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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Parlamcntsweisheit und der "Enqueten" wußten also die alten preußischen
Herrscher den rechten Weg zu finden und mit eiserner Beharrlichkeit und Aus¬
dauer zu verfolgen. Beharrlichkeit und Ausdauer namentlich haben unter
Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen zu Erfolgen geführt. Die
Regierungszeiten Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms II. sind durch feuriges
Aufnehmen von Reformen und Wiederaufgeben, wenn sich die Schwierigkeiten
der Durchführung fühlbar machten, sowie durch Duldung von Liebedienerei
charakterisirt. Es sind Zeiten geistreicher Ideen und verfehlter Anläufe.

Ein Gesichtspunkt, den die Regierung unter den heutigen Verhältnissen
nicht unberücksichtigt lassen kann bei Vodenbesitzrefvrmen, ist der, der sich aus
der parlamentarischen Parteigrnppirnng ergiebt. Die Rittergutsbesitzer des
Ostens bilden den Kern der konservativen Partei, und die konservative Partei
ist bis heute eine unentbehrliche Stütze der Regierung bei allen Fragen der
Staatswehr. Daß es ohne starke Staatswehr kein deutsches Reich giebt, ist
ohne weiteres klar; es hängt also von der politischen Reife und dem natio¬
nalen Standpunkt der übrigen Parteien ab, ob die Regierung künftig diese
Stütze wird entbehren können oder nicht.

Die politische Störrigkeit ist leider eine deutsche Nationaluntugend, der
deutsche Bürger versteht noch heute unter Freiheit nur zu häufig die Freiheit
vom Staate, die Freiheit Bamberger-Richterscher Auslegung, eine Sorte von
Freiheit, von der der alte Moser schon im vorigen Jahrhundert geurteilt hat:
"Wenn Gott ein Volk wird strafen wollen, so wird er es künftig mit deutscher
Freiheit heimsuchen." Diese störrische Freiheit, die sich aufs äußerste gegen
die Unterordnung von Privatinteressen unter den Staat sträubt, der der Ge¬
danke staatlicher Pflichten ein Gräuel ist, die nicht staatlich denken kann und
will, die im wesentlichen nur kleinlicher Eigennutz und Selbstsucht ist, ist eine
Hauptursache für die Machtlosigkeit des alten deutschen Reichs gewesen. Durch
die Machtlosigkeit des Reichs siud aber im fünfzehnten und sechzehnten Jahr¬
hundert alle seine staatlichen Unternehmungen mißglückt; um der Machtlosigkeit
ist die Begründung eines nationalen Staats, einer Nationalkirche, überseeischer
Tochterstaaten und innern Wohlstands gescheitert, bis sich der innere und äußere
Verfall in dem Gottesgericht des großen Krieges vollendete.

Ob das deutsche Bürgertum eine größere politische Reife zeigen wird,
davon hängt in ganz zweifelloser Weise auch die Zukunft des neuen deutschen
Reichs ab. Erst dann kann das Bürgertum die politische Erbschaft des
Junkertums antreten, wenn es versteht, in der Gegenwart die notwendigen
Opfer für die in der Zukunft liegenden Vorteile zu bringen, wenn es gewillt
ist, die legitimen Ansprüche, die der Staat für sein Bestehen und Gedeihen
fordern muß, glatt zu erfüllen, wenn es seine besondern Vorteile dem Wohle
des Ganzen -- dem "gemeinen Nutzen," wie man früher sagte -- willig unter¬
ordnet. Die Lehre von der brutalen Ausbeutung der Macht, wie sie in


Die ostdeutsche Landwirtschaft

Parlamcntsweisheit und der „Enqueten" wußten also die alten preußischen
Herrscher den rechten Weg zu finden und mit eiserner Beharrlichkeit und Aus¬
dauer zu verfolgen. Beharrlichkeit und Ausdauer namentlich haben unter
Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen zu Erfolgen geführt. Die
Regierungszeiten Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms II. sind durch feuriges
Aufnehmen von Reformen und Wiederaufgeben, wenn sich die Schwierigkeiten
der Durchführung fühlbar machten, sowie durch Duldung von Liebedienerei
charakterisirt. Es sind Zeiten geistreicher Ideen und verfehlter Anläufe.

Ein Gesichtspunkt, den die Regierung unter den heutigen Verhältnissen
nicht unberücksichtigt lassen kann bei Vodenbesitzrefvrmen, ist der, der sich aus
der parlamentarischen Parteigrnppirnng ergiebt. Die Rittergutsbesitzer des
Ostens bilden den Kern der konservativen Partei, und die konservative Partei
ist bis heute eine unentbehrliche Stütze der Regierung bei allen Fragen der
Staatswehr. Daß es ohne starke Staatswehr kein deutsches Reich giebt, ist
ohne weiteres klar; es hängt also von der politischen Reife und dem natio¬
nalen Standpunkt der übrigen Parteien ab, ob die Regierung künftig diese
Stütze wird entbehren können oder nicht.

Die politische Störrigkeit ist leider eine deutsche Nationaluntugend, der
deutsche Bürger versteht noch heute unter Freiheit nur zu häufig die Freiheit
vom Staate, die Freiheit Bamberger-Richterscher Auslegung, eine Sorte von
Freiheit, von der der alte Moser schon im vorigen Jahrhundert geurteilt hat:
„Wenn Gott ein Volk wird strafen wollen, so wird er es künftig mit deutscher
Freiheit heimsuchen." Diese störrische Freiheit, die sich aufs äußerste gegen
die Unterordnung von Privatinteressen unter den Staat sträubt, der der Ge¬
danke staatlicher Pflichten ein Gräuel ist, die nicht staatlich denken kann und
will, die im wesentlichen nur kleinlicher Eigennutz und Selbstsucht ist, ist eine
Hauptursache für die Machtlosigkeit des alten deutschen Reichs gewesen. Durch
die Machtlosigkeit des Reichs siud aber im fünfzehnten und sechzehnten Jahr¬
hundert alle seine staatlichen Unternehmungen mißglückt; um der Machtlosigkeit
ist die Begründung eines nationalen Staats, einer Nationalkirche, überseeischer
Tochterstaaten und innern Wohlstands gescheitert, bis sich der innere und äußere
Verfall in dem Gottesgericht des großen Krieges vollendete.

Ob das deutsche Bürgertum eine größere politische Reife zeigen wird,
davon hängt in ganz zweifelloser Weise auch die Zukunft des neuen deutschen
Reichs ab. Erst dann kann das Bürgertum die politische Erbschaft des
Junkertums antreten, wenn es versteht, in der Gegenwart die notwendigen
Opfer für die in der Zukunft liegenden Vorteile zu bringen, wenn es gewillt
ist, die legitimen Ansprüche, die der Staat für sein Bestehen und Gedeihen
fordern muß, glatt zu erfüllen, wenn es seine besondern Vorteile dem Wohle
des Ganzen — dem „gemeinen Nutzen," wie man früher sagte — willig unter¬
ordnet. Die Lehre von der brutalen Ausbeutung der Macht, wie sie in


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[0431] Die ostdeutsche Landwirtschaft Parlamcntsweisheit und der „Enqueten" wußten also die alten preußischen Herrscher den rechten Weg zu finden und mit eiserner Beharrlichkeit und Aus¬ dauer zu verfolgen. Beharrlichkeit und Ausdauer namentlich haben unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen zu Erfolgen geführt. Die Regierungszeiten Friedrichs I. und Friedrich Wilhelms II. sind durch feuriges Aufnehmen von Reformen und Wiederaufgeben, wenn sich die Schwierigkeiten der Durchführung fühlbar machten, sowie durch Duldung von Liebedienerei charakterisirt. Es sind Zeiten geistreicher Ideen und verfehlter Anläufe. Ein Gesichtspunkt, den die Regierung unter den heutigen Verhältnissen nicht unberücksichtigt lassen kann bei Vodenbesitzrefvrmen, ist der, der sich aus der parlamentarischen Parteigrnppirnng ergiebt. Die Rittergutsbesitzer des Ostens bilden den Kern der konservativen Partei, und die konservative Partei ist bis heute eine unentbehrliche Stütze der Regierung bei allen Fragen der Staatswehr. Daß es ohne starke Staatswehr kein deutsches Reich giebt, ist ohne weiteres klar; es hängt also von der politischen Reife und dem natio¬ nalen Standpunkt der übrigen Parteien ab, ob die Regierung künftig diese Stütze wird entbehren können oder nicht. Die politische Störrigkeit ist leider eine deutsche Nationaluntugend, der deutsche Bürger versteht noch heute unter Freiheit nur zu häufig die Freiheit vom Staate, die Freiheit Bamberger-Richterscher Auslegung, eine Sorte von Freiheit, von der der alte Moser schon im vorigen Jahrhundert geurteilt hat: „Wenn Gott ein Volk wird strafen wollen, so wird er es künftig mit deutscher Freiheit heimsuchen." Diese störrische Freiheit, die sich aufs äußerste gegen die Unterordnung von Privatinteressen unter den Staat sträubt, der der Ge¬ danke staatlicher Pflichten ein Gräuel ist, die nicht staatlich denken kann und will, die im wesentlichen nur kleinlicher Eigennutz und Selbstsucht ist, ist eine Hauptursache für die Machtlosigkeit des alten deutschen Reichs gewesen. Durch die Machtlosigkeit des Reichs siud aber im fünfzehnten und sechzehnten Jahr¬ hundert alle seine staatlichen Unternehmungen mißglückt; um der Machtlosigkeit ist die Begründung eines nationalen Staats, einer Nationalkirche, überseeischer Tochterstaaten und innern Wohlstands gescheitert, bis sich der innere und äußere Verfall in dem Gottesgericht des großen Krieges vollendete. Ob das deutsche Bürgertum eine größere politische Reife zeigen wird, davon hängt in ganz zweifelloser Weise auch die Zukunft des neuen deutschen Reichs ab. Erst dann kann das Bürgertum die politische Erbschaft des Junkertums antreten, wenn es versteht, in der Gegenwart die notwendigen Opfer für die in der Zukunft liegenden Vorteile zu bringen, wenn es gewillt ist, die legitimen Ansprüche, die der Staat für sein Bestehen und Gedeihen fordern muß, glatt zu erfüllen, wenn es seine besondern Vorteile dem Wohle des Ganzen — dem „gemeinen Nutzen," wie man früher sagte — willig unter¬ ordnet. Die Lehre von der brutalen Ausbeutung der Macht, wie sie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/431>, abgerufen am 23.07.2024.