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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

an fernere Angaben, behendes Klettern, vorhandnes Vermögen, anderweite Mit¬
teilungen und ähnliches." Es würde zu weit führen, darzulegen, warum mich diese
übrigens sehr verschiednen "Ähnlichkeiten" nicht verlocken, den allgemeinen Sprach¬
gebrauch mitzumachen, ich könnte auch meinerseits die Empfehlung für "eigentümlich"
erklären. Aber damit würde ich nicht meine wirkliche Empfindung ausdrücken.
Denn ich finde es nicht eigentümlich, sondern sogar sehr begreiflich, daß, wer ein
solches "teilweise" nicht in seinen eignen Ohren und Nerven fühlt, in seinem Wissen
nach einem Rettungsmittel sucht, um uicht stumpfsinniger zu erscheinen, als jemand,
der diese Dinge lange nicht so gut verstehen kaun und darf, wie er. Gelehrte Kenner
unsrer Sprache haben andre Sorgen, als ihre gebildeten Liebhaber und bessere
oder vorsichtige Schriftsteller, und aus welcher dieser Klassen man am besten thäte
die Gesetzgeber zu wühlen, ist eine noch ungelöste Preisfrage. Das ist einer der
Gründe, warum wir Deutschen es niemals zu der allgemeinen Sprachrichtigkeit
bringen werden, auf die die Franzosen mit Recht stolz sind. "Es giebt gewiß
höhere Dinge, sagt Gildemeister, als Grammatik, Syntax und Stil; man kann,
wie der alte Fritz und Blücher, ein großer Mann und ein Held sein und doch
schauderhaftes Deutsch sprechen. Die Nation kann sich aber nicht erlauben, was
dem genialen Individuum nachgesehen wird."

Jedes Bestreben in dieser Richtung muß willkommen sein, so auch ein kleines
Buch vou Hans Probst, das sich Deutsche Redelehre nennt und der "Sammlung
Göschen" angehört. Es leitet in anspruchslosester Form und ohne alle gelehrte
Voraussetzungen an zur Anwendung eines guten Ausdrucks. Die Anschauungen
des Verfassers sind richtig und seine Anweisungen einfach, klar und praktisch.
Vielleicht wird mancher in der Anordnung einiges anders wünschen, aber das macht
der eine so und der andre so, und wer ein Buch empfehlen will, der muß sein
Besserwissen auch zur rechten Zeit zurückhalten können. Das außerordentlich billige
Büchlein kann sehr nützlich wirken. Möchten nur noch recht viele ähnliche ge¬
sch A. PH. rieben werden!


Brutal.

Ein häßliches Wort, das aber seinen Weg zu machen beginnt.
Früher gehörte es zu deu sogenannten starken Worten, die man nur ausnahms¬
weise in den Mund nahm. Es wurde auch nur in tadelnden Sinne gebraucht.
Das ändert sich jetzt langsam. In Kllnstlerkreisen wird es vielfach für stark,
schlagend und dergleichen gebraucht. Ein Bild von brutaler Wahrheit, eine brutal
hiugehaueue Skizze, eine brutale Ähnlichkeit. Ein Schnitzwerk ist brutal ornamentirt.
Nun wird in der Beilage zur Deutschen Kolvnialzeitung Ur. 12 vom 1. Mai d. I.
"die brutale Energie der Selbsterhaltung" als eine der Kräfte gepriesen, durch
die das deutsche Volk in dem Kampf der Völker siegen werde. Genügt Energie
schon nicht mehr? Es Wäre verhängnisvoll, wenn man in Deutschland zu dem
Glauben käme. Brutalität sei eine Steigerung der Energie. Brutale Menschen
machen sich das weiß; aber das Gegenteil ist wahr.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

an fernere Angaben, behendes Klettern, vorhandnes Vermögen, anderweite Mit¬
teilungen und ähnliches." Es würde zu weit führen, darzulegen, warum mich diese
übrigens sehr verschiednen „Ähnlichkeiten" nicht verlocken, den allgemeinen Sprach¬
gebrauch mitzumachen, ich könnte auch meinerseits die Empfehlung für „eigentümlich"
erklären. Aber damit würde ich nicht meine wirkliche Empfindung ausdrücken.
Denn ich finde es nicht eigentümlich, sondern sogar sehr begreiflich, daß, wer ein
solches „teilweise" nicht in seinen eignen Ohren und Nerven fühlt, in seinem Wissen
nach einem Rettungsmittel sucht, um uicht stumpfsinniger zu erscheinen, als jemand,
der diese Dinge lange nicht so gut verstehen kaun und darf, wie er. Gelehrte Kenner
unsrer Sprache haben andre Sorgen, als ihre gebildeten Liebhaber und bessere
oder vorsichtige Schriftsteller, und aus welcher dieser Klassen man am besten thäte
die Gesetzgeber zu wühlen, ist eine noch ungelöste Preisfrage. Das ist einer der
Gründe, warum wir Deutschen es niemals zu der allgemeinen Sprachrichtigkeit
bringen werden, auf die die Franzosen mit Recht stolz sind. „Es giebt gewiß
höhere Dinge, sagt Gildemeister, als Grammatik, Syntax und Stil; man kann,
wie der alte Fritz und Blücher, ein großer Mann und ein Held sein und doch
schauderhaftes Deutsch sprechen. Die Nation kann sich aber nicht erlauben, was
dem genialen Individuum nachgesehen wird."

Jedes Bestreben in dieser Richtung muß willkommen sein, so auch ein kleines
Buch vou Hans Probst, das sich Deutsche Redelehre nennt und der „Sammlung
Göschen" angehört. Es leitet in anspruchslosester Form und ohne alle gelehrte
Voraussetzungen an zur Anwendung eines guten Ausdrucks. Die Anschauungen
des Verfassers sind richtig und seine Anweisungen einfach, klar und praktisch.
Vielleicht wird mancher in der Anordnung einiges anders wünschen, aber das macht
der eine so und der andre so, und wer ein Buch empfehlen will, der muß sein
Besserwissen auch zur rechten Zeit zurückhalten können. Das außerordentlich billige
Büchlein kann sehr nützlich wirken. Möchten nur noch recht viele ähnliche ge¬
sch A. PH. rieben werden!


Brutal.

Ein häßliches Wort, das aber seinen Weg zu machen beginnt.
Früher gehörte es zu deu sogenannten starken Worten, die man nur ausnahms¬
weise in den Mund nahm. Es wurde auch nur in tadelnden Sinne gebraucht.
Das ändert sich jetzt langsam. In Kllnstlerkreisen wird es vielfach für stark,
schlagend und dergleichen gebraucht. Ein Bild von brutaler Wahrheit, eine brutal
hiugehaueue Skizze, eine brutale Ähnlichkeit. Ein Schnitzwerk ist brutal ornamentirt.
Nun wird in der Beilage zur Deutschen Kolvnialzeitung Ur. 12 vom 1. Mai d. I.
„die brutale Energie der Selbsterhaltung" als eine der Kräfte gepriesen, durch
die das deutsche Volk in dem Kampf der Völker siegen werde. Genügt Energie
schon nicht mehr? Es Wäre verhängnisvoll, wenn man in Deutschland zu dem
Glauben käme. Brutalität sei eine Steigerung der Energie. Brutale Menschen
machen sich das weiß; aber das Gegenteil ist wahr.




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[0452] Maßgebliches und Unmaßgebliches an fernere Angaben, behendes Klettern, vorhandnes Vermögen, anderweite Mit¬ teilungen und ähnliches." Es würde zu weit führen, darzulegen, warum mich diese übrigens sehr verschiednen „Ähnlichkeiten" nicht verlocken, den allgemeinen Sprach¬ gebrauch mitzumachen, ich könnte auch meinerseits die Empfehlung für „eigentümlich" erklären. Aber damit würde ich nicht meine wirkliche Empfindung ausdrücken. Denn ich finde es nicht eigentümlich, sondern sogar sehr begreiflich, daß, wer ein solches „teilweise" nicht in seinen eignen Ohren und Nerven fühlt, in seinem Wissen nach einem Rettungsmittel sucht, um uicht stumpfsinniger zu erscheinen, als jemand, der diese Dinge lange nicht so gut verstehen kaun und darf, wie er. Gelehrte Kenner unsrer Sprache haben andre Sorgen, als ihre gebildeten Liebhaber und bessere oder vorsichtige Schriftsteller, und aus welcher dieser Klassen man am besten thäte die Gesetzgeber zu wühlen, ist eine noch ungelöste Preisfrage. Das ist einer der Gründe, warum wir Deutschen es niemals zu der allgemeinen Sprachrichtigkeit bringen werden, auf die die Franzosen mit Recht stolz sind. „Es giebt gewiß höhere Dinge, sagt Gildemeister, als Grammatik, Syntax und Stil; man kann, wie der alte Fritz und Blücher, ein großer Mann und ein Held sein und doch schauderhaftes Deutsch sprechen. Die Nation kann sich aber nicht erlauben, was dem genialen Individuum nachgesehen wird." Jedes Bestreben in dieser Richtung muß willkommen sein, so auch ein kleines Buch vou Hans Probst, das sich Deutsche Redelehre nennt und der „Sammlung Göschen" angehört. Es leitet in anspruchslosester Form und ohne alle gelehrte Voraussetzungen an zur Anwendung eines guten Ausdrucks. Die Anschauungen des Verfassers sind richtig und seine Anweisungen einfach, klar und praktisch. Vielleicht wird mancher in der Anordnung einiges anders wünschen, aber das macht der eine so und der andre so, und wer ein Buch empfehlen will, der muß sein Besserwissen auch zur rechten Zeit zurückhalten können. Das außerordentlich billige Büchlein kann sehr nützlich wirken. Möchten nur noch recht viele ähnliche ge¬ sch A. PH. rieben werden! Brutal. Ein häßliches Wort, das aber seinen Weg zu machen beginnt. Früher gehörte es zu deu sogenannten starken Worten, die man nur ausnahms¬ weise in den Mund nahm. Es wurde auch nur in tadelnden Sinne gebraucht. Das ändert sich jetzt langsam. In Kllnstlerkreisen wird es vielfach für stark, schlagend und dergleichen gebraucht. Ein Bild von brutaler Wahrheit, eine brutal hiugehaueue Skizze, eine brutale Ähnlichkeit. Ein Schnitzwerk ist brutal ornamentirt. Nun wird in der Beilage zur Deutschen Kolvnialzeitung Ur. 12 vom 1. Mai d. I. „die brutale Energie der Selbsterhaltung" als eine der Kräfte gepriesen, durch die das deutsche Volk in dem Kampf der Völker siegen werde. Genügt Energie schon nicht mehr? Es Wäre verhängnisvoll, wenn man in Deutschland zu dem Glauben käme. Brutalität sei eine Steigerung der Energie. Brutale Menschen machen sich das weiß; aber das Gegenteil ist wahr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/452>, abgerufen am 23.07.2024.