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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Agrarreform in Preußen

Nach § 34 endlich soll der Testator den Anrechnungswert nicht höher,
als das Gesetz vorschreibt, festsetzen können. Hier möchte man zweifeln, ob
Brentano das Gesetz wirklich gelesen habe. Der Z 34 handelt von dem
Pflichtteil, d, h. also dem Teil der Erbquote, die der Berechtigte erhalten
haben würde, wenn die Jntestaterbfolge eingetreten wäre, und schreibt vor,
daß für die Berechnung seiner Höhe der Betrag zu Grunde zu legen sei,
der sich unter Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Ermittlung des Erb¬
schaftswertes ergeben würde. Er bestimmt also nur den geringsten Betrag,
den der Erblasser seinen Erben ungeschmälert hinterlassen muß. Daß dieser
nicht erhöht werden könne, ist nirgends gesagt. Brentano hat hier augen¬
scheinlich "Mindestbetrag" mit "Meistbetrag" verwechselt!

Daß Brentano kein Verständnis dafür zeigt, daß die Erhaltung des An¬
erbenguts in wirtschaftlicher Selbständigkeit auch im Interesse der weichenden
Erben liegt, indem es ihnen einen Rückhalt bietet, wenn sie im Leben Schiff¬
bruch gelitten haben, nimmt kaum Wunder. Er hat vielleicht nicht einmal
gesehen, daß nach § 32 des Gesetzes der Eigentümer des Anerbengutes in einer
besonders erleichterten Form dem Anerben die Verpflichtung auferlegen kann,
seine Miterben für den Notfall auf dem Anerbengute zu unterhalten. Daß
auf dem Lande noch ein Familienleben und das Gefühl der Zusammen¬
gehörigkeit der Familienangehörigen besteht und diese sich gern in Zeiten der
Not gegenseitig stützen, daß hier noch die Persönlichkeit des Menschen etwas
gilt im Gegensatz zu den Jndustriegegenden, wo der Einzelne immer mehr zur
Zahl und zur gefühllosen Maschine wird, daß das Gesetz dazu dienen kann
und wird, diese Familienbande zu stärken, das läßt er völlig unbeachtet.
Aber freilich das läßt sich nicht in Zahlen ausdrücken und in bestimmte Werte
umrechnen.

Wir haben hier nur einige Punkte herausgegriffen, um die UnHaltbarkeit
der Brentanoschen Auffassung und die Art zu zeigen, wie er diese begründet.
Wie hierin zum großen Teil eine unrichtige Deutung der bestehenden Gesetze
hervortritt, so hat er auch eine mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Ver¬
hältnisse. Wenn wirklich mit der Nentengutsgesetzgebung der von ihm be¬
zeichnete Zweck verfolgt würde, dann müßten doch die Großgrundbesitzer ihre
begeistertsten Anhänger sein. Wie kommt es nun, daß gerade ihre Kreise die
lebhaftesten Gegner sind? Daß dies der Fall ist, ist wohl Brentano nicht
bekannt geworden, sonst hätte er es doch erwähnen müssen. Er behauptet
ferner, infolge des Zerschlagens des Großgrundbesitzes in kleine Güter würde
von den Verkäufern ein so hoher Kaufpreis erzielt, daß schon durch drei Viertel
davon die Schulden, die den ganzen Wert des Großgrundbesitzes erreichten,
wenn nicht gar überstiegen, vollständig gedeckt würden. Falsch! Brentano lese
einmal nach, was in der Schilderung des bei der Generalkommission in
Frankfurt a. O. geltenden Verfahrens in der Wochenschrift der pommerschen


Die Agrarreform in Preußen

Nach § 34 endlich soll der Testator den Anrechnungswert nicht höher,
als das Gesetz vorschreibt, festsetzen können. Hier möchte man zweifeln, ob
Brentano das Gesetz wirklich gelesen habe. Der Z 34 handelt von dem
Pflichtteil, d, h. also dem Teil der Erbquote, die der Berechtigte erhalten
haben würde, wenn die Jntestaterbfolge eingetreten wäre, und schreibt vor,
daß für die Berechnung seiner Höhe der Betrag zu Grunde zu legen sei,
der sich unter Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Ermittlung des Erb¬
schaftswertes ergeben würde. Er bestimmt also nur den geringsten Betrag,
den der Erblasser seinen Erben ungeschmälert hinterlassen muß. Daß dieser
nicht erhöht werden könne, ist nirgends gesagt. Brentano hat hier augen¬
scheinlich „Mindestbetrag" mit „Meistbetrag" verwechselt!

Daß Brentano kein Verständnis dafür zeigt, daß die Erhaltung des An¬
erbenguts in wirtschaftlicher Selbständigkeit auch im Interesse der weichenden
Erben liegt, indem es ihnen einen Rückhalt bietet, wenn sie im Leben Schiff¬
bruch gelitten haben, nimmt kaum Wunder. Er hat vielleicht nicht einmal
gesehen, daß nach § 32 des Gesetzes der Eigentümer des Anerbengutes in einer
besonders erleichterten Form dem Anerben die Verpflichtung auferlegen kann,
seine Miterben für den Notfall auf dem Anerbengute zu unterhalten. Daß
auf dem Lande noch ein Familienleben und das Gefühl der Zusammen¬
gehörigkeit der Familienangehörigen besteht und diese sich gern in Zeiten der
Not gegenseitig stützen, daß hier noch die Persönlichkeit des Menschen etwas
gilt im Gegensatz zu den Jndustriegegenden, wo der Einzelne immer mehr zur
Zahl und zur gefühllosen Maschine wird, daß das Gesetz dazu dienen kann
und wird, diese Familienbande zu stärken, das läßt er völlig unbeachtet.
Aber freilich das läßt sich nicht in Zahlen ausdrücken und in bestimmte Werte
umrechnen.

Wir haben hier nur einige Punkte herausgegriffen, um die UnHaltbarkeit
der Brentanoschen Auffassung und die Art zu zeigen, wie er diese begründet.
Wie hierin zum großen Teil eine unrichtige Deutung der bestehenden Gesetze
hervortritt, so hat er auch eine mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Ver¬
hältnisse. Wenn wirklich mit der Nentengutsgesetzgebung der von ihm be¬
zeichnete Zweck verfolgt würde, dann müßten doch die Großgrundbesitzer ihre
begeistertsten Anhänger sein. Wie kommt es nun, daß gerade ihre Kreise die
lebhaftesten Gegner sind? Daß dies der Fall ist, ist wohl Brentano nicht
bekannt geworden, sonst hätte er es doch erwähnen müssen. Er behauptet
ferner, infolge des Zerschlagens des Großgrundbesitzes in kleine Güter würde
von den Verkäufern ein so hoher Kaufpreis erzielt, daß schon durch drei Viertel
davon die Schulden, die den ganzen Wert des Großgrundbesitzes erreichten,
wenn nicht gar überstiegen, vollständig gedeckt würden. Falsch! Brentano lese
einmal nach, was in der Schilderung des bei der Generalkommission in
Frankfurt a. O. geltenden Verfahrens in der Wochenschrift der pommerschen


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[0496] Die Agrarreform in Preußen Nach § 34 endlich soll der Testator den Anrechnungswert nicht höher, als das Gesetz vorschreibt, festsetzen können. Hier möchte man zweifeln, ob Brentano das Gesetz wirklich gelesen habe. Der Z 34 handelt von dem Pflichtteil, d, h. also dem Teil der Erbquote, die der Berechtigte erhalten haben würde, wenn die Jntestaterbfolge eingetreten wäre, und schreibt vor, daß für die Berechnung seiner Höhe der Betrag zu Grunde zu legen sei, der sich unter Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Ermittlung des Erb¬ schaftswertes ergeben würde. Er bestimmt also nur den geringsten Betrag, den der Erblasser seinen Erben ungeschmälert hinterlassen muß. Daß dieser nicht erhöht werden könne, ist nirgends gesagt. Brentano hat hier augen¬ scheinlich „Mindestbetrag" mit „Meistbetrag" verwechselt! Daß Brentano kein Verständnis dafür zeigt, daß die Erhaltung des An¬ erbenguts in wirtschaftlicher Selbständigkeit auch im Interesse der weichenden Erben liegt, indem es ihnen einen Rückhalt bietet, wenn sie im Leben Schiff¬ bruch gelitten haben, nimmt kaum Wunder. Er hat vielleicht nicht einmal gesehen, daß nach § 32 des Gesetzes der Eigentümer des Anerbengutes in einer besonders erleichterten Form dem Anerben die Verpflichtung auferlegen kann, seine Miterben für den Notfall auf dem Anerbengute zu unterhalten. Daß auf dem Lande noch ein Familienleben und das Gefühl der Zusammen¬ gehörigkeit der Familienangehörigen besteht und diese sich gern in Zeiten der Not gegenseitig stützen, daß hier noch die Persönlichkeit des Menschen etwas gilt im Gegensatz zu den Jndustriegegenden, wo der Einzelne immer mehr zur Zahl und zur gefühllosen Maschine wird, daß das Gesetz dazu dienen kann und wird, diese Familienbande zu stärken, das läßt er völlig unbeachtet. Aber freilich das läßt sich nicht in Zahlen ausdrücken und in bestimmte Werte umrechnen. Wir haben hier nur einige Punkte herausgegriffen, um die UnHaltbarkeit der Brentanoschen Auffassung und die Art zu zeigen, wie er diese begründet. Wie hierin zum großen Teil eine unrichtige Deutung der bestehenden Gesetze hervortritt, so hat er auch eine mangelhafte Kenntnis der thatsächlichen Ver¬ hältnisse. Wenn wirklich mit der Nentengutsgesetzgebung der von ihm be¬ zeichnete Zweck verfolgt würde, dann müßten doch die Großgrundbesitzer ihre begeistertsten Anhänger sein. Wie kommt es nun, daß gerade ihre Kreise die lebhaftesten Gegner sind? Daß dies der Fall ist, ist wohl Brentano nicht bekannt geworden, sonst hätte er es doch erwähnen müssen. Er behauptet ferner, infolge des Zerschlagens des Großgrundbesitzes in kleine Güter würde von den Verkäufern ein so hoher Kaufpreis erzielt, daß schon durch drei Viertel davon die Schulden, die den ganzen Wert des Großgrundbesitzes erreichten, wenn nicht gar überstiegen, vollständig gedeckt würden. Falsch! Brentano lese einmal nach, was in der Schilderung des bei der Generalkommission in Frankfurt a. O. geltenden Verfahrens in der Wochenschrift der pommerschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/496>, abgerufen am 23.07.2024.