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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

persönliche noch allgemeine. Wenn alle satt sind, dann tritt der große Augen¬
blick ein, wo die Welt -- untergehen muß. Wir werden also diesen Welt¬
untergang nicht so bald erleben, denn der Hunger wird den Lauf der Welt
wohl noch ein Weilchen zusammenhalten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom innern Kriegsschauplatz.

Die wirklich große Gala-Elitevorstelluug
(eine andre als die Zirkussprache wäre hier nicht angebracht) im Justizpalast zu
Moabit regt uns zu zwei uunwßgeblichen Vorschlägen an. Mau erhöhe deu Gehalt
aller Beamten der politischen Polizei auf das Dreifache, damit sie uicht mehr nötig
haben, den vilen ehrlichen Schweinburg anzupumpen und vor Gericht zu flennen,
verpflichte sie aber aufs strengste, nicht das Geringste mehr im Dienste des
Staates zu thun und sich nur uoch mit der Pflege ihrer leiblichen Gesundheit zu
beschäftige". Zweitens aber erlasse man ein Gesetz, wonach jedermann, der politische
Zeitungsartikel, Nachrichten oder Leitartikel, schreibt, er sei Minister oder ver¬
bummelter Handlungsdiener, seineu Namen zu unterzeichnen verpflichtet ist. Der
Einwand, beiß dann gerade die wertvollste" Artikel, nämlich sachkundige Kritiken
an Staatseinrichtungen nud nu Zuständen der Verwaltung, ungeschrieben bleiben
würden, weil die zu ihrer Abfassung am meisten befähigten sich scheuen würden,
ihren Namen zu unterzeichnen, dieser Einwand ist nicht stichhaltig; denn ein mehr¬
monatiger Verzicht dieser Männer auf die publizistische Thätigkeit würde Zustände
herbeiführen, die alle Spitzen der Behörden nötigen würden, für das Verbrechen
des Bekenntnisses der Wahrheit völlige Straflosigkeit zuzusichern. Das sind unsre
beiden Vorschläge. Außerdem hätten wir noch einen Wunsch, dessen Erfüllung
unsre Neugierde und vielleicht auch die andrer Leute befriedigen würde. Wir
möchten wissen, ob ein Fall nachgewiesen werden kann, nur ein einziger Fall, wo
das Institut, bei dem täglich Dinge vorkommen, über die nach dem Ausspruch des
Präsidenten des Schwurgerichts jeder anständige Mensch empört sein muß, dem
Vaterlande einmal einen wirklichen Dienst geleistet hat.

Niemandem wird dieser Sknudalvrozeß ungelegner gekommen sein als dem
preußischen Minister des Innern, denn seine kleine Umsturzvorlage etwa durch Er¬
höhung des allgemeinen Vertrauens zur Polizei zu fördern, war er wenig geeignet.
Man muß sich darüber wundern, wie unfähig Eugen Richter ist, eine günstige
Lage auszunutzen- der Kritiker in ihm und der fanatische, herrschsüchtige, unduld¬
same Parteihäuptling scheint jede Anlage zum Taktiker, wenn er je welche besessen
hat, zerstört zu haben. Die Stimmung ist so allgemein und so entschieden gegen
den Gesetzentwurf, wie wir das seit dem Tabakmonopol noch bei keiner Gesetzvor¬
lage der Regierung") erlebt haben. Vor der Sozialdemokratie fürchtet sich sogar



*) Beim Tnbakinonopol warens freilich "die verbündeten Regierungen," aber es wäre
Pedanterie und würde das Schreiben über deutsche Reichs- und Siantssachen außerordentlich
erschweren, wenn man in jedem einzelnen Falle zwischen der preußischen Regierung und den
verbündeten Regierungen gewissenhaft unterscheiden wollte.
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persönliche noch allgemeine. Wenn alle satt sind, dann tritt der große Augen¬
blick ein, wo die Welt — untergehen muß. Wir werden also diesen Welt¬
untergang nicht so bald erleben, denn der Hunger wird den Lauf der Welt
wohl noch ein Weilchen zusammenhalten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom innern Kriegsschauplatz.

Die wirklich große Gala-Elitevorstelluug
(eine andre als die Zirkussprache wäre hier nicht angebracht) im Justizpalast zu
Moabit regt uns zu zwei uunwßgeblichen Vorschlägen an. Mau erhöhe deu Gehalt
aller Beamten der politischen Polizei auf das Dreifache, damit sie uicht mehr nötig
haben, den vilen ehrlichen Schweinburg anzupumpen und vor Gericht zu flennen,
verpflichte sie aber aufs strengste, nicht das Geringste mehr im Dienste des
Staates zu thun und sich nur uoch mit der Pflege ihrer leiblichen Gesundheit zu
beschäftige». Zweitens aber erlasse man ein Gesetz, wonach jedermann, der politische
Zeitungsartikel, Nachrichten oder Leitartikel, schreibt, er sei Minister oder ver¬
bummelter Handlungsdiener, seineu Namen zu unterzeichnen verpflichtet ist. Der
Einwand, beiß dann gerade die wertvollste» Artikel, nämlich sachkundige Kritiken
an Staatseinrichtungen nud nu Zuständen der Verwaltung, ungeschrieben bleiben
würden, weil die zu ihrer Abfassung am meisten befähigten sich scheuen würden,
ihren Namen zu unterzeichnen, dieser Einwand ist nicht stichhaltig; denn ein mehr¬
monatiger Verzicht dieser Männer auf die publizistische Thätigkeit würde Zustände
herbeiführen, die alle Spitzen der Behörden nötigen würden, für das Verbrechen
des Bekenntnisses der Wahrheit völlige Straflosigkeit zuzusichern. Das sind unsre
beiden Vorschläge. Außerdem hätten wir noch einen Wunsch, dessen Erfüllung
unsre Neugierde und vielleicht auch die andrer Leute befriedigen würde. Wir
möchten wissen, ob ein Fall nachgewiesen werden kann, nur ein einziger Fall, wo
das Institut, bei dem täglich Dinge vorkommen, über die nach dem Ausspruch des
Präsidenten des Schwurgerichts jeder anständige Mensch empört sein muß, dem
Vaterlande einmal einen wirklichen Dienst geleistet hat.

Niemandem wird dieser Sknudalvrozeß ungelegner gekommen sein als dem
preußischen Minister des Innern, denn seine kleine Umsturzvorlage etwa durch Er¬
höhung des allgemeinen Vertrauens zur Polizei zu fördern, war er wenig geeignet.
Man muß sich darüber wundern, wie unfähig Eugen Richter ist, eine günstige
Lage auszunutzen- der Kritiker in ihm und der fanatische, herrschsüchtige, unduld¬
same Parteihäuptling scheint jede Anlage zum Taktiker, wenn er je welche besessen
hat, zerstört zu haben. Die Stimmung ist so allgemein und so entschieden gegen
den Gesetzentwurf, wie wir das seit dem Tabakmonopol noch bei keiner Gesetzvor¬
lage der Regierung") erlebt haben. Vor der Sozialdemokratie fürchtet sich sogar



*) Beim Tnbakinonopol warens freilich „die verbündeten Regierungen," aber es wäre
Pedanterie und würde das Schreiben über deutsche Reichs- und Siantssachen außerordentlich
erschweren, wenn man in jedem einzelnen Falle zwischen der preußischen Regierung und den
verbündeten Regierungen gewissenhaft unterscheiden wollte.
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[0448] Maßgebliches und Unmaßgebliches persönliche noch allgemeine. Wenn alle satt sind, dann tritt der große Augen¬ blick ein, wo die Welt — untergehen muß. Wir werden also diesen Welt¬ untergang nicht so bald erleben, denn der Hunger wird den Lauf der Welt wohl noch ein Weilchen zusammenhalten. Maßgebliches und Unmaßgebliches Vom innern Kriegsschauplatz. Die wirklich große Gala-Elitevorstelluug (eine andre als die Zirkussprache wäre hier nicht angebracht) im Justizpalast zu Moabit regt uns zu zwei uunwßgeblichen Vorschlägen an. Mau erhöhe deu Gehalt aller Beamten der politischen Polizei auf das Dreifache, damit sie uicht mehr nötig haben, den vilen ehrlichen Schweinburg anzupumpen und vor Gericht zu flennen, verpflichte sie aber aufs strengste, nicht das Geringste mehr im Dienste des Staates zu thun und sich nur uoch mit der Pflege ihrer leiblichen Gesundheit zu beschäftige». Zweitens aber erlasse man ein Gesetz, wonach jedermann, der politische Zeitungsartikel, Nachrichten oder Leitartikel, schreibt, er sei Minister oder ver¬ bummelter Handlungsdiener, seineu Namen zu unterzeichnen verpflichtet ist. Der Einwand, beiß dann gerade die wertvollste» Artikel, nämlich sachkundige Kritiken an Staatseinrichtungen nud nu Zuständen der Verwaltung, ungeschrieben bleiben würden, weil die zu ihrer Abfassung am meisten befähigten sich scheuen würden, ihren Namen zu unterzeichnen, dieser Einwand ist nicht stichhaltig; denn ein mehr¬ monatiger Verzicht dieser Männer auf die publizistische Thätigkeit würde Zustände herbeiführen, die alle Spitzen der Behörden nötigen würden, für das Verbrechen des Bekenntnisses der Wahrheit völlige Straflosigkeit zuzusichern. Das sind unsre beiden Vorschläge. Außerdem hätten wir noch einen Wunsch, dessen Erfüllung unsre Neugierde und vielleicht auch die andrer Leute befriedigen würde. Wir möchten wissen, ob ein Fall nachgewiesen werden kann, nur ein einziger Fall, wo das Institut, bei dem täglich Dinge vorkommen, über die nach dem Ausspruch des Präsidenten des Schwurgerichts jeder anständige Mensch empört sein muß, dem Vaterlande einmal einen wirklichen Dienst geleistet hat. Niemandem wird dieser Sknudalvrozeß ungelegner gekommen sein als dem preußischen Minister des Innern, denn seine kleine Umsturzvorlage etwa durch Er¬ höhung des allgemeinen Vertrauens zur Polizei zu fördern, war er wenig geeignet. Man muß sich darüber wundern, wie unfähig Eugen Richter ist, eine günstige Lage auszunutzen- der Kritiker in ihm und der fanatische, herrschsüchtige, unduld¬ same Parteihäuptling scheint jede Anlage zum Taktiker, wenn er je welche besessen hat, zerstört zu haben. Die Stimmung ist so allgemein und so entschieden gegen den Gesetzentwurf, wie wir das seit dem Tabakmonopol noch bei keiner Gesetzvor¬ lage der Regierung") erlebt haben. Vor der Sozialdemokratie fürchtet sich sogar *) Beim Tnbakinonopol warens freilich „die verbündeten Regierungen," aber es wäre Pedanterie und würde das Schreiben über deutsche Reichs- und Siantssachen außerordentlich erschweren, wenn man in jedem einzelnen Falle zwischen der preußischen Regierung und den verbündeten Regierungen gewissenhaft unterscheiden wollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/448>, abgerufen am 23.07.2024.