Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Midaskinder Viktor hält die.?>and seines Vaters gefaßt, des Hofgärtners, eines gutherzigen, ^"Dann knüpften die Erinnerungen um spätere Tage an. Viktor ist Lateinschüler Damals wußte es Viktor noch nicht, er konnte nnr aus seinen belebten, redenden Heute weiß er es, und sein Buch soll davon Zeugnis ablegen, und von seinem Midaskinder Viktor hält die.?>and seines Vaters gefaßt, des Hofgärtners, eines gutherzigen, ^„Dann knüpften die Erinnerungen um spätere Tage an. Viktor ist Lateinschüler Damals wußte es Viktor noch nicht, er konnte nnr aus seinen belebten, redenden Heute weiß er es, und sein Buch soll davon Zeugnis ablegen, und von seinem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224975"/> <fw type="header" place="top"> Midaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_117"> Viktor hält die.?>and seines Vaters gefaßt, des Hofgärtners, eines gutherzigen,<lb/> sinnigen und heitern Mannes; zahllose Fältlein an beiden Augen ziehen sich manchmal<lb/> zusammen, und die Augen lächeln dann, und der Schelm im Herzen redet durch<lb/> die Fältlein, die Augen und eiuen Mund, der nur für freundliches da ist. Er nennt<lb/> seinem Knabe» die Binnenraum, erschließt ihm den Blick für das merkwürdige<lb/> Eigenleben dieser und jener Pflanze. Wenn die Sonne abends durch die Bäume<lb/> noch auf den Nasen golden hinscheint, dann sagt der Vater- Sieh, Viktor, der liebe<lb/> Gott schürt dnrch den Wald. ,</p><lb/> <p xml:id="ID_118"> ^„Dann knüpften die Erinnerungen um spätere Tage an. Viktor ist Lateinschüler<lb/> und lernt nus Büchern und Geschichten, daß alle Leute, die in der Welt zu Ehren<lb/> kommen, Vorfahren haben. Und er entdeckt, daß auch er sie hat, und daß der<lb/> Vater mit besondrer Frende von ihnen erzählt. Noch Hort er, wie der Vater sagt:<lb/> Wir Zangkels sind alle ertrunken seit dem ältesten, Von dem wir wissen. Das war<lb/> der hochfürstlich hcchingensche Kapellmeister Narzissus Zcmgkel; von ihm secht jeder<lb/> älteste Sohn in allen unsern Zangkelfamilien Narzissus. Er war ein guter Musckant<lb/> und eine wnckre Seele. Im Jahre 1600 wurde er mit allen den Seimgen, alle<lb/> aus freiem Entschlüsse, evangelisch, und gleich darnach verlangte Gott von ihm den<lb/> Beweis, daß er die Zeit geringer achte als Gottes ewigen Willen: er reiste durch<lb/> den Schwarzwald, um nach Basel zu gehen, sein Brot unter Evangelischen zu ver¬<lb/> dienen. Da fiel vor seinen Augen el« Knäbchen in die Kinzig, dem Städtchen<lb/> Hansach gegenüber; er sprang in den Fluß, es zu retten, aber das rasche Wasser<lb/> nahm ihn mit, nachdem er das Knäbchen zum Ufer getragen hatte. Das war ein<lb/> leibliches Ertrinken; seitdem hat uns Gott vor einem solchen Tode bewahrt, aber<lb/> er hat uns ein andres Ertrinken dafür geschenkt. Sein Sohn ward ein Pfarrherr<lb/> im Baselbiet, ein kindlicher Mann, von dem wir noch Zeugnisse in alten Büchlein<lb/> haben: er ertrank in den Sternen. Nachts studirte er sie von seinem hochgelegnen<lb/> Pfarrhofe nus und füllte ihr Licht, ihre Bahnen, ihr Kommen und Gehen mit<lb/> seinen Gedanken ans. seinen ältesten Sohn zog es in das Vaterland seines Gro߬<lb/> vaters zurück, er ertrank in süßer Musik und zog fromme Herzen erst zu Hause, dann<lb/> in Welschland und dann wieder zu Hanse in die heilige Flut seiner Töne hinab.<lb/> Sein Sohn war dein Urgroßvater, eine kleine Weile ein Pfarrer und Schulmann,<lb/> bis ihn Leiden darniedcrwarf. Dn kämpfte er in den tiefen, reißenden Wellen den<lb/> Kampf des Ewigen gegen einen von jeher schwachen Körper und eine von jeher<lb/> alles zeitlich Schöne leidenschaftlich liebende Seele und erfüllte den Willen Gottes.<lb/> Das war ein rechter Narzissus: alle Holdseligkeit und Heiligkeit, die im tiefsten<lb/> Grunde eiues Menschengemüth wohnen kann, kämpfte sich im Leiden hindurch an<lb/> die Oberfläche und entfaltete sich rein und tröstlich und beseligend für die Seinen,<lb/> die klagend sein Leiden mit ihm erlebten. Er brachte unser Geschlecht nach dem<lb/> Endenbnrger Land, und hier hat es da und dort Wurzel geschlagen, und ein jeder<lb/> hat seine Wellen gefunden, in denen er sich und seinem Lande zum Heile versank.<lb/> Dein Vater, mein Viktor, ist in den farbenreichen, stillen, redlichen und schönen<lb/> Blumen ertrunken, so lauge ich zurückdenken kann, und nnn möchte ich gar zu gern<lb/> erfuhren, ehe ich sterbe, worin du ertrinken willst, mein Viktor Narzissus?</p><lb/> <p xml:id="ID_119"> Damals wußte es Viktor noch nicht, er konnte nnr aus seinen belebten, redenden<lb/> Augen den Vater mit tiefem, antwortlosem und erstaunten Blicke ansehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_120" next="#ID_121"> Heute weiß er es, und sein Buch soll davon Zeugnis ablegen, und von seinem<lb/> Buche" träumt er, wenn er allein wandert, wenn er Buchläden ansieht, und wenn<lb/> ihm Menschen begegnen, die nach Ithaka heimverlangcn. Er sieht es schön aus¬<lb/> gestattet durch die Kunst des Buchdruckers und Buchbinders, und das Titelblatt</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Midaskinder
Viktor hält die.?>and seines Vaters gefaßt, des Hofgärtners, eines gutherzigen,
sinnigen und heitern Mannes; zahllose Fältlein an beiden Augen ziehen sich manchmal
zusammen, und die Augen lächeln dann, und der Schelm im Herzen redet durch
die Fältlein, die Augen und eiuen Mund, der nur für freundliches da ist. Er nennt
seinem Knabe» die Binnenraum, erschließt ihm den Blick für das merkwürdige
Eigenleben dieser und jener Pflanze. Wenn die Sonne abends durch die Bäume
noch auf den Nasen golden hinscheint, dann sagt der Vater- Sieh, Viktor, der liebe
Gott schürt dnrch den Wald. ,
^„Dann knüpften die Erinnerungen um spätere Tage an. Viktor ist Lateinschüler
und lernt nus Büchern und Geschichten, daß alle Leute, die in der Welt zu Ehren
kommen, Vorfahren haben. Und er entdeckt, daß auch er sie hat, und daß der
Vater mit besondrer Frende von ihnen erzählt. Noch Hort er, wie der Vater sagt:
Wir Zangkels sind alle ertrunken seit dem ältesten, Von dem wir wissen. Das war
der hochfürstlich hcchingensche Kapellmeister Narzissus Zcmgkel; von ihm secht jeder
älteste Sohn in allen unsern Zangkelfamilien Narzissus. Er war ein guter Musckant
und eine wnckre Seele. Im Jahre 1600 wurde er mit allen den Seimgen, alle
aus freiem Entschlüsse, evangelisch, und gleich darnach verlangte Gott von ihm den
Beweis, daß er die Zeit geringer achte als Gottes ewigen Willen: er reiste durch
den Schwarzwald, um nach Basel zu gehen, sein Brot unter Evangelischen zu ver¬
dienen. Da fiel vor seinen Augen el« Knäbchen in die Kinzig, dem Städtchen
Hansach gegenüber; er sprang in den Fluß, es zu retten, aber das rasche Wasser
nahm ihn mit, nachdem er das Knäbchen zum Ufer getragen hatte. Das war ein
leibliches Ertrinken; seitdem hat uns Gott vor einem solchen Tode bewahrt, aber
er hat uns ein andres Ertrinken dafür geschenkt. Sein Sohn ward ein Pfarrherr
im Baselbiet, ein kindlicher Mann, von dem wir noch Zeugnisse in alten Büchlein
haben: er ertrank in den Sternen. Nachts studirte er sie von seinem hochgelegnen
Pfarrhofe nus und füllte ihr Licht, ihre Bahnen, ihr Kommen und Gehen mit
seinen Gedanken ans. seinen ältesten Sohn zog es in das Vaterland seines Gro߬
vaters zurück, er ertrank in süßer Musik und zog fromme Herzen erst zu Hause, dann
in Welschland und dann wieder zu Hanse in die heilige Flut seiner Töne hinab.
Sein Sohn war dein Urgroßvater, eine kleine Weile ein Pfarrer und Schulmann,
bis ihn Leiden darniedcrwarf. Dn kämpfte er in den tiefen, reißenden Wellen den
Kampf des Ewigen gegen einen von jeher schwachen Körper und eine von jeher
alles zeitlich Schöne leidenschaftlich liebende Seele und erfüllte den Willen Gottes.
Das war ein rechter Narzissus: alle Holdseligkeit und Heiligkeit, die im tiefsten
Grunde eiues Menschengemüth wohnen kann, kämpfte sich im Leiden hindurch an
die Oberfläche und entfaltete sich rein und tröstlich und beseligend für die Seinen,
die klagend sein Leiden mit ihm erlebten. Er brachte unser Geschlecht nach dem
Endenbnrger Land, und hier hat es da und dort Wurzel geschlagen, und ein jeder
hat seine Wellen gefunden, in denen er sich und seinem Lande zum Heile versank.
Dein Vater, mein Viktor, ist in den farbenreichen, stillen, redlichen und schönen
Blumen ertrunken, so lauge ich zurückdenken kann, und nnn möchte ich gar zu gern
erfuhren, ehe ich sterbe, worin du ertrinken willst, mein Viktor Narzissus?
Damals wußte es Viktor noch nicht, er konnte nnr aus seinen belebten, redenden
Augen den Vater mit tiefem, antwortlosem und erstaunten Blicke ansehen.
Heute weiß er es, und sein Buch soll davon Zeugnis ablegen, und von seinem
Buche" träumt er, wenn er allein wandert, wenn er Buchläden ansieht, und wenn
ihm Menschen begegnen, die nach Ithaka heimverlangcn. Er sieht es schön aus¬
gestattet durch die Kunst des Buchdruckers und Buchbinders, und das Titelblatt
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