinde übersandte Zeitungen von der Kapi¬
tulation von Sedan, der Gefangennahme des Kaisers und der Einsetzung einer
Negierung der nationalen Verteidigung Mitteilung erhalten habe, sich mit der
Negierung in Verbindung zu setzen, dagegen habe er sich nicht nur mit dem
Lisur RöMisr eingelassen, um durch die Kaiserin einen Friedensschluß herbei¬
zuführen, sondern sogar schon damals, wo ihn noch keine Not drängte, dem
Feinde gegenüber schriftlich auf eine Kapitulation hingewiesen. Hieraus folgert
der Bericht, daß Bazaine beabsichtigt habe, sich mit dem Feinde zu einigen,
um mit seinem Heere gegen die thatsächlich bestehende Regierung aufzutreten
und so den Bürgerkrieg zu entflammen. Endlich enthält dieser Teil die Vor¬
würfe, daß durch Schuld des Marschalls die Vorräte schlecht gesichert gewesen
und durch nachlässige Überwachung des Verbrauchs mehrere Wochen eher zu
Ende gegangen seien, als es nötig gewesen wäre.

Der dritte Teil des Berichts unterzieht die bei herannahender Hungersnot
unabweislich gewordnen Kapitulationsverhandlungeu einer bittern Kritik. Die
Verhandlungen seien im Widerspruch mit den Dienstvorschriften vorzeitig be¬
gonnen und kopflos geführt worden; der Abschluß sei überhastet worden, und
bei der Ausführung der Übergabe habe der Marschall weder die Ehre der Waffen,
noch das Interesse des Landes gewahrt. In den leidenschaftlichsten Worten
wird gerügt, daß die Vernichtung der Fahnen und des Kriegsmaterials, sowie
die Sprengung der Forts unterlassen worden, und daß in den Kapitula-
tivnsbedingungen das Schicksal der Offiziere von dem ihrer Leute getrennt
worden sei.

Das nun folgende Verhör des Angeklagten nahm vier Sitzungen in An¬
spruch. Es verlief im großen und ganzen würdig und sachlich.

Es war kein liebenswürdiger Herr, dieser Marschall von Frankreich,
wenigstens nicht für solche, die ihm ferne standen, aber immerhin ein persönlich
tapferer und energischer, wenn auch brutaler Mann. Seine Familie und ein
großer Teil seiner Freunde haben ihm Liebe und Freundschaft mich im Unglück
und in der Erniedrigung bewahrt. Im Jahre 1810 in Versailles geboren,
stammte er aus einer vermögenslosen Familie. 1831 ließ er sich als Gemeiner
für die afrikanischen Truppen anwerben und zeichnete sich so durch Tapferkeit
aus, daß er schon 1835 zum Leutnant befördert wurde und das Kreuz der
Ehrenlegion erhielt. Im Jahre 1837 Kapitän, 1844 Bataillonskommandeur,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225445"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663"> wiescne Unthätigkeit vor. Statt den Feind durch fortwährende Gefechte in<lb/>
Unruhe zu versetzen, ihm Schaden zuzufügen und dadurch auch den kriegerischen<lb/>
Sinn der eignen Truppen zu erhalten und zu erhöhen, auch Gelegenheiten zur<lb/>
Wegnahme von Lebensmitteln zu suchen, habe er seine Leute nur mit Arbeiten<lb/>
an den Forts und kleinem Dienst beschäftigt und nur am 29. und 30. August<lb/>
ein mangelhaft vorbereitetes, schlecht geführtes und wieder ohne Not erfolglos<lb/>
aufgegebnes Ausfallgefecht befohlen. Er habe unterlassen, nachdem er durch<lb/>
ausgewechselte Gefangne und vom Feinde übersandte Zeitungen von der Kapi¬<lb/>
tulation von Sedan, der Gefangennahme des Kaisers und der Einsetzung einer<lb/>
Negierung der nationalen Verteidigung Mitteilung erhalten habe, sich mit der<lb/>
Negierung in Verbindung zu setzen, dagegen habe er sich nicht nur mit dem<lb/>
Lisur RöMisr eingelassen, um durch die Kaiserin einen Friedensschluß herbei¬<lb/>
zuführen, sondern sogar schon damals, wo ihn noch keine Not drängte, dem<lb/>
Feinde gegenüber schriftlich auf eine Kapitulation hingewiesen. Hieraus folgert<lb/>
der Bericht, daß Bazaine beabsichtigt habe, sich mit dem Feinde zu einigen,<lb/>
um mit seinem Heere gegen die thatsächlich bestehende Regierung aufzutreten<lb/>
und so den Bürgerkrieg zu entflammen. Endlich enthält dieser Teil die Vor¬<lb/>
würfe, daß durch Schuld des Marschalls die Vorräte schlecht gesichert gewesen<lb/>
und durch nachlässige Überwachung des Verbrauchs mehrere Wochen eher zu<lb/>
Ende gegangen seien, als es nötig gewesen wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665"> Der dritte Teil des Berichts unterzieht die bei herannahender Hungersnot<lb/>
unabweislich gewordnen Kapitulationsverhandlungeu einer bittern Kritik. Die<lb/>
Verhandlungen seien im Widerspruch mit den Dienstvorschriften vorzeitig be¬<lb/>
gonnen und kopflos geführt worden; der Abschluß sei überhastet worden, und<lb/>
bei der Ausführung der Übergabe habe der Marschall weder die Ehre der Waffen,<lb/>
noch das Interesse des Landes gewahrt. In den leidenschaftlichsten Worten<lb/>
wird gerügt, daß die Vernichtung der Fahnen und des Kriegsmaterials, sowie<lb/>
die Sprengung der Forts unterlassen worden, und daß in den Kapitula-<lb/>
tivnsbedingungen das Schicksal der Offiziere von dem ihrer Leute getrennt<lb/>
worden sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1666"> Das nun folgende Verhör des Angeklagten nahm vier Sitzungen in An¬<lb/>
spruch.  Es verlief im großen und ganzen würdig und sachlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1667" next="#ID_1668"> Es war kein liebenswürdiger Herr, dieser Marschall von Frankreich,<lb/>
wenigstens nicht für solche, die ihm ferne standen, aber immerhin ein persönlich<lb/>
tapferer und energischer, wenn auch brutaler Mann. Seine Familie und ein<lb/>
großer Teil seiner Freunde haben ihm Liebe und Freundschaft mich im Unglück<lb/>
und in der Erniedrigung bewahrt. Im Jahre 1810 in Versailles geboren,<lb/>
stammte er aus einer vermögenslosen Familie. 1831 ließ er sich als Gemeiner<lb/>
für die afrikanischen Truppen anwerben und zeichnete sich so durch Tapferkeit<lb/>
aus, daß er schon 1835 zum Leutnant befördert wurde und das Kreuz der<lb/>
Ehrenlegion erhielt.  Im Jahre 1837 Kapitän, 1844 Bataillonskommandeur,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren wiescne Unthätigkeit vor. Statt den Feind durch fortwährende Gefechte in Unruhe zu versetzen, ihm Schaden zuzufügen und dadurch auch den kriegerischen Sinn der eignen Truppen zu erhalten und zu erhöhen, auch Gelegenheiten zur Wegnahme von Lebensmitteln zu suchen, habe er seine Leute nur mit Arbeiten an den Forts und kleinem Dienst beschäftigt und nur am 29. und 30. August ein mangelhaft vorbereitetes, schlecht geführtes und wieder ohne Not erfolglos aufgegebnes Ausfallgefecht befohlen. Er habe unterlassen, nachdem er durch ausgewechselte Gefangne und vom Feinde übersandte Zeitungen von der Kapi¬ tulation von Sedan, der Gefangennahme des Kaisers und der Einsetzung einer Negierung der nationalen Verteidigung Mitteilung erhalten habe, sich mit der Negierung in Verbindung zu setzen, dagegen habe er sich nicht nur mit dem Lisur RöMisr eingelassen, um durch die Kaiserin einen Friedensschluß herbei¬ zuführen, sondern sogar schon damals, wo ihn noch keine Not drängte, dem Feinde gegenüber schriftlich auf eine Kapitulation hingewiesen. Hieraus folgert der Bericht, daß Bazaine beabsichtigt habe, sich mit dem Feinde zu einigen, um mit seinem Heere gegen die thatsächlich bestehende Regierung aufzutreten und so den Bürgerkrieg zu entflammen. Endlich enthält dieser Teil die Vor¬ würfe, daß durch Schuld des Marschalls die Vorräte schlecht gesichert gewesen und durch nachlässige Überwachung des Verbrauchs mehrere Wochen eher zu Ende gegangen seien, als es nötig gewesen wäre. Der dritte Teil des Berichts unterzieht die bei herannahender Hungersnot unabweislich gewordnen Kapitulationsverhandlungeu einer bittern Kritik. Die Verhandlungen seien im Widerspruch mit den Dienstvorschriften vorzeitig be¬ gonnen und kopflos geführt worden; der Abschluß sei überhastet worden, und bei der Ausführung der Übergabe habe der Marschall weder die Ehre der Waffen, noch das Interesse des Landes gewahrt. In den leidenschaftlichsten Worten wird gerügt, daß die Vernichtung der Fahnen und des Kriegsmaterials, sowie die Sprengung der Forts unterlassen worden, und daß in den Kapitula- tivnsbedingungen das Schicksal der Offiziere von dem ihrer Leute getrennt worden sei. Das nun folgende Verhör des Angeklagten nahm vier Sitzungen in An¬ spruch. Es verlief im großen und ganzen würdig und sachlich. Es war kein liebenswürdiger Herr, dieser Marschall von Frankreich, wenigstens nicht für solche, die ihm ferne standen, aber immerhin ein persönlich tapferer und energischer, wenn auch brutaler Mann. Seine Familie und ein großer Teil seiner Freunde haben ihm Liebe und Freundschaft mich im Unglück und in der Erniedrigung bewahrt. Im Jahre 1810 in Versailles geboren, stammte er aus einer vermögenslosen Familie. 1831 ließ er sich als Gemeiner für die afrikanischen Truppen anwerben und zeichnete sich so durch Tapferkeit aus, daß er schon 1835 zum Leutnant befördert wurde und das Kreuz der Ehrenlegion erhielt. Im Jahre 1837 Kapitän, 1844 Bataillonskommandeur,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/517>, abgerufen am 23.07.2024.