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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Aonstanz

Herrn bittre Thränen nachweinte und mir, wenn ich ein Stündlein für sie
übrig hatte, Münchner Geschichten erzählte. Mit den Einkünften war es
nämlich so, daß bei Erledigung der Stelle der großherzogliche Verwaltnngs-
hof darüber zu verfügen hat. Der ist nun aber sehr gewissenhaft und studirt
erst ein paar Monate lang Akten; und unser Kirchenrechner war nicht minder
gewissenhaft und zahlte ohne obrigkeitliche Anweisung keinen Pfennig aus.
Ich hatte im August mein Geld bis auf den letzten Heller verreist, und da
am 1. September nichts ausgezahlt wurde, saßen wir auf dem Trocknen.
Die Margaret ging auf eigne Verantwortung täglich zum Hüter des Kirchen¬
schatzes, um das Marktgeld für den Tag herauszuschlagen, obgleich ich ihr
gesagt hatte: Gehn Sie nicht zum alten Delisle betteln; wenn wir nichts mehr
haben, legen wir uns ins Bett und hungern uns tot! Schließlich half ich
mir damit, daß ich mir den Rest der Bezahlung für den Neligionsuntericht
an den höhern Lehranstalten, den ich noch zu bekommen hatte, vom Kirchen-
Vorstande vorschießen ließ (die Stunde wurde an einer der Anstalten mit achtzig
Pfennigen, an den beiden andern mit einer Mark honorirt), und dann gab
mir die Gemeinde noch eine Gratifikation für die letzten anderthalb Monate;
die Entscheidung des Verwaltungshofes abzuwarten hatte ich keine Zeit, da
ich am 15. Oktober nach Reiße übersiedelte. Am Schluß der letzten geschäft¬
lichen Unterredung mit meinem guten Freunde Delisle -- es hat mir nachher
leid gethan -- schrie ich ihn an: Der Konstanzer Kirchengemeindcrat ist ent¬
weder die dümmste oder die schäbigste Körperschaft im ganzen deutschen Reiche,
worauf er mit seiner gewöhnlichen Ruhe, wenn auch ein wenig betrübt, er¬
widerte: Das möchte ich doch nicht behaupten -- ja, und was ich noch sagen
wollte, meine Frau läßt Sie bitten, Sie möchten heut nachmittag um drei
zum Kaffee zu uns kommen. Adieu.

Für die Pfarrei hatte ich mich nämlich nicht gemeldet, weil ich im voraus
wußte, daß ich bei der Konkurrenz unterliegen würde. Zwar der oben er¬
wähnte Parlamentarier hätte es gern gesehn, wenn ich geblieben wäre, aber
die Mehrheit des Kirchenvorstandes beschloß, die Stelle auszuschreiben, was
ich ihm nicht verdenken konnte. Ich erklärte daher sofort, daß ich ein ander¬
weitiges Unterkommen suchen würde, und meldete mich zu einer Schwarzwald-
Pfarrei. Darauf wurde mir gesagt, daß meine Meldung erst dann amtliche
Geltung erlangen könnte, wenn ich das badische Jndigenat Hütte. Ich verschaffte
mir also die Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverband und erlangte
die Aufnahme in den badischen. Kaum war dieses Schriftstück da, so ergaben
sich Schwierigkeiten in jener Pfarrei, und ich entschied mich für das mittler¬
weile eingetroffne Anerbieten der Reißer Gemeinde. Nun mußte ich mich
wieder von der neu erworbnen Unterthanenschaft entbinden und in die preußische
zurückversetzen lassen. Diese zweite Aufnahmeurkunde konnte ich nicht abwarten.
Auf dem Wege zum Dampfschiff (am Abend vorher hatte man mir eine Ab-


München und Aonstanz

Herrn bittre Thränen nachweinte und mir, wenn ich ein Stündlein für sie
übrig hatte, Münchner Geschichten erzählte. Mit den Einkünften war es
nämlich so, daß bei Erledigung der Stelle der großherzogliche Verwaltnngs-
hof darüber zu verfügen hat. Der ist nun aber sehr gewissenhaft und studirt
erst ein paar Monate lang Akten; und unser Kirchenrechner war nicht minder
gewissenhaft und zahlte ohne obrigkeitliche Anweisung keinen Pfennig aus.
Ich hatte im August mein Geld bis auf den letzten Heller verreist, und da
am 1. September nichts ausgezahlt wurde, saßen wir auf dem Trocknen.
Die Margaret ging auf eigne Verantwortung täglich zum Hüter des Kirchen¬
schatzes, um das Marktgeld für den Tag herauszuschlagen, obgleich ich ihr
gesagt hatte: Gehn Sie nicht zum alten Delisle betteln; wenn wir nichts mehr
haben, legen wir uns ins Bett und hungern uns tot! Schließlich half ich
mir damit, daß ich mir den Rest der Bezahlung für den Neligionsuntericht
an den höhern Lehranstalten, den ich noch zu bekommen hatte, vom Kirchen-
Vorstande vorschießen ließ (die Stunde wurde an einer der Anstalten mit achtzig
Pfennigen, an den beiden andern mit einer Mark honorirt), und dann gab
mir die Gemeinde noch eine Gratifikation für die letzten anderthalb Monate;
die Entscheidung des Verwaltungshofes abzuwarten hatte ich keine Zeit, da
ich am 15. Oktober nach Reiße übersiedelte. Am Schluß der letzten geschäft¬
lichen Unterredung mit meinem guten Freunde Delisle — es hat mir nachher
leid gethan — schrie ich ihn an: Der Konstanzer Kirchengemeindcrat ist ent¬
weder die dümmste oder die schäbigste Körperschaft im ganzen deutschen Reiche,
worauf er mit seiner gewöhnlichen Ruhe, wenn auch ein wenig betrübt, er¬
widerte: Das möchte ich doch nicht behaupten — ja, und was ich noch sagen
wollte, meine Frau läßt Sie bitten, Sie möchten heut nachmittag um drei
zum Kaffee zu uns kommen. Adieu.

Für die Pfarrei hatte ich mich nämlich nicht gemeldet, weil ich im voraus
wußte, daß ich bei der Konkurrenz unterliegen würde. Zwar der oben er¬
wähnte Parlamentarier hätte es gern gesehn, wenn ich geblieben wäre, aber
die Mehrheit des Kirchenvorstandes beschloß, die Stelle auszuschreiben, was
ich ihm nicht verdenken konnte. Ich erklärte daher sofort, daß ich ein ander¬
weitiges Unterkommen suchen würde, und meldete mich zu einer Schwarzwald-
Pfarrei. Darauf wurde mir gesagt, daß meine Meldung erst dann amtliche
Geltung erlangen könnte, wenn ich das badische Jndigenat Hütte. Ich verschaffte
mir also die Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverband und erlangte
die Aufnahme in den badischen. Kaum war dieses Schriftstück da, so ergaben
sich Schwierigkeiten in jener Pfarrei, und ich entschied mich für das mittler¬
weile eingetroffne Anerbieten der Reißer Gemeinde. Nun mußte ich mich
wieder von der neu erworbnen Unterthanenschaft entbinden und in die preußische
zurückversetzen lassen. Diese zweite Aufnahmeurkunde konnte ich nicht abwarten.
Auf dem Wege zum Dampfschiff (am Abend vorher hatte man mir eine Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/437>, abgerufen am 23.07.2024.