Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen

schaft von dem Ballast dieser superkluger Schülererfcchruugen und Schüler-
crforschungen zu befreien. Fast bedenklich könnte vielleicht manchem der an
zweiter Stelle geäußerte Gedanke, so wie er ausgesprochen ist, erscheinen, daß
der Minister bei Anstellung staatswissenschaftlicher Lehrer dem "Standpunkt
der Arbeitgeber" etwas mehr als bisher Geltung zu verschaffen haben werde.
Wir legen der immerhin flüchtigen Äußerung keine bedenkliche Bedeutung bei,
aber davor bewahre der Himmel die Staatswissenschaft an den preußischen
Universitäten, daß man Einseitigkeit mit Einseitigkeit zu bekämpfen versuche.
Drei Wagner und drei Bucck an jeder Universität können den Karren nicht
wieder ins rechte Geleis bringen; so mechanisch ist die Sache doch auf keinen
Fall zu machen. Nur solche Männer können heilsam wirken, die sichere Gewähr
bieten gegen die Einseitigkeit nach beiden Seiten hin, und dazu gehört unsrer
Überzeugung nach bei uns heute noch unter allen Umständen, daß sie den
großen humanen Grundsatz unsrer Zeit aus voller wissenschaftlicher Überzeugung
vertreten, den besitzlosen Teil der Gesellschaft gegen unbilligen Druck der Be¬
sitzenden zu schützen, die arbeitenden Klassen aus ihrer noch vielfach unwürdigen
Lage emporzuheben, die unsittliche Ausbeutung des Armen durch den Reichen,
wo immer sie thatsächlich stattfindet, entschieden zu bekämpfen. Ganz unklar
ist uus, ehrlich gestanden, im Zusammenhange mit der vom Minister erörterten
Frage der dritte Punkt, die Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen.
Was hat nach der Meinung dieses Ministers damit die Eindämmung der
kathedersozialistischen Ausartungen zu thun? Daß er den kathedersozialistischen
Stützen des preußischen Agrciriertnms durch Leute andrer Richtung etwa zu
Leibe gehen möchte, das ist ganz ausgeschlossen. Wollte er im Gegensatz zu den
Berliner Bauernrettern heute gesunde cigrarpolitische Anschauungen in den an¬
gehenden preußischen Beamten und Rittergutsbesitzern durch die Universitäten
erzeugt sehen, so würden die Herren Agrarier in beiden Häusern des Landtags
Zetermordio schreien, und der preußische Landwirtschaftsminister würde sich
wahrscheinlich bald genug veranlaßt sehen, Verwahrung einzulegen. Wir müssen
wegen dieses Punktes von der Zukunft weitere Aufklärung erwarten, der Rede
dunkler Sinn verbietet heute jede Erörterung.

Mit aufrichtiger Zustimmung dagegen begrüßen wir die vierte in Aussicht
gestellte Maßregel: die Zuteilung der staatswissenschaftlicher Lehrstühle zu den
juristischen Fakultäten, und wir wünschen dringend, daß der Minister schleunigst
mit den Bedenken fertig werde, die ihm noch immer, wie er sagt, die Rück¬
sicht auf die "bestehenden korporativen Verhältnisse der Universitäten" macht.
Sieht er doch selbst ein, "daß das bisherige völlige Auseinanderhalten der
juristischen und der staatswissenschaftlicher Auffassung zu gesunden Resultaten
nicht führen kann und auch nicht geführt hat." Gerade um den Segen und
Schutz der korporativen Gestaltung unsrer Universitäten der Staatswissenschaft
im Sinne der Lehrfreiheit sowohl wie im Sinne der unerläßlichen Kontrolle


Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen

schaft von dem Ballast dieser superkluger Schülererfcchruugen und Schüler-
crforschungen zu befreien. Fast bedenklich könnte vielleicht manchem der an
zweiter Stelle geäußerte Gedanke, so wie er ausgesprochen ist, erscheinen, daß
der Minister bei Anstellung staatswissenschaftlicher Lehrer dem „Standpunkt
der Arbeitgeber" etwas mehr als bisher Geltung zu verschaffen haben werde.
Wir legen der immerhin flüchtigen Äußerung keine bedenkliche Bedeutung bei,
aber davor bewahre der Himmel die Staatswissenschaft an den preußischen
Universitäten, daß man Einseitigkeit mit Einseitigkeit zu bekämpfen versuche.
Drei Wagner und drei Bucck an jeder Universität können den Karren nicht
wieder ins rechte Geleis bringen; so mechanisch ist die Sache doch auf keinen
Fall zu machen. Nur solche Männer können heilsam wirken, die sichere Gewähr
bieten gegen die Einseitigkeit nach beiden Seiten hin, und dazu gehört unsrer
Überzeugung nach bei uns heute noch unter allen Umständen, daß sie den
großen humanen Grundsatz unsrer Zeit aus voller wissenschaftlicher Überzeugung
vertreten, den besitzlosen Teil der Gesellschaft gegen unbilligen Druck der Be¬
sitzenden zu schützen, die arbeitenden Klassen aus ihrer noch vielfach unwürdigen
Lage emporzuheben, die unsittliche Ausbeutung des Armen durch den Reichen,
wo immer sie thatsächlich stattfindet, entschieden zu bekämpfen. Ganz unklar
ist uus, ehrlich gestanden, im Zusammenhange mit der vom Minister erörterten
Frage der dritte Punkt, die Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen.
Was hat nach der Meinung dieses Ministers damit die Eindämmung der
kathedersozialistischen Ausartungen zu thun? Daß er den kathedersozialistischen
Stützen des preußischen Agrciriertnms durch Leute andrer Richtung etwa zu
Leibe gehen möchte, das ist ganz ausgeschlossen. Wollte er im Gegensatz zu den
Berliner Bauernrettern heute gesunde cigrarpolitische Anschauungen in den an¬
gehenden preußischen Beamten und Rittergutsbesitzern durch die Universitäten
erzeugt sehen, so würden die Herren Agrarier in beiden Häusern des Landtags
Zetermordio schreien, und der preußische Landwirtschaftsminister würde sich
wahrscheinlich bald genug veranlaßt sehen, Verwahrung einzulegen. Wir müssen
wegen dieses Punktes von der Zukunft weitere Aufklärung erwarten, der Rede
dunkler Sinn verbietet heute jede Erörterung.

Mit aufrichtiger Zustimmung dagegen begrüßen wir die vierte in Aussicht
gestellte Maßregel: die Zuteilung der staatswissenschaftlicher Lehrstühle zu den
juristischen Fakultäten, und wir wünschen dringend, daß der Minister schleunigst
mit den Bedenken fertig werde, die ihm noch immer, wie er sagt, die Rück¬
sicht auf die „bestehenden korporativen Verhältnisse der Universitäten" macht.
Sieht er doch selbst ein, „daß das bisherige völlige Auseinanderhalten der
juristischen und der staatswissenschaftlicher Auffassung zu gesunden Resultaten
nicht führen kann und auch nicht geführt hat." Gerade um den Segen und
Schutz der korporativen Gestaltung unsrer Universitäten der Staatswissenschaft
im Sinne der Lehrfreiheit sowohl wie im Sinne der unerläßlichen Kontrolle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225437"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1641" prev="#ID_1640"> schaft von dem Ballast dieser superkluger Schülererfcchruugen und Schüler-<lb/>
crforschungen zu befreien. Fast bedenklich könnte vielleicht manchem der an<lb/>
zweiter Stelle geäußerte Gedanke, so wie er ausgesprochen ist, erscheinen, daß<lb/>
der Minister bei Anstellung staatswissenschaftlicher Lehrer dem &#x201E;Standpunkt<lb/>
der Arbeitgeber" etwas mehr als bisher Geltung zu verschaffen haben werde.<lb/>
Wir legen der immerhin flüchtigen Äußerung keine bedenkliche Bedeutung bei,<lb/>
aber davor bewahre der Himmel die Staatswissenschaft an den preußischen<lb/>
Universitäten, daß man Einseitigkeit mit Einseitigkeit zu bekämpfen versuche.<lb/>
Drei Wagner und drei Bucck an jeder Universität können den Karren nicht<lb/>
wieder ins rechte Geleis bringen; so mechanisch ist die Sache doch auf keinen<lb/>
Fall zu machen. Nur solche Männer können heilsam wirken, die sichere Gewähr<lb/>
bieten gegen die Einseitigkeit nach beiden Seiten hin, und dazu gehört unsrer<lb/>
Überzeugung nach bei uns heute noch unter allen Umständen, daß sie den<lb/>
großen humanen Grundsatz unsrer Zeit aus voller wissenschaftlicher Überzeugung<lb/>
vertreten, den besitzlosen Teil der Gesellschaft gegen unbilligen Druck der Be¬<lb/>
sitzenden zu schützen, die arbeitenden Klassen aus ihrer noch vielfach unwürdigen<lb/>
Lage emporzuheben, die unsittliche Ausbeutung des Armen durch den Reichen,<lb/>
wo immer sie thatsächlich stattfindet, entschieden zu bekämpfen. Ganz unklar<lb/>
ist uus, ehrlich gestanden, im Zusammenhange mit der vom Minister erörterten<lb/>
Frage der dritte Punkt, die Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen.<lb/>
Was hat nach der Meinung dieses Ministers damit die Eindämmung der<lb/>
kathedersozialistischen Ausartungen zu thun? Daß er den kathedersozialistischen<lb/>
Stützen des preußischen Agrciriertnms durch Leute andrer Richtung etwa zu<lb/>
Leibe gehen möchte, das ist ganz ausgeschlossen. Wollte er im Gegensatz zu den<lb/>
Berliner Bauernrettern heute gesunde cigrarpolitische Anschauungen in den an¬<lb/>
gehenden preußischen Beamten und Rittergutsbesitzern durch die Universitäten<lb/>
erzeugt sehen, so würden die Herren Agrarier in beiden Häusern des Landtags<lb/>
Zetermordio schreien, und der preußische Landwirtschaftsminister würde sich<lb/>
wahrscheinlich bald genug veranlaßt sehen, Verwahrung einzulegen. Wir müssen<lb/>
wegen dieses Punktes von der Zukunft weitere Aufklärung erwarten, der Rede<lb/>
dunkler Sinn verbietet heute jede Erörterung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1642" next="#ID_1643"> Mit aufrichtiger Zustimmung dagegen begrüßen wir die vierte in Aussicht<lb/>
gestellte Maßregel: die Zuteilung der staatswissenschaftlicher Lehrstühle zu den<lb/>
juristischen Fakultäten, und wir wünschen dringend, daß der Minister schleunigst<lb/>
mit den Bedenken fertig werde, die ihm noch immer, wie er sagt, die Rück¬<lb/>
sicht auf die &#x201E;bestehenden korporativen Verhältnisse der Universitäten" macht.<lb/>
Sieht er doch selbst ein, &#x201E;daß das bisherige völlige Auseinanderhalten der<lb/>
juristischen und der staatswissenschaftlicher Auffassung zu gesunden Resultaten<lb/>
nicht führen kann und auch nicht geführt hat." Gerade um den Segen und<lb/>
Schutz der korporativen Gestaltung unsrer Universitäten der Staatswissenschaft<lb/>
im Sinne der Lehrfreiheit sowohl wie im Sinne der unerläßlichen Kontrolle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen schaft von dem Ballast dieser superkluger Schülererfcchruugen und Schüler- crforschungen zu befreien. Fast bedenklich könnte vielleicht manchem der an zweiter Stelle geäußerte Gedanke, so wie er ausgesprochen ist, erscheinen, daß der Minister bei Anstellung staatswissenschaftlicher Lehrer dem „Standpunkt der Arbeitgeber" etwas mehr als bisher Geltung zu verschaffen haben werde. Wir legen der immerhin flüchtigen Äußerung keine bedenkliche Bedeutung bei, aber davor bewahre der Himmel die Staatswissenschaft an den preußischen Universitäten, daß man Einseitigkeit mit Einseitigkeit zu bekämpfen versuche. Drei Wagner und drei Bucck an jeder Universität können den Karren nicht wieder ins rechte Geleis bringen; so mechanisch ist die Sache doch auf keinen Fall zu machen. Nur solche Männer können heilsam wirken, die sichere Gewähr bieten gegen die Einseitigkeit nach beiden Seiten hin, und dazu gehört unsrer Überzeugung nach bei uns heute noch unter allen Umständen, daß sie den großen humanen Grundsatz unsrer Zeit aus voller wissenschaftlicher Überzeugung vertreten, den besitzlosen Teil der Gesellschaft gegen unbilligen Druck der Be¬ sitzenden zu schützen, die arbeitenden Klassen aus ihrer noch vielfach unwürdigen Lage emporzuheben, die unsittliche Ausbeutung des Armen durch den Reichen, wo immer sie thatsächlich stattfindet, entschieden zu bekämpfen. Ganz unklar ist uus, ehrlich gestanden, im Zusammenhange mit der vom Minister erörterten Frage der dritte Punkt, die Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen. Was hat nach der Meinung dieses Ministers damit die Eindämmung der kathedersozialistischen Ausartungen zu thun? Daß er den kathedersozialistischen Stützen des preußischen Agrciriertnms durch Leute andrer Richtung etwa zu Leibe gehen möchte, das ist ganz ausgeschlossen. Wollte er im Gegensatz zu den Berliner Bauernrettern heute gesunde cigrarpolitische Anschauungen in den an¬ gehenden preußischen Beamten und Rittergutsbesitzern durch die Universitäten erzeugt sehen, so würden die Herren Agrarier in beiden Häusern des Landtags Zetermordio schreien, und der preußische Landwirtschaftsminister würde sich wahrscheinlich bald genug veranlaßt sehen, Verwahrung einzulegen. Wir müssen wegen dieses Punktes von der Zukunft weitere Aufklärung erwarten, der Rede dunkler Sinn verbietet heute jede Erörterung. Mit aufrichtiger Zustimmung dagegen begrüßen wir die vierte in Aussicht gestellte Maßregel: die Zuteilung der staatswissenschaftlicher Lehrstühle zu den juristischen Fakultäten, und wir wünschen dringend, daß der Minister schleunigst mit den Bedenken fertig werde, die ihm noch immer, wie er sagt, die Rück¬ sicht auf die „bestehenden korporativen Verhältnisse der Universitäten" macht. Sieht er doch selbst ein, „daß das bisherige völlige Auseinanderhalten der juristischen und der staatswissenschaftlicher Auffassung zu gesunden Resultaten nicht führen kann und auch nicht geführt hat." Gerade um den Segen und Schutz der korporativen Gestaltung unsrer Universitäten der Staatswissenschaft im Sinne der Lehrfreiheit sowohl wie im Sinne der unerläßlichen Kontrolle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/509>, abgerufen am 23.07.2024.