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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

Welt so vollkommen wie möglich zu befriedigen. Was ist nun damit ge¬
wonnen, daß diese wunderbare Blüte schlichten Volksglaubens in ihrer Ab¬
geschiedenheit die Wandlungen der Zeit überdauert hat, wenn sie nur dafür
lebendig geblieben ist, jetzt der Entweihung preisgegeben zu werden? Ent¬
weihung aber ist und bleibt eine theatralische Darstellung der Vorgänge, die
der gesamten christlichen Welt, soweit sie diesen Namen verdient, noch heute
ein Allerheiligstes sind, wenn diese Darstellung nicht lediglich aus dem Be¬
dürfnis der Andacht hervorgeht und von allen -- Darstellern wie Zu¬
schauern -- als Gottesdienst empfunden wird. Mit der Voraussetzung völlig
unberührter, kindlicher Volksanschauung stehen und fallen diese Dinge. Freilich
hat die Negierung dem Verlangen nach häufigerer als zehnjähriger Wieder¬
holung nicht nachgegeben. Aber sie müßte weiter gehen: sie müßte ihre Er¬
laubnis zu den Spielen davon abhängig machen, daß nicht nur jede fach¬
männisch schauspielerische Einwirkung ein für allemal unterbliebe, sondern auch
der ursprüngliche Nahmen der Zurüstungen in keiner Richtung überschritten
würde. Fort auch mit allen Zeitungsankündigungen vorher und allen Neporter-
berichten hinterher! Nicht erleichtert, sondern so viel als irgend möglich erschwert
sollte es werden, daß sich die Teilnahme von Zuschauern über den Kreis der
ländlichen Bevölkerung der Umgebung hinaus ausdehnt! Sollten die Leute
-- was einstweilen wohl noch nicht zu fürchten wäre -- über solchen Ma߬
regeln, nachdem sie das Blut des Weltbeifalls und des Geldgewinnens geleckt
haben, die Lust an der Sache verlieren, so wäre nichts verloren, wenn sie
unterginge. Trägt sie die Lebenskraft nicht mehr in sich selbst, so ist sie
wertlos geworden, und besser, sie stirbt, als daß sie lediglich als Gaumenkitzel
für die Blasirtheit weiterlebt.

Es kann überhaupt keinen verhängnisvollern Irrtum geben -- mag er
von Regierungsorganen oder von Gemeindebehörden oder von Vereinen "zur
Hebung des Fremdenverkehrs" (diesen würdigen Seitenstücken zu den Heirats-
vermittlungsbüreans!) gehegt und gepflegt werden -- als den: der Bevölkerung
abgelegner, wirklich oder vorgeblich verdienstarmer Gegenden durch Steigerung
des Fremdcnbesuchs aufhelfen zu wollen. Denn es giebt keine unsolidere
Grundlage sür die soziale Wohlfahrt als das Rechnen ans Fremdenverkehr.
Nicht nnr daß die Fremden in die vorhandnen einfachen Zustände Elemente
großstädtischer Verwöhnung und Verderbnis mitbringen, die gerade hier doppelt
zersetzend wirken müssen, wo das Unbekannte imponirt: auch die Unsicherheit
des Erlverbs, die Entwöhnung von eigentlicher Arbeit, als dein Einzigen,
worauf der Segen des materiellen wie des moralischen Gedeihens ruht, sind
die gefährlichen Begleiter der veränderten Lebensform.

Als vor einiger Zeit gefordert wurde, Preußen solle der Insel Helgoland
die gefährdete Düne und damit das Seebad erhalten, schrieb eine Zeitung:
"Es wären dann -- nämlich wenn die Sturmfluten alle Bemühungen des


Heimatschutz

Welt so vollkommen wie möglich zu befriedigen. Was ist nun damit ge¬
wonnen, daß diese wunderbare Blüte schlichten Volksglaubens in ihrer Ab¬
geschiedenheit die Wandlungen der Zeit überdauert hat, wenn sie nur dafür
lebendig geblieben ist, jetzt der Entweihung preisgegeben zu werden? Ent¬
weihung aber ist und bleibt eine theatralische Darstellung der Vorgänge, die
der gesamten christlichen Welt, soweit sie diesen Namen verdient, noch heute
ein Allerheiligstes sind, wenn diese Darstellung nicht lediglich aus dem Be¬
dürfnis der Andacht hervorgeht und von allen — Darstellern wie Zu¬
schauern — als Gottesdienst empfunden wird. Mit der Voraussetzung völlig
unberührter, kindlicher Volksanschauung stehen und fallen diese Dinge. Freilich
hat die Negierung dem Verlangen nach häufigerer als zehnjähriger Wieder¬
holung nicht nachgegeben. Aber sie müßte weiter gehen: sie müßte ihre Er¬
laubnis zu den Spielen davon abhängig machen, daß nicht nur jede fach¬
männisch schauspielerische Einwirkung ein für allemal unterbliebe, sondern auch
der ursprüngliche Nahmen der Zurüstungen in keiner Richtung überschritten
würde. Fort auch mit allen Zeitungsankündigungen vorher und allen Neporter-
berichten hinterher! Nicht erleichtert, sondern so viel als irgend möglich erschwert
sollte es werden, daß sich die Teilnahme von Zuschauern über den Kreis der
ländlichen Bevölkerung der Umgebung hinaus ausdehnt! Sollten die Leute
— was einstweilen wohl noch nicht zu fürchten wäre — über solchen Ma߬
regeln, nachdem sie das Blut des Weltbeifalls und des Geldgewinnens geleckt
haben, die Lust an der Sache verlieren, so wäre nichts verloren, wenn sie
unterginge. Trägt sie die Lebenskraft nicht mehr in sich selbst, so ist sie
wertlos geworden, und besser, sie stirbt, als daß sie lediglich als Gaumenkitzel
für die Blasirtheit weiterlebt.

Es kann überhaupt keinen verhängnisvollern Irrtum geben — mag er
von Regierungsorganen oder von Gemeindebehörden oder von Vereinen „zur
Hebung des Fremdenverkehrs" (diesen würdigen Seitenstücken zu den Heirats-
vermittlungsbüreans!) gehegt und gepflegt werden — als den: der Bevölkerung
abgelegner, wirklich oder vorgeblich verdienstarmer Gegenden durch Steigerung
des Fremdcnbesuchs aufhelfen zu wollen. Denn es giebt keine unsolidere
Grundlage sür die soziale Wohlfahrt als das Rechnen ans Fremdenverkehr.
Nicht nnr daß die Fremden in die vorhandnen einfachen Zustände Elemente
großstädtischer Verwöhnung und Verderbnis mitbringen, die gerade hier doppelt
zersetzend wirken müssen, wo das Unbekannte imponirt: auch die Unsicherheit
des Erlverbs, die Entwöhnung von eigentlicher Arbeit, als dein Einzigen,
worauf der Segen des materiellen wie des moralischen Gedeihens ruht, sind
die gefährlichen Begleiter der veränderten Lebensform.

Als vor einiger Zeit gefordert wurde, Preußen solle der Insel Helgoland
die gefährdete Düne und damit das Seebad erhalten, schrieb eine Zeitung:
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[0471] Heimatschutz Welt so vollkommen wie möglich zu befriedigen. Was ist nun damit ge¬ wonnen, daß diese wunderbare Blüte schlichten Volksglaubens in ihrer Ab¬ geschiedenheit die Wandlungen der Zeit überdauert hat, wenn sie nur dafür lebendig geblieben ist, jetzt der Entweihung preisgegeben zu werden? Ent¬ weihung aber ist und bleibt eine theatralische Darstellung der Vorgänge, die der gesamten christlichen Welt, soweit sie diesen Namen verdient, noch heute ein Allerheiligstes sind, wenn diese Darstellung nicht lediglich aus dem Be¬ dürfnis der Andacht hervorgeht und von allen — Darstellern wie Zu¬ schauern — als Gottesdienst empfunden wird. Mit der Voraussetzung völlig unberührter, kindlicher Volksanschauung stehen und fallen diese Dinge. Freilich hat die Negierung dem Verlangen nach häufigerer als zehnjähriger Wieder¬ holung nicht nachgegeben. Aber sie müßte weiter gehen: sie müßte ihre Er¬ laubnis zu den Spielen davon abhängig machen, daß nicht nur jede fach¬ männisch schauspielerische Einwirkung ein für allemal unterbliebe, sondern auch der ursprüngliche Nahmen der Zurüstungen in keiner Richtung überschritten würde. Fort auch mit allen Zeitungsankündigungen vorher und allen Neporter- berichten hinterher! Nicht erleichtert, sondern so viel als irgend möglich erschwert sollte es werden, daß sich die Teilnahme von Zuschauern über den Kreis der ländlichen Bevölkerung der Umgebung hinaus ausdehnt! Sollten die Leute — was einstweilen wohl noch nicht zu fürchten wäre — über solchen Ma߬ regeln, nachdem sie das Blut des Weltbeifalls und des Geldgewinnens geleckt haben, die Lust an der Sache verlieren, so wäre nichts verloren, wenn sie unterginge. Trägt sie die Lebenskraft nicht mehr in sich selbst, so ist sie wertlos geworden, und besser, sie stirbt, als daß sie lediglich als Gaumenkitzel für die Blasirtheit weiterlebt. Es kann überhaupt keinen verhängnisvollern Irrtum geben — mag er von Regierungsorganen oder von Gemeindebehörden oder von Vereinen „zur Hebung des Fremdenverkehrs" (diesen würdigen Seitenstücken zu den Heirats- vermittlungsbüreans!) gehegt und gepflegt werden — als den: der Bevölkerung abgelegner, wirklich oder vorgeblich verdienstarmer Gegenden durch Steigerung des Fremdcnbesuchs aufhelfen zu wollen. Denn es giebt keine unsolidere Grundlage sür die soziale Wohlfahrt als das Rechnen ans Fremdenverkehr. Nicht nnr daß die Fremden in die vorhandnen einfachen Zustände Elemente großstädtischer Verwöhnung und Verderbnis mitbringen, die gerade hier doppelt zersetzend wirken müssen, wo das Unbekannte imponirt: auch die Unsicherheit des Erlverbs, die Entwöhnung von eigentlicher Arbeit, als dein Einzigen, worauf der Segen des materiellen wie des moralischen Gedeihens ruht, sind die gefährlichen Begleiter der veränderten Lebensform. Als vor einiger Zeit gefordert wurde, Preußen solle der Insel Helgoland die gefährdete Düne und damit das Seebad erhalten, schrieb eine Zeitung: „Es wären dann — nämlich wenn die Sturmfluten alle Bemühungen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/471>, abgerufen am 23.07.2024.