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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Agrarreform in Preußen

Einrichtungen des Nentenguts und des Anerbenrechts vorbringen läßt; aber
vergebens sucht man auch nur nach einem Worte, das der Vorzüge dieser Ein¬
richtungen gedächte. Und das ist derselbe Professor, der noch kürzlich in einem
Vortrage gesagt hat: "Vergessen Sie nie, daß die Aufgabe der Wissenschaft
niemals sein kann, Parteiinteressen zu dienen, sondern der Wahrheit."

Doch gehen wir seineu Ansichten näher auf den Grund. Mit der Ein¬
führung der Nentenguts- und Anerbenrechtsgesetzgebung soll also bezweckt
werden, ein Obereigentum wieder einzuführen. Das soll daraus folgen, daß
beim Kauf gegen Rente vereinbart werden könne, ein Teil der Rente solle nur
mit Zustimmung beider Teile ablösbar sein, und ferner daraus, daß bei ihm
möglich sei, dem Käufer vertragsmäßig die Verpflichtung aufzuerlegen, das
Nentengut nicht zu zerteilen, keine Teile davon zu verkaufen, seine wirtschaft¬
liche Selbständigkeit zu erhalten, bestimmte Arbeitsdienste zu leisten u. tgi. in.

Ja hat denn Brentano ganz übersehen, daß das Gesetz nur die Möglich¬
keit ausspricht, die Ablösbarkeit eines Teils der Kanfrente von der Zu¬
stimmung beider Teile abhängig zu machen, daß ein hierauf gerichteter Zwang
gar nicht vorgeschrieben ist? Hat doch sogar das Abgeordnetenhaus die Be¬
schlüsse seiner Kommission, die einen solchen Zwang einführen wollten, rundweg
abgelehnt. Wird denn etwa von der Regierung irgendwie ein Druck ausgeübt,
daß solche Vereinbarungen getroffen werden? Und das wäre doch das
mindeste, was sie thun müßte, wenn sie die ihr untergeschobne Politik ver¬
folgte. Aber auch angenommen, es käme eine solche Vereinbarung zustande:
inwiefern soll denn dadurch der Erwerber in der Verfügung über sein Grund¬
stück behindert sein? Trotz des Bestehens einer solchen Rente ist es sein freies
Eigentum, kann er es verkaufen, belasten, zerteilen, die Rente steht dem in
keiner Weise entgegen; namentlich hat der Rentenberechtigte auf das belastete
Grundstück keinen andern Einfluß als etwa ein Hypothekengläubiger. Und
weiter: ist eine solche Vereinbarung der behinderten Ablösbarkeit nnr eine Be¬
schränkung des Erwerbers? Schützt sie ihn nicht umgekehrt davor, daß er nicht
in Zeiten der Not zur Abtragung der Rente angehalten wird? Hat er nicht auch
seinerseits ebenso gut das Recht, dem Verlangen des Rentenberechtigten auf
Ablösung zu widersprechen, selbst wenn dieser das Ablösungskapital noch so
nötig braucht? Und daß eine solche Geldnot vielfach besteht, daß den Ver¬
käufern nicht mit Rente gedient ist, daß sie Kapital haben wollen, giebt der
Verfasser ganz harmlos zu. Hierin hat er allerdings einmal Recht; nur schade,
daß er nicht die Folgerung gezogen und in die Praxis gesehen hat; er würde
dann sofort auf die Unmöglichkeit gestoßen sein, auch nur einen einzigen Fall
nachzuweisen, wo ein Verkauf gegen Rente, die nur mit Zustimmung beider
Teile abgelöst werden kann, abgeschlossen wäre. Ja die Geldnot ist meistens
so groß, daß die Generalkommissioneu bei deu durch sie vermittelten Renten-
gutsbegründungcn in der Regel Bestimmungen treffen müssen, wodurch die


Die Agrarreform in Preußen

Einrichtungen des Nentenguts und des Anerbenrechts vorbringen läßt; aber
vergebens sucht man auch nur nach einem Worte, das der Vorzüge dieser Ein¬
richtungen gedächte. Und das ist derselbe Professor, der noch kürzlich in einem
Vortrage gesagt hat: „Vergessen Sie nie, daß die Aufgabe der Wissenschaft
niemals sein kann, Parteiinteressen zu dienen, sondern der Wahrheit."

Doch gehen wir seineu Ansichten näher auf den Grund. Mit der Ein¬
führung der Nentenguts- und Anerbenrechtsgesetzgebung soll also bezweckt
werden, ein Obereigentum wieder einzuführen. Das soll daraus folgen, daß
beim Kauf gegen Rente vereinbart werden könne, ein Teil der Rente solle nur
mit Zustimmung beider Teile ablösbar sein, und ferner daraus, daß bei ihm
möglich sei, dem Käufer vertragsmäßig die Verpflichtung aufzuerlegen, das
Nentengut nicht zu zerteilen, keine Teile davon zu verkaufen, seine wirtschaft¬
liche Selbständigkeit zu erhalten, bestimmte Arbeitsdienste zu leisten u. tgi. in.

Ja hat denn Brentano ganz übersehen, daß das Gesetz nur die Möglich¬
keit ausspricht, die Ablösbarkeit eines Teils der Kanfrente von der Zu¬
stimmung beider Teile abhängig zu machen, daß ein hierauf gerichteter Zwang
gar nicht vorgeschrieben ist? Hat doch sogar das Abgeordnetenhaus die Be¬
schlüsse seiner Kommission, die einen solchen Zwang einführen wollten, rundweg
abgelehnt. Wird denn etwa von der Regierung irgendwie ein Druck ausgeübt,
daß solche Vereinbarungen getroffen werden? Und das wäre doch das
mindeste, was sie thun müßte, wenn sie die ihr untergeschobne Politik ver¬
folgte. Aber auch angenommen, es käme eine solche Vereinbarung zustande:
inwiefern soll denn dadurch der Erwerber in der Verfügung über sein Grund¬
stück behindert sein? Trotz des Bestehens einer solchen Rente ist es sein freies
Eigentum, kann er es verkaufen, belasten, zerteilen, die Rente steht dem in
keiner Weise entgegen; namentlich hat der Rentenberechtigte auf das belastete
Grundstück keinen andern Einfluß als etwa ein Hypothekengläubiger. Und
weiter: ist eine solche Vereinbarung der behinderten Ablösbarkeit nnr eine Be¬
schränkung des Erwerbers? Schützt sie ihn nicht umgekehrt davor, daß er nicht
in Zeiten der Not zur Abtragung der Rente angehalten wird? Hat er nicht auch
seinerseits ebenso gut das Recht, dem Verlangen des Rentenberechtigten auf
Ablösung zu widersprechen, selbst wenn dieser das Ablösungskapital noch so
nötig braucht? Und daß eine solche Geldnot vielfach besteht, daß den Ver¬
käufern nicht mit Rente gedient ist, daß sie Kapital haben wollen, giebt der
Verfasser ganz harmlos zu. Hierin hat er allerdings einmal Recht; nur schade,
daß er nicht die Folgerung gezogen und in die Praxis gesehen hat; er würde
dann sofort auf die Unmöglichkeit gestoßen sein, auch nur einen einzigen Fall
nachzuweisen, wo ein Verkauf gegen Rente, die nur mit Zustimmung beider
Teile abgelöst werden kann, abgeschlossen wäre. Ja die Geldnot ist meistens
so groß, daß die Generalkommissioneu bei deu durch sie vermittelten Renten-
gutsbegründungcn in der Regel Bestimmungen treffen müssen, wodurch die


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[0492] Die Agrarreform in Preußen Einrichtungen des Nentenguts und des Anerbenrechts vorbringen läßt; aber vergebens sucht man auch nur nach einem Worte, das der Vorzüge dieser Ein¬ richtungen gedächte. Und das ist derselbe Professor, der noch kürzlich in einem Vortrage gesagt hat: „Vergessen Sie nie, daß die Aufgabe der Wissenschaft niemals sein kann, Parteiinteressen zu dienen, sondern der Wahrheit." Doch gehen wir seineu Ansichten näher auf den Grund. Mit der Ein¬ führung der Nentenguts- und Anerbenrechtsgesetzgebung soll also bezweckt werden, ein Obereigentum wieder einzuführen. Das soll daraus folgen, daß beim Kauf gegen Rente vereinbart werden könne, ein Teil der Rente solle nur mit Zustimmung beider Teile ablösbar sein, und ferner daraus, daß bei ihm möglich sei, dem Käufer vertragsmäßig die Verpflichtung aufzuerlegen, das Nentengut nicht zu zerteilen, keine Teile davon zu verkaufen, seine wirtschaft¬ liche Selbständigkeit zu erhalten, bestimmte Arbeitsdienste zu leisten u. tgi. in. Ja hat denn Brentano ganz übersehen, daß das Gesetz nur die Möglich¬ keit ausspricht, die Ablösbarkeit eines Teils der Kanfrente von der Zu¬ stimmung beider Teile abhängig zu machen, daß ein hierauf gerichteter Zwang gar nicht vorgeschrieben ist? Hat doch sogar das Abgeordnetenhaus die Be¬ schlüsse seiner Kommission, die einen solchen Zwang einführen wollten, rundweg abgelehnt. Wird denn etwa von der Regierung irgendwie ein Druck ausgeübt, daß solche Vereinbarungen getroffen werden? Und das wäre doch das mindeste, was sie thun müßte, wenn sie die ihr untergeschobne Politik ver¬ folgte. Aber auch angenommen, es käme eine solche Vereinbarung zustande: inwiefern soll denn dadurch der Erwerber in der Verfügung über sein Grund¬ stück behindert sein? Trotz des Bestehens einer solchen Rente ist es sein freies Eigentum, kann er es verkaufen, belasten, zerteilen, die Rente steht dem in keiner Weise entgegen; namentlich hat der Rentenberechtigte auf das belastete Grundstück keinen andern Einfluß als etwa ein Hypothekengläubiger. Und weiter: ist eine solche Vereinbarung der behinderten Ablösbarkeit nnr eine Be¬ schränkung des Erwerbers? Schützt sie ihn nicht umgekehrt davor, daß er nicht in Zeiten der Not zur Abtragung der Rente angehalten wird? Hat er nicht auch seinerseits ebenso gut das Recht, dem Verlangen des Rentenberechtigten auf Ablösung zu widersprechen, selbst wenn dieser das Ablösungskapital noch so nötig braucht? Und daß eine solche Geldnot vielfach besteht, daß den Ver¬ käufern nicht mit Rente gedient ist, daß sie Kapital haben wollen, giebt der Verfasser ganz harmlos zu. Hierin hat er allerdings einmal Recht; nur schade, daß er nicht die Folgerung gezogen und in die Praxis gesehen hat; er würde dann sofort auf die Unmöglichkeit gestoßen sein, auch nur einen einzigen Fall nachzuweisen, wo ein Verkauf gegen Rente, die nur mit Zustimmung beider Teile abgelöst werden kann, abgeschlossen wäre. Ja die Geldnot ist meistens so groß, daß die Generalkommissioneu bei deu durch sie vermittelten Renten- gutsbegründungcn in der Regel Bestimmungen treffen müssen, wodurch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/492>, abgerufen am 23.07.2024.