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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

wofür das Leben einzusetzen wäre, wenn jede Eigenart der Heimat in ihrem
landschaftlichen und geschichtlich gewordnen Charakter, jede Volkstümlichkeit
und Besonderheit in Wesen, Sitte und Erscheinung vertilgt wird? wenn dafür
gesorgt wird, daß alle Keime schöpferischen Gestaltens, die einer gewissen Ab¬
sonderung und Ruhe so gewiß zu ihrer Entwicklung bedürfen, wie das Saat¬
korn der Stille des Erdenschoßes, verkümmern müssen? Die elektrisch be¬
leuchteten Mietkasernen, die Fabrikschornsteiue, die Hotels und die Pferdebahnen
sehen in dem modernen Rom gerade so aus wie in Berlin oder Newyork.
Das Nennen und Hasten nach Reichtum und Wohlleben, die ganze Phrase der
zivilisirten Gesellschaft in Tracht und Gewohnheiten ist dieselbe diesseits und
jenseits des Ozeans. Wenn es weiter nichts mehr giebt auf der Welt als
das, so ist die Frage erlaubt, warum man sich überhaupt noch bemüht, die
Barriere aufrecht zu halten, die ein Staat dem andern gegenüber errichtet.
Dann ist es doch das Klügste, den Vaterlandswahn abzuschütteln und die un¬
geheure lange Weile des Einerlei mit der Einführung des Volapük als Welt¬
sprache zu besiegeln. Hier zu retten, durch energischen Zusammenschluß, durch
Aufrüttelung der Geister, namentlich auch der Jugend, durch rastloses Bemühen
einen Umschwung der allgemeinen Stimmung herbeizuführen und so auch auf
die Gesetzgebung Einfluß zu gewinnen, durch Aufbringung großer, bedeutender
Geldmittel, mit deren Hilfe allmählich ein Nativnalbesitz unveräußerlicher, un¬
antastbarer Heiligtümer der Natur und der Geschichte erworben werden könnte --
es wäre die vornehmste Aufgabe für alle, die nicht Parteiatome sind, sondern
Menschen mit einem vollen Herzen für die wahre Größe und Hoheit des Vater¬
landes. Wer aber der Meinung sein sollte, daß man große Geldopfer für diese
Dinge der Nation nicht zumuten dürfe, dem antworten wir, daß das deutsche
Volk für Bier, Branntwein und Tabak, also für drei höchst fragwürdige Genuß-
mittel, jährlich nicht weniger als drei Milliarden Mark ausgiebt. Auf den
GeWerbeausstellungen darf jetzt nach neuester Mode ein Alt-Berlin, ein Alt-
Dresden, Alt-Leipzig, ein Thüringer Dörfchen usw. nicht fehlen. Was man erst
ruinirt hat, baut man hier aus Gyps und Pappe wieder auf, als Tummel¬
plätze der Vlasirtheit, und es fehlt nie an Geld für solchen Plunder. Denen
aber, die in der redlichen Absicht, gottgefällig zu handeln, die einzig richtige
Verwendung überflüssiger Kräfte und Gelder in der Erfüllung christlicher
Liebescmfgabcu, in Wohlthätigkeitsbestrebnngeu jeder Art erblicken, mag die neu-
testamentliche Erzählung von dem Weibe in Erinnerung gebracht werden, das
das Haupt des Heilands mit "köstlichem Wasser" salben will und von den
Jüngern zurückgewiesen wird mit den Worten: "Wozu dienet dieser Unrat?
Dieses Wasser Hütte mögen teuer verkauft und den Armen gegeben werden."
Die Antwort, die ihnen darauf von Jesus zu teil wird, sollte ein für allemal
eine ähnlich beschränkte Auffassung, wie sie noch heute in sogenannten christlichen
Kreisen zu Hause ist, zum Schweigen gebracht haben. Das hohe Recht, die


Heimatschutz

wofür das Leben einzusetzen wäre, wenn jede Eigenart der Heimat in ihrem
landschaftlichen und geschichtlich gewordnen Charakter, jede Volkstümlichkeit
und Besonderheit in Wesen, Sitte und Erscheinung vertilgt wird? wenn dafür
gesorgt wird, daß alle Keime schöpferischen Gestaltens, die einer gewissen Ab¬
sonderung und Ruhe so gewiß zu ihrer Entwicklung bedürfen, wie das Saat¬
korn der Stille des Erdenschoßes, verkümmern müssen? Die elektrisch be¬
leuchteten Mietkasernen, die Fabrikschornsteiue, die Hotels und die Pferdebahnen
sehen in dem modernen Rom gerade so aus wie in Berlin oder Newyork.
Das Nennen und Hasten nach Reichtum und Wohlleben, die ganze Phrase der
zivilisirten Gesellschaft in Tracht und Gewohnheiten ist dieselbe diesseits und
jenseits des Ozeans. Wenn es weiter nichts mehr giebt auf der Welt als
das, so ist die Frage erlaubt, warum man sich überhaupt noch bemüht, die
Barriere aufrecht zu halten, die ein Staat dem andern gegenüber errichtet.
Dann ist es doch das Klügste, den Vaterlandswahn abzuschütteln und die un¬
geheure lange Weile des Einerlei mit der Einführung des Volapük als Welt¬
sprache zu besiegeln. Hier zu retten, durch energischen Zusammenschluß, durch
Aufrüttelung der Geister, namentlich auch der Jugend, durch rastloses Bemühen
einen Umschwung der allgemeinen Stimmung herbeizuführen und so auch auf
die Gesetzgebung Einfluß zu gewinnen, durch Aufbringung großer, bedeutender
Geldmittel, mit deren Hilfe allmählich ein Nativnalbesitz unveräußerlicher, un¬
antastbarer Heiligtümer der Natur und der Geschichte erworben werden könnte —
es wäre die vornehmste Aufgabe für alle, die nicht Parteiatome sind, sondern
Menschen mit einem vollen Herzen für die wahre Größe und Hoheit des Vater¬
landes. Wer aber der Meinung sein sollte, daß man große Geldopfer für diese
Dinge der Nation nicht zumuten dürfe, dem antworten wir, daß das deutsche
Volk für Bier, Branntwein und Tabak, also für drei höchst fragwürdige Genuß-
mittel, jährlich nicht weniger als drei Milliarden Mark ausgiebt. Auf den
GeWerbeausstellungen darf jetzt nach neuester Mode ein Alt-Berlin, ein Alt-
Dresden, Alt-Leipzig, ein Thüringer Dörfchen usw. nicht fehlen. Was man erst
ruinirt hat, baut man hier aus Gyps und Pappe wieder auf, als Tummel¬
plätze der Vlasirtheit, und es fehlt nie an Geld für solchen Plunder. Denen
aber, die in der redlichen Absicht, gottgefällig zu handeln, die einzig richtige
Verwendung überflüssiger Kräfte und Gelder in der Erfüllung christlicher
Liebescmfgabcu, in Wohlthätigkeitsbestrebnngeu jeder Art erblicken, mag die neu-
testamentliche Erzählung von dem Weibe in Erinnerung gebracht werden, das
das Haupt des Heilands mit „köstlichem Wasser" salben will und von den
Jüngern zurückgewiesen wird mit den Worten: „Wozu dienet dieser Unrat?
Dieses Wasser Hütte mögen teuer verkauft und den Armen gegeben werden."
Die Antwort, die ihnen darauf von Jesus zu teil wird, sollte ein für allemal
eine ähnlich beschränkte Auffassung, wie sie noch heute in sogenannten christlichen
Kreisen zu Hause ist, zum Schweigen gebracht haben. Das hohe Recht, die


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[0475] Heimatschutz wofür das Leben einzusetzen wäre, wenn jede Eigenart der Heimat in ihrem landschaftlichen und geschichtlich gewordnen Charakter, jede Volkstümlichkeit und Besonderheit in Wesen, Sitte und Erscheinung vertilgt wird? wenn dafür gesorgt wird, daß alle Keime schöpferischen Gestaltens, die einer gewissen Ab¬ sonderung und Ruhe so gewiß zu ihrer Entwicklung bedürfen, wie das Saat¬ korn der Stille des Erdenschoßes, verkümmern müssen? Die elektrisch be¬ leuchteten Mietkasernen, die Fabrikschornsteiue, die Hotels und die Pferdebahnen sehen in dem modernen Rom gerade so aus wie in Berlin oder Newyork. Das Nennen und Hasten nach Reichtum und Wohlleben, die ganze Phrase der zivilisirten Gesellschaft in Tracht und Gewohnheiten ist dieselbe diesseits und jenseits des Ozeans. Wenn es weiter nichts mehr giebt auf der Welt als das, so ist die Frage erlaubt, warum man sich überhaupt noch bemüht, die Barriere aufrecht zu halten, die ein Staat dem andern gegenüber errichtet. Dann ist es doch das Klügste, den Vaterlandswahn abzuschütteln und die un¬ geheure lange Weile des Einerlei mit der Einführung des Volapük als Welt¬ sprache zu besiegeln. Hier zu retten, durch energischen Zusammenschluß, durch Aufrüttelung der Geister, namentlich auch der Jugend, durch rastloses Bemühen einen Umschwung der allgemeinen Stimmung herbeizuführen und so auch auf die Gesetzgebung Einfluß zu gewinnen, durch Aufbringung großer, bedeutender Geldmittel, mit deren Hilfe allmählich ein Nativnalbesitz unveräußerlicher, un¬ antastbarer Heiligtümer der Natur und der Geschichte erworben werden könnte — es wäre die vornehmste Aufgabe für alle, die nicht Parteiatome sind, sondern Menschen mit einem vollen Herzen für die wahre Größe und Hoheit des Vater¬ landes. Wer aber der Meinung sein sollte, daß man große Geldopfer für diese Dinge der Nation nicht zumuten dürfe, dem antworten wir, daß das deutsche Volk für Bier, Branntwein und Tabak, also für drei höchst fragwürdige Genuß- mittel, jährlich nicht weniger als drei Milliarden Mark ausgiebt. Auf den GeWerbeausstellungen darf jetzt nach neuester Mode ein Alt-Berlin, ein Alt- Dresden, Alt-Leipzig, ein Thüringer Dörfchen usw. nicht fehlen. Was man erst ruinirt hat, baut man hier aus Gyps und Pappe wieder auf, als Tummel¬ plätze der Vlasirtheit, und es fehlt nie an Geld für solchen Plunder. Denen aber, die in der redlichen Absicht, gottgefällig zu handeln, die einzig richtige Verwendung überflüssiger Kräfte und Gelder in der Erfüllung christlicher Liebescmfgabcu, in Wohlthätigkeitsbestrebnngeu jeder Art erblicken, mag die neu- testamentliche Erzählung von dem Weibe in Erinnerung gebracht werden, das das Haupt des Heilands mit „köstlichem Wasser" salben will und von den Jüngern zurückgewiesen wird mit den Worten: „Wozu dienet dieser Unrat? Dieses Wasser Hütte mögen teuer verkauft und den Armen gegeben werden." Die Antwort, die ihnen darauf von Jesus zu teil wird, sollte ein für allemal eine ähnlich beschränkte Auffassung, wie sie noch heute in sogenannten christlichen Kreisen zu Hause ist, zum Schweigen gebracht haben. Das hohe Recht, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/475>, abgerufen am 23.07.2024.