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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

lagen von Weißenburg und Fröschwiller (Wörth) und über seinen Rückzug.
Der Vorsitzende fragt, ob auf diesem Rückzug die Truppen nicht Mangel an
Disziplin gezeigt hätten. Statt nun diese nicht wegzuleugnende Thatsache
zuzugestehen, beginnt der Marschall eine ins einzelne gehende Schilderung der
Tapferkeit der afrikanischen Truppen bei Weißenburg und schließt seine meister¬
haft vorgetragne Erzählung mit folgenden Worten: Die Tapferkeit dieser
Truppen ist eine Thatsache, die vor Ihnen feststellen zu dürfen ich mich glücklich
preise. Sie haben keine großen Verluste gehabt, 1500 Mann einschließlich
eines gefangen genommnen Bataillons. Sie fügten aber dem Feinde große
Verluste durch das Chassepotgewehr zu. Als alte Truppen ließen sie den
Feind bis auf tausend Meter herankommen, um die volle Wirkung ihrer Waffe
auszunützen. Die Preußen zogen ihre Schützen zurück und gingen geschlossen
vor in dem Glauben, die kleine Truppe würde sich ergeben. Sie ergab sich
aber nicht, sondern überschüttete sie mit einem furchtbaren Feuer. Die preu¬
ßischen Berichte sagen, daß unsre Soldaten thatsächlich mehr Feinde getötet
und verwundet hätten, als sie selbst an Zahl waren! Darauf der Vorsitzende:
Sie müssen sehr glücklich sein, eine solche Thatsache berichten zu können, und
die Kommission empfindet eine patriotische Freude (uns Ms vatriotiauch, sie zu
vernehmen.

Bazaine bemerkt zu dieser Szene in der Nechtfertigungsschrift (LMocies
as I-i gusrrs als 1870), die er nach seiner Flucht von Madrid aus veröffent¬
lichte: Huellö xtirasö ü, ig. I>ruäb.c>uns! und man wird ihm nicht Unrecht
geben können; hat er doch in dem Prozeß sehr unter der Neigung zur Phrase
zu leiden gehabt.

Aus den Verhandlungen der parlamentarischen Kommission aber hatte sich,
das kann jetzt unumwunden eingeräumt werden, bis zur völligen Klarheit er¬
geben, daß, wenn Bazaine, wie er doch wohl bei größerer Umsicht gekonnt
hätte, die ihn einschließenden Armeen des Prinzen Friedrich Karl auch nur
noch einige Wochen vor Metz festgehalten Hütte, die Deutschen vor Paris den
vom Süden und Norden zum Entsatz herandrängenden Heeren gegenüber einen
schlimmen Stand gehabt hätten. Als aber die Heerhaufen des Prinzen sofort
nach der Übergabe nach Süden und Norden gegen die letzten zur Befreiung
der Hauptstadt gesammelten Scharen aufbrechen und sie zurückwerfen konnten,
da schwand die letzte Hoffnung auf Sieg oder doch auf Abschwächung der
Niederlage. Durch dies Ergebnis war nun aber der Sündenbock (der fran¬
zösische Ausdruck dafür: bono et'öiutsZicm ist bezeichnender) gefunden und zum
Opfer des gebeugten Nationalstolzes bestimmt.

Bazaine greift zwar schon die Zusammensetzung des Gerichtshofs trotz des
erlassenen Notgesetzes als ungesetzlich an, weil die Mehrzahl der Richter, der
LommissNrL ä'<ze.g,t, und der ig-xportsur unter ihm gedient hätten, und be¬
hauptet überdies, alle diese Generale seien ihm persönlich seind; man wird aber


Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren

lagen von Weißenburg und Fröschwiller (Wörth) und über seinen Rückzug.
Der Vorsitzende fragt, ob auf diesem Rückzug die Truppen nicht Mangel an
Disziplin gezeigt hätten. Statt nun diese nicht wegzuleugnende Thatsache
zuzugestehen, beginnt der Marschall eine ins einzelne gehende Schilderung der
Tapferkeit der afrikanischen Truppen bei Weißenburg und schließt seine meister¬
haft vorgetragne Erzählung mit folgenden Worten: Die Tapferkeit dieser
Truppen ist eine Thatsache, die vor Ihnen feststellen zu dürfen ich mich glücklich
preise. Sie haben keine großen Verluste gehabt, 1500 Mann einschließlich
eines gefangen genommnen Bataillons. Sie fügten aber dem Feinde große
Verluste durch das Chassepotgewehr zu. Als alte Truppen ließen sie den
Feind bis auf tausend Meter herankommen, um die volle Wirkung ihrer Waffe
auszunützen. Die Preußen zogen ihre Schützen zurück und gingen geschlossen
vor in dem Glauben, die kleine Truppe würde sich ergeben. Sie ergab sich
aber nicht, sondern überschüttete sie mit einem furchtbaren Feuer. Die preu¬
ßischen Berichte sagen, daß unsre Soldaten thatsächlich mehr Feinde getötet
und verwundet hätten, als sie selbst an Zahl waren! Darauf der Vorsitzende:
Sie müssen sehr glücklich sein, eine solche Thatsache berichten zu können, und
die Kommission empfindet eine patriotische Freude (uns Ms vatriotiauch, sie zu
vernehmen.

Bazaine bemerkt zu dieser Szene in der Nechtfertigungsschrift (LMocies
as I-i gusrrs als 1870), die er nach seiner Flucht von Madrid aus veröffent¬
lichte: Huellö xtirasö ü, ig. I>ruäb.c>uns! und man wird ihm nicht Unrecht
geben können; hat er doch in dem Prozeß sehr unter der Neigung zur Phrase
zu leiden gehabt.

Aus den Verhandlungen der parlamentarischen Kommission aber hatte sich,
das kann jetzt unumwunden eingeräumt werden, bis zur völligen Klarheit er¬
geben, daß, wenn Bazaine, wie er doch wohl bei größerer Umsicht gekonnt
hätte, die ihn einschließenden Armeen des Prinzen Friedrich Karl auch nur
noch einige Wochen vor Metz festgehalten Hütte, die Deutschen vor Paris den
vom Süden und Norden zum Entsatz herandrängenden Heeren gegenüber einen
schlimmen Stand gehabt hätten. Als aber die Heerhaufen des Prinzen sofort
nach der Übergabe nach Süden und Norden gegen die letzten zur Befreiung
der Hauptstadt gesammelten Scharen aufbrechen und sie zurückwerfen konnten,
da schwand die letzte Hoffnung auf Sieg oder doch auf Abschwächung der
Niederlage. Durch dies Ergebnis war nun aber der Sündenbock (der fran¬
zösische Ausdruck dafür: bono et'öiutsZicm ist bezeichnender) gefunden und zum
Opfer des gebeugten Nationalstolzes bestimmt.

Bazaine greift zwar schon die Zusammensetzung des Gerichtshofs trotz des
erlassenen Notgesetzes als ungesetzlich an, weil die Mehrzahl der Richter, der
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hauptet überdies, alle diese Generale seien ihm persönlich seind; man wird aber


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[0514] Der Prozeß Bazaine nach fünfundzwanzig Jahren lagen von Weißenburg und Fröschwiller (Wörth) und über seinen Rückzug. Der Vorsitzende fragt, ob auf diesem Rückzug die Truppen nicht Mangel an Disziplin gezeigt hätten. Statt nun diese nicht wegzuleugnende Thatsache zuzugestehen, beginnt der Marschall eine ins einzelne gehende Schilderung der Tapferkeit der afrikanischen Truppen bei Weißenburg und schließt seine meister¬ haft vorgetragne Erzählung mit folgenden Worten: Die Tapferkeit dieser Truppen ist eine Thatsache, die vor Ihnen feststellen zu dürfen ich mich glücklich preise. Sie haben keine großen Verluste gehabt, 1500 Mann einschließlich eines gefangen genommnen Bataillons. Sie fügten aber dem Feinde große Verluste durch das Chassepotgewehr zu. Als alte Truppen ließen sie den Feind bis auf tausend Meter herankommen, um die volle Wirkung ihrer Waffe auszunützen. Die Preußen zogen ihre Schützen zurück und gingen geschlossen vor in dem Glauben, die kleine Truppe würde sich ergeben. Sie ergab sich aber nicht, sondern überschüttete sie mit einem furchtbaren Feuer. Die preu¬ ßischen Berichte sagen, daß unsre Soldaten thatsächlich mehr Feinde getötet und verwundet hätten, als sie selbst an Zahl waren! Darauf der Vorsitzende: Sie müssen sehr glücklich sein, eine solche Thatsache berichten zu können, und die Kommission empfindet eine patriotische Freude (uns Ms vatriotiauch, sie zu vernehmen. Bazaine bemerkt zu dieser Szene in der Nechtfertigungsschrift (LMocies as I-i gusrrs als 1870), die er nach seiner Flucht von Madrid aus veröffent¬ lichte: Huellö xtirasö ü, ig. I>ruäb.c>uns! und man wird ihm nicht Unrecht geben können; hat er doch in dem Prozeß sehr unter der Neigung zur Phrase zu leiden gehabt. Aus den Verhandlungen der parlamentarischen Kommission aber hatte sich, das kann jetzt unumwunden eingeräumt werden, bis zur völligen Klarheit er¬ geben, daß, wenn Bazaine, wie er doch wohl bei größerer Umsicht gekonnt hätte, die ihn einschließenden Armeen des Prinzen Friedrich Karl auch nur noch einige Wochen vor Metz festgehalten Hütte, die Deutschen vor Paris den vom Süden und Norden zum Entsatz herandrängenden Heeren gegenüber einen schlimmen Stand gehabt hätten. Als aber die Heerhaufen des Prinzen sofort nach der Übergabe nach Süden und Norden gegen die letzten zur Befreiung der Hauptstadt gesammelten Scharen aufbrechen und sie zurückwerfen konnten, da schwand die letzte Hoffnung auf Sieg oder doch auf Abschwächung der Niederlage. Durch dies Ergebnis war nun aber der Sündenbock (der fran¬ zösische Ausdruck dafür: bono et'öiutsZicm ist bezeichnender) gefunden und zum Opfer des gebeugten Nationalstolzes bestimmt. Bazaine greift zwar schon die Zusammensetzung des Gerichtshofs trotz des erlassenen Notgesetzes als ungesetzlich an, weil die Mehrzahl der Richter, der LommissNrL ä'<ze.g,t, und der ig-xportsur unter ihm gedient hätten, und be¬ hauptet überdies, alle diese Generale seien ihm persönlich seind; man wird aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/514>, abgerufen am 23.07.2024.