Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Midaskinder und sagte: Da werde ich wohl schreiben müssen: "Hochfürstlich Endenburgischer Hvf- Und so ward denn Viktor Narzissns Znngkel durch Frau Schwcndeli zum Aber nur dieses; das, was Viktor nach Haßlnch nud in die Zotzelsgasse geführt Viktor war ein bildhübscher Untersekundaner gewesen, er trug damals noch Und nun eilte es. Es fehlten nnr noch wenige Monate, dann waren die zehn Aber er war nicht bange. Zwei freie Monate lagen vor ihm. Er wußte, Diese Erinnerungen führten ihn gern in den Schloßgarten in Endenbnrg. Der Midaskinder und sagte: Da werde ich wohl schreiben müssen: „Hochfürstlich Endenburgischer Hvf- Und so ward denn Viktor Narzissns Znngkel durch Frau Schwcndeli zum Aber nur dieses; das, was Viktor nach Haßlnch nud in die Zotzelsgasse geführt Viktor war ein bildhübscher Untersekundaner gewesen, er trug damals noch Und nun eilte es. Es fehlten nnr noch wenige Monate, dann waren die zehn Aber er war nicht bange. Zwei freie Monate lagen vor ihm. Er wußte, Diese Erinnerungen führten ihn gern in den Schloßgarten in Endenbnrg. Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224974"/> <fw type="header" place="top"> Midaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_110" prev="#ID_109"> und sagte: Da werde ich wohl schreiben müssen: „Hochfürstlich Endenburgischer Hvf-<lb/> gartenassistcnt, beabsichtigt hier zu schriftstellern." — das letzte sagte sie mit Stolz.</p><lb/> <p xml:id="ID_111"> Und so ward denn Viktor Narzissns Znngkel durch Frau Schwcndeli zum<lb/> hvchfürstlich Endcnburgischen Hofgartenassistenten ernannt, ihm zum stillen Ergötzen,<lb/> aber eine Ernennung, die die Polizei so ernst nahm, daß sie von ihr sorgfältig zum<lb/> 29. Mai gebucht wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_112"> Aber nur dieses; das, was Viktor nach Haßlnch nud in die Zotzelsgasse geführt<lb/> hatte, ließ der Polizeivermerk aus dem Anmeldczettel der Fran Schwendeli als<lb/> völlig „belanglos" aus. Er aber wollte ein Buch schreiben, sein Buch, sein erstes<lb/> Buch, es war die höchste Zeit, denn die zehn Jahre, die ihm das Schicksal als<lb/> Frist gesetzt hatte, waren bald vorüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_113"> Viktor war ein bildhübscher Untersekundaner gewesen, er trug damals noch<lb/> langes, gewelltes Haar, war fleißig und hilfsbereit, machte bereitwillig alle Streiche<lb/> mit, die niemand schadeten und nicht geistlos waren, und fiel infolge einer frühen<lb/> größern Ernsthaftigkeit und Unfähigkeit zu Ausflüchten gewöhnlich dabei hinein.<lb/> Dann aber lachte er mit den Lachern. Das Thema des dentschen Aufsatzes für<lb/> die Weihnachtsferien waren „Die Gedanken des Odysseus" gewesen, „ehe er in<lb/> Scheria die Mittel zur Heimfahrt erbittet," und Viktor hatte seinem Odysseus ganz<lb/> überschwängliche Gedanken verliehen; ihn rührte das Schicksal einer Menschenseele,<lb/> die heimverlangt. Während seine Kameraden einen Seefahrer sahen, der sich über¬<lb/> legt, ob er nicht besser in Scheria bei den Phäaken bliebe, um zu werden als ihrer<lb/> einer, vernahm Viktor die tiefen Rufe des immer und immer wieder Verstrickten<lb/> und Gehemmten nach dem Ithaka seines Lebens und seiner Seele. Der Lehrer<lb/> hatte den Aufsatz vorlesen lassen, denn trotz alles Ungriechischen in Gedanken und<lb/> Ausdruck war die Sprache der Arbeit voll ursprünglicher Kraft und Biegsamkeit,<lb/> aber ans die Mitschüler übte das Pathos des Odysseus natürlich mir eine komische<lb/> Wirkung ans. Doch der Aufsatz ward zu Ende gelesen, und dann sprach der Lehrer<lb/> das Wort, das ihm Viktor nie vergaß: Lacht nur, wenn er in zehn Jahren schreibt,<lb/> dann lacht ihr nicht mehr!</p><lb/> <p xml:id="ID_114"> Und nun eilte es. Es fehlten nnr noch wenige Monate, dann waren die zehn<lb/> Jahre unwiderruflich abgelaufen, und war der erste August vorüber, und hatte er<lb/> Viktor neue, schwere Pflichten übertragen, dann sah Viktor keine Möglichkeit, je<lb/> wieder zum Schreiben zu gelangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_115"> Aber er war nicht bange. Zwei freie Monate lagen vor ihm. Er wußte,<lb/> was er schreiben wollte. Es sollte ein wunderbares Buch von den fünf klugen<lb/> Männern und Frauen werden, wie er sie träumte, und wie er sie sah, beides im<lb/> Lichte guter Tage. Denn Nachtträume suchten ihn wenig auf, schon darum nicht,<lb/> weil er mäßig und ein Manu rühriger Bewegung war. Seine Tagesträume aber<lb/> waren Bilder voll Schönheit, Ahnungen voll Bedeutung, und wenn er einmal<lb/> im gewöhnlichen Sinne träumte, so knüpfte der Traum die Tngesgesichte mit seinen<lb/> Jugenderinnerungen zu einem unentwirrbaren Knoten zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_116"> Diese Erinnerungen führten ihn gern in den Schloßgarten in Endenbnrg. Der<lb/> Garten zieht wie ein Gedicht, das Geschichte und Natur zusammen erlebt und<lb/> niedergeschrieben haben, in uralten Bäumen, dunkeln Alleen, in Resten von Wall<lb/> und Schanzen, vor denen kein Feind mehr steht, und die nun der Epheu umklammert<lb/> und dnrchranlt, vom Schloßberg in das Thal hinab. Durch dies Gedicht rauschen<lb/> die Wasser, die vom höhern Gebirge heruntereilen und nun hier in natürlichen Fällen<lb/> unter Fnrnwedeln und Brombeergebüschen hinabspringen und nnter zierlichen, schmalen<lb/> Brücken dahinschäumen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Midaskinder
und sagte: Da werde ich wohl schreiben müssen: „Hochfürstlich Endenburgischer Hvf-
gartenassistcnt, beabsichtigt hier zu schriftstellern." — das letzte sagte sie mit Stolz.
Und so ward denn Viktor Narzissns Znngkel durch Frau Schwcndeli zum
hvchfürstlich Endcnburgischen Hofgartenassistenten ernannt, ihm zum stillen Ergötzen,
aber eine Ernennung, die die Polizei so ernst nahm, daß sie von ihr sorgfältig zum
29. Mai gebucht wurde.
Aber nur dieses; das, was Viktor nach Haßlnch nud in die Zotzelsgasse geführt
hatte, ließ der Polizeivermerk aus dem Anmeldczettel der Fran Schwendeli als
völlig „belanglos" aus. Er aber wollte ein Buch schreiben, sein Buch, sein erstes
Buch, es war die höchste Zeit, denn die zehn Jahre, die ihm das Schicksal als
Frist gesetzt hatte, waren bald vorüber.
Viktor war ein bildhübscher Untersekundaner gewesen, er trug damals noch
langes, gewelltes Haar, war fleißig und hilfsbereit, machte bereitwillig alle Streiche
mit, die niemand schadeten und nicht geistlos waren, und fiel infolge einer frühen
größern Ernsthaftigkeit und Unfähigkeit zu Ausflüchten gewöhnlich dabei hinein.
Dann aber lachte er mit den Lachern. Das Thema des dentschen Aufsatzes für
die Weihnachtsferien waren „Die Gedanken des Odysseus" gewesen, „ehe er in
Scheria die Mittel zur Heimfahrt erbittet," und Viktor hatte seinem Odysseus ganz
überschwängliche Gedanken verliehen; ihn rührte das Schicksal einer Menschenseele,
die heimverlangt. Während seine Kameraden einen Seefahrer sahen, der sich über¬
legt, ob er nicht besser in Scheria bei den Phäaken bliebe, um zu werden als ihrer
einer, vernahm Viktor die tiefen Rufe des immer und immer wieder Verstrickten
und Gehemmten nach dem Ithaka seines Lebens und seiner Seele. Der Lehrer
hatte den Aufsatz vorlesen lassen, denn trotz alles Ungriechischen in Gedanken und
Ausdruck war die Sprache der Arbeit voll ursprünglicher Kraft und Biegsamkeit,
aber ans die Mitschüler übte das Pathos des Odysseus natürlich mir eine komische
Wirkung ans. Doch der Aufsatz ward zu Ende gelesen, und dann sprach der Lehrer
das Wort, das ihm Viktor nie vergaß: Lacht nur, wenn er in zehn Jahren schreibt,
dann lacht ihr nicht mehr!
Und nun eilte es. Es fehlten nnr noch wenige Monate, dann waren die zehn
Jahre unwiderruflich abgelaufen, und war der erste August vorüber, und hatte er
Viktor neue, schwere Pflichten übertragen, dann sah Viktor keine Möglichkeit, je
wieder zum Schreiben zu gelangen.
Aber er war nicht bange. Zwei freie Monate lagen vor ihm. Er wußte,
was er schreiben wollte. Es sollte ein wunderbares Buch von den fünf klugen
Männern und Frauen werden, wie er sie träumte, und wie er sie sah, beides im
Lichte guter Tage. Denn Nachtträume suchten ihn wenig auf, schon darum nicht,
weil er mäßig und ein Manu rühriger Bewegung war. Seine Tagesträume aber
waren Bilder voll Schönheit, Ahnungen voll Bedeutung, und wenn er einmal
im gewöhnlichen Sinne träumte, so knüpfte der Traum die Tngesgesichte mit seinen
Jugenderinnerungen zu einem unentwirrbaren Knoten zusammen.
Diese Erinnerungen führten ihn gern in den Schloßgarten in Endenbnrg. Der
Garten zieht wie ein Gedicht, das Geschichte und Natur zusammen erlebt und
niedergeschrieben haben, in uralten Bäumen, dunkeln Alleen, in Resten von Wall
und Schanzen, vor denen kein Feind mehr steht, und die nun der Epheu umklammert
und dnrchranlt, vom Schloßberg in das Thal hinab. Durch dies Gedicht rauschen
die Wasser, die vom höhern Gebirge heruntereilen und nun hier in natürlichen Fällen
unter Fnrnwedeln und Brombeergebüschen hinabspringen und nnter zierlichen, schmalen
Brücken dahinschäumen.
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