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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Interesse

rüstung der Reichen über die Begehrlichkeit der Armen hat zu allen Zeiten
etwas komisches gehabt, das Versteckspielen mit den wahren persönlichen und
den unwahren allgemeinen Interessen tritt da so recht zu Tage. Daher ist
denn auch unser Kulturfortschritt im Laufe der Jahrhunderte, allen Errungen¬
schaften zum Trotz, lange nicht so erstaunlich, wie wir uns das gegenseitig
weiszumachen suchen. Wenn nämlich das bischen Kulturfirniß von den
menschlichen Leistungen abgestreift wird, dann stoßen wir gar zu oft, auch bei
den anscheinend idealsten Bestrebungen, auf das Ewigbleibende, Natürliche und
Weltbewegende, den menschlichen Egoismus in seinen tausendfachen Schatti-
rungen. Der Egoismus ist die treibende Kraft im Leben der Menschen, er
ist der Motor, der die Interessen des Einzelnen und somit auch der ganzen
Menschheit in Bewegung setzt.

Wie wenig Berechtigung es hat, jene treibende Kraft, das persönliche
Interesse, als etwas Gemeines hinzustellen, das zeigt sich besonders darin, daß
ganze Gruppen von Menschen, die durch gemeinschaftliche Bestrebungen zu¬
sammengehalten werden, ihren Einfluß nur diesem gemeinschaftlichen Interesse
verdanken. Äußerst komisch wirkt es, wenn sich solche Interessengruppen dann
auch gegenseitig ihre persönlichen Interessen vorwerfen. Das sehen wir z. B.
bei sämtlichen politischen Parteien, die gegenseitig mit tiefster Entrüstung von
"schmachvoller Interessenpolitik" reden. Du lieber Himmel, es giebt doch gar
keine andre Politik auf der Welt als Interessenpolitik; wäre ein ganz be¬
stimmtes politisches oder wirtschaftliches anscheinend allgemeines Interesse nicht
da (das sich aber stets aus einer Reihe der allerpersönlichsten Interessen zu¬
sammensetzt, hier wie überall), dann wäre auch jene politische Partei gar nicht
vorhanden. Die Regierung hat ihre Interessen (auch keine allgemeinen, ob¬
wohl es so scheint), jede Partei hat ihre Interessen, und nur diese Interessen,
deren rein persönlicher Charakter ja nicht immer gerade auf der Oberfläche zu
schwimmen braucht, prallen aufeinander, wenn es so aussieht, als wenn die
Parteien das Gemeinwohl ins Treffen führen und das Wort Unparteilichkeit
dabei eine so große Rolle spielt. Wer einer Partei angehört, der kann gar
nicht mehr unparteiisch sein, das liegt doch schon in dem Ausdruck Partei;
er will aber auch gar nicht unparteiisch sein, denn er will ja ein Parteigänger
sein. Es mag ja mancher ehrlich glaube", daß sein sogenannter allgemeiner
Standpunkt von seinen persönlichen Interessen nicht bedingt werde, daß er im
Sinne der Allgemeinheit wirke, wenn er sich von seinen eignen Interessen
treiben läßt; aber die Angriffe der Gegner könnten ihn stutzig machen, wenn
er überhaupt in dieser Hinsicht einer Aufklärung zugänglich wäre. Ja wohl,
da kommen wir auf die uralte, hausbackne Wahrheit, daß man von seinem
Konkurrenten, von seinem Mitinteressenten lernen soll oder eigentlich überhaupt
nur lernen kann. Von unsern guten Freunde", wenn sie keine eignen Inter¬
essen im gegebnen Falle haben, lernen wir gar nichts, die bestärken uns nur


Interesse

rüstung der Reichen über die Begehrlichkeit der Armen hat zu allen Zeiten
etwas komisches gehabt, das Versteckspielen mit den wahren persönlichen und
den unwahren allgemeinen Interessen tritt da so recht zu Tage. Daher ist
denn auch unser Kulturfortschritt im Laufe der Jahrhunderte, allen Errungen¬
schaften zum Trotz, lange nicht so erstaunlich, wie wir uns das gegenseitig
weiszumachen suchen. Wenn nämlich das bischen Kulturfirniß von den
menschlichen Leistungen abgestreift wird, dann stoßen wir gar zu oft, auch bei
den anscheinend idealsten Bestrebungen, auf das Ewigbleibende, Natürliche und
Weltbewegende, den menschlichen Egoismus in seinen tausendfachen Schatti-
rungen. Der Egoismus ist die treibende Kraft im Leben der Menschen, er
ist der Motor, der die Interessen des Einzelnen und somit auch der ganzen
Menschheit in Bewegung setzt.

Wie wenig Berechtigung es hat, jene treibende Kraft, das persönliche
Interesse, als etwas Gemeines hinzustellen, das zeigt sich besonders darin, daß
ganze Gruppen von Menschen, die durch gemeinschaftliche Bestrebungen zu¬
sammengehalten werden, ihren Einfluß nur diesem gemeinschaftlichen Interesse
verdanken. Äußerst komisch wirkt es, wenn sich solche Interessengruppen dann
auch gegenseitig ihre persönlichen Interessen vorwerfen. Das sehen wir z. B.
bei sämtlichen politischen Parteien, die gegenseitig mit tiefster Entrüstung von
»schmachvoller Interessenpolitik" reden. Du lieber Himmel, es giebt doch gar
keine andre Politik auf der Welt als Interessenpolitik; wäre ein ganz be¬
stimmtes politisches oder wirtschaftliches anscheinend allgemeines Interesse nicht
da (das sich aber stets aus einer Reihe der allerpersönlichsten Interessen zu¬
sammensetzt, hier wie überall), dann wäre auch jene politische Partei gar nicht
vorhanden. Die Regierung hat ihre Interessen (auch keine allgemeinen, ob¬
wohl es so scheint), jede Partei hat ihre Interessen, und nur diese Interessen,
deren rein persönlicher Charakter ja nicht immer gerade auf der Oberfläche zu
schwimmen braucht, prallen aufeinander, wenn es so aussieht, als wenn die
Parteien das Gemeinwohl ins Treffen führen und das Wort Unparteilichkeit
dabei eine so große Rolle spielt. Wer einer Partei angehört, der kann gar
nicht mehr unparteiisch sein, das liegt doch schon in dem Ausdruck Partei;
er will aber auch gar nicht unparteiisch sein, denn er will ja ein Parteigänger
sein. Es mag ja mancher ehrlich glaube», daß sein sogenannter allgemeiner
Standpunkt von seinen persönlichen Interessen nicht bedingt werde, daß er im
Sinne der Allgemeinheit wirke, wenn er sich von seinen eignen Interessen
treiben läßt; aber die Angriffe der Gegner könnten ihn stutzig machen, wenn
er überhaupt in dieser Hinsicht einer Aufklärung zugänglich wäre. Ja wohl,
da kommen wir auf die uralte, hausbackne Wahrheit, daß man von seinem
Konkurrenten, von seinem Mitinteressenten lernen soll oder eigentlich überhaupt
nur lernen kann. Von unsern guten Freunde», wenn sie keine eignen Inter¬
essen im gegebnen Falle haben, lernen wir gar nichts, die bestärken uns nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/445>, abgerufen am 23.07.2024.