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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Nutzen sein und sie aus ihrer schwierigen und peinlichen Lage befreien.
Ihre politischen Vorrechte sind ohnehin durch die neuere Gesetzgebung verloren.

Wir halten die "Not der Landwirtschaft" in der Hauptsache für die
Krisis des unhaltbar gewordnen mittlern Nittergutsbetriebs. Griffe der
Staat ein, so könnte er eine breite Zone von Kleinbauernbesitz als besten Wall
gegen das eindringende Slawentum schaffen. Der Kleinbauer ist weit unab¬
hängiger in seinem Getreidebau von den Weltmarktpreisen, da er in der Haupt¬
sache für den eignen Verbrauch baut und seinen Überschuß nach der nächsten
Stadt zu Markte führt. Durch eine solche Zunahme des Bauernlands würden
wir die Grundlage unsrer Gesamtbevölkerung in sehr erwünschter Weise kräftigen
und zahlreichen gesunden Nachwuchs und Nachzug für die Städte und die ge¬
werbliche Entwicklung sichern. Eine breite gesunde bäuerliche Grundlage würde
unserm Volke die Überlegenheit über rein gewerbliche, handeltreibende und
rentenbeziehende Völker dauernd wahren. Die deutsche Landwirtschaft würde
dadurch von zwei ihrer schwersten Lasten befreit werden, erstens von der Be¬
lastung durch das standesgemäße Leben und dann von der Belastung durch
die viel zu weit getriebne Hypothekarverschuldung. Ob ohne diese Lasten noch
eine wirkliche "Not" übrig bleiben würde, ist sehr fraglich; eine wesentliche
Besserung würde jedenfalls eintreten.

Weiter bedarf die ostdeutsche Landwirtschaft -- auch als Bauernland --
zu ihrer Hebung der Schaffung kaufkräftiger Abnehmer an Ort und Stelle
und jeder möglichen Erleichterung des Absatzes. Für die Erleichterung des
Absatzes ist die Aufschließung des Landes durch alle modernen Verkehrsmittel
anzustreben, namentlich die Vermehrung der Wasserstraßen, die für den Verkehr
von Massengütern die wichtigsten sind. Kaufkräftige Abnehmer an Ort und
Stelle aber können nur entstehen, wenn die Einführung der Industrie in die
Städte des Ostens mit allen Mitteln gefördert wird. Nur auf diesem Wege
kann der Osten dem nationalen Leben erhalten und -- wiedergewonnen werden,
sonst ist er ein absterbendes Glied am Leibe des deutschen Reiches, das mit
der Zeit einen immer schädlichem Einfluß auf das Ganze ausüben muß.

Die letzten großen Kolonisatoren des Ostens waren Friedrich Wilhelm I.
und Friedrich der Große; ihr Hauptgedanke, die "Peuplirung" des Landes,
muß mit allen Kräften auch heute wieder angestrebt werden, aber nur
deutsche Bauern dürften angesiedelt werden. Bei dem "Retablissement" des
durch den nordischen Krieg und die Pestjahre 1709 und 1710 furchtbar
heruntergekommnen Ostpreußens schreibt Friedrich Wilhelm I.: "Menschen halte
ich sür den größten Reichtum, aber bei Leib- und Lebensstrafe keinen Polen,
sondern nur deutsche Leute!"*) Trotz des Fehlens einer freien Presse, der



Der König versteht hierbei uiiter Menschen allerdings nicht Proletarier, sondern Menschen,
die zu leben haben.
Die ostdeutsche Landwirtschaft

Nutzen sein und sie aus ihrer schwierigen und peinlichen Lage befreien.
Ihre politischen Vorrechte sind ohnehin durch die neuere Gesetzgebung verloren.

Wir halten die „Not der Landwirtschaft" in der Hauptsache für die
Krisis des unhaltbar gewordnen mittlern Nittergutsbetriebs. Griffe der
Staat ein, so könnte er eine breite Zone von Kleinbauernbesitz als besten Wall
gegen das eindringende Slawentum schaffen. Der Kleinbauer ist weit unab¬
hängiger in seinem Getreidebau von den Weltmarktpreisen, da er in der Haupt¬
sache für den eignen Verbrauch baut und seinen Überschuß nach der nächsten
Stadt zu Markte führt. Durch eine solche Zunahme des Bauernlands würden
wir die Grundlage unsrer Gesamtbevölkerung in sehr erwünschter Weise kräftigen
und zahlreichen gesunden Nachwuchs und Nachzug für die Städte und die ge¬
werbliche Entwicklung sichern. Eine breite gesunde bäuerliche Grundlage würde
unserm Volke die Überlegenheit über rein gewerbliche, handeltreibende und
rentenbeziehende Völker dauernd wahren. Die deutsche Landwirtschaft würde
dadurch von zwei ihrer schwersten Lasten befreit werden, erstens von der Be¬
lastung durch das standesgemäße Leben und dann von der Belastung durch
die viel zu weit getriebne Hypothekarverschuldung. Ob ohne diese Lasten noch
eine wirkliche „Not" übrig bleiben würde, ist sehr fraglich; eine wesentliche
Besserung würde jedenfalls eintreten.

Weiter bedarf die ostdeutsche Landwirtschaft — auch als Bauernland —
zu ihrer Hebung der Schaffung kaufkräftiger Abnehmer an Ort und Stelle
und jeder möglichen Erleichterung des Absatzes. Für die Erleichterung des
Absatzes ist die Aufschließung des Landes durch alle modernen Verkehrsmittel
anzustreben, namentlich die Vermehrung der Wasserstraßen, die für den Verkehr
von Massengütern die wichtigsten sind. Kaufkräftige Abnehmer an Ort und
Stelle aber können nur entstehen, wenn die Einführung der Industrie in die
Städte des Ostens mit allen Mitteln gefördert wird. Nur auf diesem Wege
kann der Osten dem nationalen Leben erhalten und — wiedergewonnen werden,
sonst ist er ein absterbendes Glied am Leibe des deutschen Reiches, das mit
der Zeit einen immer schädlichem Einfluß auf das Ganze ausüben muß.

Die letzten großen Kolonisatoren des Ostens waren Friedrich Wilhelm I.
und Friedrich der Große; ihr Hauptgedanke, die „Peuplirung" des Landes,
muß mit allen Kräften auch heute wieder angestrebt werden, aber nur
deutsche Bauern dürften angesiedelt werden. Bei dem „Retablissement" des
durch den nordischen Krieg und die Pestjahre 1709 und 1710 furchtbar
heruntergekommnen Ostpreußens schreibt Friedrich Wilhelm I.: „Menschen halte
ich sür den größten Reichtum, aber bei Leib- und Lebensstrafe keinen Polen,
sondern nur deutsche Leute!"*) Trotz des Fehlens einer freien Presse, der



Der König versteht hierbei uiiter Menschen allerdings nicht Proletarier, sondern Menschen,
die zu leben haben.
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[0430] Die ostdeutsche Landwirtschaft Nutzen sein und sie aus ihrer schwierigen und peinlichen Lage befreien. Ihre politischen Vorrechte sind ohnehin durch die neuere Gesetzgebung verloren. Wir halten die „Not der Landwirtschaft" in der Hauptsache für die Krisis des unhaltbar gewordnen mittlern Nittergutsbetriebs. Griffe der Staat ein, so könnte er eine breite Zone von Kleinbauernbesitz als besten Wall gegen das eindringende Slawentum schaffen. Der Kleinbauer ist weit unab¬ hängiger in seinem Getreidebau von den Weltmarktpreisen, da er in der Haupt¬ sache für den eignen Verbrauch baut und seinen Überschuß nach der nächsten Stadt zu Markte führt. Durch eine solche Zunahme des Bauernlands würden wir die Grundlage unsrer Gesamtbevölkerung in sehr erwünschter Weise kräftigen und zahlreichen gesunden Nachwuchs und Nachzug für die Städte und die ge¬ werbliche Entwicklung sichern. Eine breite gesunde bäuerliche Grundlage würde unserm Volke die Überlegenheit über rein gewerbliche, handeltreibende und rentenbeziehende Völker dauernd wahren. Die deutsche Landwirtschaft würde dadurch von zwei ihrer schwersten Lasten befreit werden, erstens von der Be¬ lastung durch das standesgemäße Leben und dann von der Belastung durch die viel zu weit getriebne Hypothekarverschuldung. Ob ohne diese Lasten noch eine wirkliche „Not" übrig bleiben würde, ist sehr fraglich; eine wesentliche Besserung würde jedenfalls eintreten. Weiter bedarf die ostdeutsche Landwirtschaft — auch als Bauernland — zu ihrer Hebung der Schaffung kaufkräftiger Abnehmer an Ort und Stelle und jeder möglichen Erleichterung des Absatzes. Für die Erleichterung des Absatzes ist die Aufschließung des Landes durch alle modernen Verkehrsmittel anzustreben, namentlich die Vermehrung der Wasserstraßen, die für den Verkehr von Massengütern die wichtigsten sind. Kaufkräftige Abnehmer an Ort und Stelle aber können nur entstehen, wenn die Einführung der Industrie in die Städte des Ostens mit allen Mitteln gefördert wird. Nur auf diesem Wege kann der Osten dem nationalen Leben erhalten und — wiedergewonnen werden, sonst ist er ein absterbendes Glied am Leibe des deutschen Reiches, das mit der Zeit einen immer schädlichem Einfluß auf das Ganze ausüben muß. Die letzten großen Kolonisatoren des Ostens waren Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große; ihr Hauptgedanke, die „Peuplirung" des Landes, muß mit allen Kräften auch heute wieder angestrebt werden, aber nur deutsche Bauern dürften angesiedelt werden. Bei dem „Retablissement" des durch den nordischen Krieg und die Pestjahre 1709 und 1710 furchtbar heruntergekommnen Ostpreußens schreibt Friedrich Wilhelm I.: „Menschen halte ich sür den größten Reichtum, aber bei Leib- und Lebensstrafe keinen Polen, sondern nur deutsche Leute!"*) Trotz des Fehlens einer freien Presse, der Der König versteht hierbei uiiter Menschen allerdings nicht Proletarier, sondern Menschen, die zu leben haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/430>, abgerufen am 23.07.2024.