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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

zu allererst darauf gerichtet, ob man etwas ordentliches bei ihm lernt; auch
aus diesem Grunde ist der Unterricht in der Prima sehr viel leichter als in
der Sexta. Hosemcmns pädagogische Begabung scheint nun seinem Wissen
nicht gleichgekommen zu sein, da er, obwohl er gut sah und horte, mit den
Buben noch schlechter fertig wurde als ich. Die Direktoren freuten sich, daß
ich verständig zensirte; Hosemcmn hatte allen Schülern der Oberklassen "gut"
und allen Schülern der Unterklassen "recht gut" gegeben. Der Direktor der
höhern Töchterschule in Offenburg sagte mir einmal, ich könnte mir das
Zensurschreiben ganz ersparen, weil meine Note immer genau mit dem Durch¬
schnitt der andern Noten zusammenträfe.

Zu dieser Anstrengung und diesem sortwührendcu Ärger war nun noch
das übrige gekommen. Die scheinbar glänzenden Aussichten des Altkatholizismus
in Baden hatten getäuscht; Hosemann strengte alle seine Kräfte an, um die
Gemeinde zu vergrößern, und statt der Freude über den Erfolg stellte sich die
Sorge ein, ob es ihm gelingen würde, auch nur die gewonnenen Gemeinde¬
mitglieder beisammen zu halten. Ruch mag ihn nach einigen Jahren das Ge¬
fühl beschlichen haben, daß seine Predigten keine Anziehungskraft mehr aus¬
übten, und er suchte sie durch Abeudvorträge zu ergänzen. "Do Hot der arme
gute Herr, klagte mir seine Wirtin, die dicke Margaret, sich den ganzen Tag
über plagen gemußt mit den ungezognen Buben, und hernach Hot er auch noch
des Abends in: Wirtshaus Vortrüge halten müssen über ollerlei gelehrte Sachen,
bloß daß dene Herren das Bier besser schmecken thut." Er scheint von der Angst
befallen worden zu sein, daß man ihn drängen konnte, mit einem kleinen
Gnadengehalt in den Ruhestand zu treten, und ich selbst hatte vielleicht un¬
absichtlich dazu beigetragen, diese Angst wach zu rufen. Im Sommer 1875
sprach mir ein Mitglied des Konstanzer Gemeindevorstands, ein bekannter
Parlamentarier, bei einem gelegentlichen Zusammentreffen den Wunsch aus,
ich möchte einmal in Konstanz Gottesdienst halten. Das that ich denn auch,
selbstverständlich mit Hosemanns Erlaubnis, dessen Gast ich drei Tage war,
auf einem Ferienausfluge. Er war die ganze Zeit über sehr freundlich und
führte mich in der schönen Umgebung herum, aber beim Abschied gab er mir
zu verstehen, daß er hinter meinem Besuche eine schlimme Absicht wittere, die
mir ganz fern lag. Mein Eintreffen im Herbst 1878 mag ihn daher nicht
wenig aufgeregt haben, denn wie durch einen Nebel vermochte er doch noch
den Zusammenhang der Dinge zu erkennen. Er betrachtete mich als seinen Ver¬
dränger, war sich aber dabei seines Zustandes und der Notwendigkeit einer
Vertretung bewußt, und äußerte in einem lichten Augenblick zur Margaret:
"Ich wünschte, Jentsch würde mein Nachfolger; der wirds den Herren sagen;
ich leurs nicht."

Nun, und der hats ihnen denn auch gesagt. Gegen die Entmündigung,
die im Frühjahr 1879 eintrat, hatte ich nichts einzuwenden, war sie doch in


München und Konstanz

zu allererst darauf gerichtet, ob man etwas ordentliches bei ihm lernt; auch
aus diesem Grunde ist der Unterricht in der Prima sehr viel leichter als in
der Sexta. Hosemcmns pädagogische Begabung scheint nun seinem Wissen
nicht gleichgekommen zu sein, da er, obwohl er gut sah und horte, mit den
Buben noch schlechter fertig wurde als ich. Die Direktoren freuten sich, daß
ich verständig zensirte; Hosemcmn hatte allen Schülern der Oberklassen „gut"
und allen Schülern der Unterklassen „recht gut" gegeben. Der Direktor der
höhern Töchterschule in Offenburg sagte mir einmal, ich könnte mir das
Zensurschreiben ganz ersparen, weil meine Note immer genau mit dem Durch¬
schnitt der andern Noten zusammenträfe.

Zu dieser Anstrengung und diesem sortwührendcu Ärger war nun noch
das übrige gekommen. Die scheinbar glänzenden Aussichten des Altkatholizismus
in Baden hatten getäuscht; Hosemann strengte alle seine Kräfte an, um die
Gemeinde zu vergrößern, und statt der Freude über den Erfolg stellte sich die
Sorge ein, ob es ihm gelingen würde, auch nur die gewonnenen Gemeinde¬
mitglieder beisammen zu halten. Ruch mag ihn nach einigen Jahren das Ge¬
fühl beschlichen haben, daß seine Predigten keine Anziehungskraft mehr aus¬
übten, und er suchte sie durch Abeudvorträge zu ergänzen. „Do Hot der arme
gute Herr, klagte mir seine Wirtin, die dicke Margaret, sich den ganzen Tag
über plagen gemußt mit den ungezognen Buben, und hernach Hot er auch noch
des Abends in: Wirtshaus Vortrüge halten müssen über ollerlei gelehrte Sachen,
bloß daß dene Herren das Bier besser schmecken thut." Er scheint von der Angst
befallen worden zu sein, daß man ihn drängen konnte, mit einem kleinen
Gnadengehalt in den Ruhestand zu treten, und ich selbst hatte vielleicht un¬
absichtlich dazu beigetragen, diese Angst wach zu rufen. Im Sommer 1875
sprach mir ein Mitglied des Konstanzer Gemeindevorstands, ein bekannter
Parlamentarier, bei einem gelegentlichen Zusammentreffen den Wunsch aus,
ich möchte einmal in Konstanz Gottesdienst halten. Das that ich denn auch,
selbstverständlich mit Hosemanns Erlaubnis, dessen Gast ich drei Tage war,
auf einem Ferienausfluge. Er war die ganze Zeit über sehr freundlich und
führte mich in der schönen Umgebung herum, aber beim Abschied gab er mir
zu verstehen, daß er hinter meinem Besuche eine schlimme Absicht wittere, die
mir ganz fern lag. Mein Eintreffen im Herbst 1878 mag ihn daher nicht
wenig aufgeregt haben, denn wie durch einen Nebel vermochte er doch noch
den Zusammenhang der Dinge zu erkennen. Er betrachtete mich als seinen Ver¬
dränger, war sich aber dabei seines Zustandes und der Notwendigkeit einer
Vertretung bewußt, und äußerte in einem lichten Augenblick zur Margaret:
„Ich wünschte, Jentsch würde mein Nachfolger; der wirds den Herren sagen;
ich leurs nicht."

Nun, und der hats ihnen denn auch gesagt. Gegen die Entmündigung,
die im Frühjahr 1879 eintrat, hatte ich nichts einzuwenden, war sie doch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/434>, abgerufen am 23.07.2024.