Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die ostdeutsche Landwirtschaft

Gesetzgebung haben sie aus politischen Machthabern zu wirtschaftlichen Unter¬
nehmern gemacht. Diese Bestrebungen haben große soziale und nationale Ge¬
fahren zur Folge. Lassen wir den Dingen weiter ihren Lauf, so schreitet die
Slawisirung der Nittergutsgegeuden unaufhaltsam fort; beschränken wir die
Einwanderung, so ist der Rittergutsbetrieb unhaltbar. In den Vereinigten
Staaten Nordamerikas hat man die Einwanderung der Chinesen beschränkt;
man denke sich aber z. B. Kalifornien als ein Nittergutsland, so würden sich
auch dort die Rittergutsbesitzer im Interesse ihres Betriebes einer solchen Be¬
schränkung aufs äußerste widersetzt haben. Daß die Interessen dieses Besitzes
zu den sozialen und nationalen Interessen der Gesamtheit in Gegensatz geraten
sind, kann nicht geleugnet werden. Aber selbst dann, wenn der Staat dagegen
völlig die Augen verschlösse, wäre den Rittergutsbesitzern noch nicht geholfen,
sie werden weiter nach Staatshilfe rufen, d. h. nach weitern Opfern der Ge¬
samtheit zur Erhaltung ihrer Privatvorteile: schon wird die Doppelwährung,
die Börsenbeschränkung, das Getreidemonopol gefordert. Die Agrarier wollen
ihre Verkaufspreise durchaus der Weltmarktkonjunktur entziehen, weil ihnen
diese Konjunktur ungünstig ist. Sie können niemals die Begründung großer
deutscher Ackerbaukolonien wollen, denn diese würden mit ihrem zollfrei ein¬
geführten Getreide die inländischen Preise ebenfalls Herabdrücken. Der Kern-
Punkt der Sache liegt im wesentlichen in dem Zusammentreffen der Grundbesitz-
Verteilung, wie sie sich unter günstigen Konjunkturen gebildet hat, mit der nun
herabgehenden Weltmarktkonjunktur.

Von diesem Standpunkt aus gesehen, kann der Rückgang der Konjunktur
zum Segen sür unsre gesamte Entwicklung werden, wenn daraus der Anstoß
zu bessern Vodenverteilungsverhältnissen, zur Stärkung und Neubildung eines
kräftigen Bauernstands, zum Abschluß unsers Ostens gegen das vordringende
Slawentum genommen wird.

Der mittlere Ritterguts betrieb ist unter den heutigen Verhältnissen that¬
sächlich nicht mehr haltbar, die Frage ist nur, ob er sich unter staatlicher
Mitwirkung in Bauernland oder bei manchesterlichem Gehenlassen in Groß-
herrschaftsbesitz umwandeln soll. Die Ansiedlungskommission hat sehr gute
Erfolge gehabt, aber die Mittel haben nicht ausgereicht, die Aufgabe im großen
Maßstabe anzugreifen. Statt hundert Millionen würde dazu mindestens eine
Milliarde erforderlich sein. Das Geld würde aber durch den Verkauf der
Bauernstellen gegen Verzinsung und Abzahlung wieder einkommen, während
das Monopol nach einer Schätzung dem deutschen Volke jährlich ungefähr eine
halbe Milliarde kosten würde. Eine grundsätzliche Abänderung der Hypotheken¬
ordnung in Preußen wäre die erste nicht zu umgehende Voraussetzung einer
Besserung. Der staatliche Ablauf der Rittergüter würde den Familien des
Preußischen Kleinadels, die sich um den preußischen Staat und um die Grün¬
dung des deutscheu Reichs hohe Verdienste erworben haben, von großem


Die ostdeutsche Landwirtschaft

Gesetzgebung haben sie aus politischen Machthabern zu wirtschaftlichen Unter¬
nehmern gemacht. Diese Bestrebungen haben große soziale und nationale Ge¬
fahren zur Folge. Lassen wir den Dingen weiter ihren Lauf, so schreitet die
Slawisirung der Nittergutsgegeuden unaufhaltsam fort; beschränken wir die
Einwanderung, so ist der Rittergutsbetrieb unhaltbar. In den Vereinigten
Staaten Nordamerikas hat man die Einwanderung der Chinesen beschränkt;
man denke sich aber z. B. Kalifornien als ein Nittergutsland, so würden sich
auch dort die Rittergutsbesitzer im Interesse ihres Betriebes einer solchen Be¬
schränkung aufs äußerste widersetzt haben. Daß die Interessen dieses Besitzes
zu den sozialen und nationalen Interessen der Gesamtheit in Gegensatz geraten
sind, kann nicht geleugnet werden. Aber selbst dann, wenn der Staat dagegen
völlig die Augen verschlösse, wäre den Rittergutsbesitzern noch nicht geholfen,
sie werden weiter nach Staatshilfe rufen, d. h. nach weitern Opfern der Ge¬
samtheit zur Erhaltung ihrer Privatvorteile: schon wird die Doppelwährung,
die Börsenbeschränkung, das Getreidemonopol gefordert. Die Agrarier wollen
ihre Verkaufspreise durchaus der Weltmarktkonjunktur entziehen, weil ihnen
diese Konjunktur ungünstig ist. Sie können niemals die Begründung großer
deutscher Ackerbaukolonien wollen, denn diese würden mit ihrem zollfrei ein¬
geführten Getreide die inländischen Preise ebenfalls Herabdrücken. Der Kern-
Punkt der Sache liegt im wesentlichen in dem Zusammentreffen der Grundbesitz-
Verteilung, wie sie sich unter günstigen Konjunkturen gebildet hat, mit der nun
herabgehenden Weltmarktkonjunktur.

Von diesem Standpunkt aus gesehen, kann der Rückgang der Konjunktur
zum Segen sür unsre gesamte Entwicklung werden, wenn daraus der Anstoß
zu bessern Vodenverteilungsverhältnissen, zur Stärkung und Neubildung eines
kräftigen Bauernstands, zum Abschluß unsers Ostens gegen das vordringende
Slawentum genommen wird.

Der mittlere Ritterguts betrieb ist unter den heutigen Verhältnissen that¬
sächlich nicht mehr haltbar, die Frage ist nur, ob er sich unter staatlicher
Mitwirkung in Bauernland oder bei manchesterlichem Gehenlassen in Groß-
herrschaftsbesitz umwandeln soll. Die Ansiedlungskommission hat sehr gute
Erfolge gehabt, aber die Mittel haben nicht ausgereicht, die Aufgabe im großen
Maßstabe anzugreifen. Statt hundert Millionen würde dazu mindestens eine
Milliarde erforderlich sein. Das Geld würde aber durch den Verkauf der
Bauernstellen gegen Verzinsung und Abzahlung wieder einkommen, während
das Monopol nach einer Schätzung dem deutschen Volke jährlich ungefähr eine
halbe Milliarde kosten würde. Eine grundsätzliche Abänderung der Hypotheken¬
ordnung in Preußen wäre die erste nicht zu umgehende Voraussetzung einer
Besserung. Der staatliche Ablauf der Rittergüter würde den Familien des
Preußischen Kleinadels, die sich um den preußischen Staat und um die Grün¬
dung des deutscheu Reichs hohe Verdienste erworben haben, von großem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225357"/>
            <fw type="header" place="top"> Die ostdeutsche Landwirtschaft</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1427" prev="#ID_1426"> Gesetzgebung haben sie aus politischen Machthabern zu wirtschaftlichen Unter¬<lb/>
nehmern gemacht. Diese Bestrebungen haben große soziale und nationale Ge¬<lb/>
fahren zur Folge. Lassen wir den Dingen weiter ihren Lauf, so schreitet die<lb/>
Slawisirung der Nittergutsgegeuden unaufhaltsam fort; beschränken wir die<lb/>
Einwanderung, so ist der Rittergutsbetrieb unhaltbar. In den Vereinigten<lb/>
Staaten Nordamerikas hat man die Einwanderung der Chinesen beschränkt;<lb/>
man denke sich aber z. B. Kalifornien als ein Nittergutsland, so würden sich<lb/>
auch dort die Rittergutsbesitzer im Interesse ihres Betriebes einer solchen Be¬<lb/>
schränkung aufs äußerste widersetzt haben. Daß die Interessen dieses Besitzes<lb/>
zu den sozialen und nationalen Interessen der Gesamtheit in Gegensatz geraten<lb/>
sind, kann nicht geleugnet werden. Aber selbst dann, wenn der Staat dagegen<lb/>
völlig die Augen verschlösse, wäre den Rittergutsbesitzern noch nicht geholfen,<lb/>
sie werden weiter nach Staatshilfe rufen, d. h. nach weitern Opfern der Ge¬<lb/>
samtheit zur Erhaltung ihrer Privatvorteile: schon wird die Doppelwährung,<lb/>
die Börsenbeschränkung, das Getreidemonopol gefordert. Die Agrarier wollen<lb/>
ihre Verkaufspreise durchaus der Weltmarktkonjunktur entziehen, weil ihnen<lb/>
diese Konjunktur ungünstig ist. Sie können niemals die Begründung großer<lb/>
deutscher Ackerbaukolonien wollen, denn diese würden mit ihrem zollfrei ein¬<lb/>
geführten Getreide die inländischen Preise ebenfalls Herabdrücken. Der Kern-<lb/>
Punkt der Sache liegt im wesentlichen in dem Zusammentreffen der Grundbesitz-<lb/>
Verteilung, wie sie sich unter günstigen Konjunkturen gebildet hat, mit der nun<lb/>
herabgehenden Weltmarktkonjunktur.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1428"> Von diesem Standpunkt aus gesehen, kann der Rückgang der Konjunktur<lb/>
zum Segen sür unsre gesamte Entwicklung werden, wenn daraus der Anstoß<lb/>
zu bessern Vodenverteilungsverhältnissen, zur Stärkung und Neubildung eines<lb/>
kräftigen Bauernstands, zum Abschluß unsers Ostens gegen das vordringende<lb/>
Slawentum genommen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1429" next="#ID_1430"> Der mittlere Ritterguts betrieb ist unter den heutigen Verhältnissen that¬<lb/>
sächlich nicht mehr haltbar, die Frage ist nur, ob er sich unter staatlicher<lb/>
Mitwirkung in Bauernland oder bei manchesterlichem Gehenlassen in Groß-<lb/>
herrschaftsbesitz umwandeln soll. Die Ansiedlungskommission hat sehr gute<lb/>
Erfolge gehabt, aber die Mittel haben nicht ausgereicht, die Aufgabe im großen<lb/>
Maßstabe anzugreifen. Statt hundert Millionen würde dazu mindestens eine<lb/>
Milliarde erforderlich sein. Das Geld würde aber durch den Verkauf der<lb/>
Bauernstellen gegen Verzinsung und Abzahlung wieder einkommen, während<lb/>
das Monopol nach einer Schätzung dem deutschen Volke jährlich ungefähr eine<lb/>
halbe Milliarde kosten würde. Eine grundsätzliche Abänderung der Hypotheken¬<lb/>
ordnung in Preußen wäre die erste nicht zu umgehende Voraussetzung einer<lb/>
Besserung. Der staatliche Ablauf der Rittergüter würde den Familien des<lb/>
Preußischen Kleinadels, die sich um den preußischen Staat und um die Grün¬<lb/>
dung des deutscheu Reichs hohe Verdienste erworben haben, von großem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Die ostdeutsche Landwirtschaft Gesetzgebung haben sie aus politischen Machthabern zu wirtschaftlichen Unter¬ nehmern gemacht. Diese Bestrebungen haben große soziale und nationale Ge¬ fahren zur Folge. Lassen wir den Dingen weiter ihren Lauf, so schreitet die Slawisirung der Nittergutsgegeuden unaufhaltsam fort; beschränken wir die Einwanderung, so ist der Rittergutsbetrieb unhaltbar. In den Vereinigten Staaten Nordamerikas hat man die Einwanderung der Chinesen beschränkt; man denke sich aber z. B. Kalifornien als ein Nittergutsland, so würden sich auch dort die Rittergutsbesitzer im Interesse ihres Betriebes einer solchen Be¬ schränkung aufs äußerste widersetzt haben. Daß die Interessen dieses Besitzes zu den sozialen und nationalen Interessen der Gesamtheit in Gegensatz geraten sind, kann nicht geleugnet werden. Aber selbst dann, wenn der Staat dagegen völlig die Augen verschlösse, wäre den Rittergutsbesitzern noch nicht geholfen, sie werden weiter nach Staatshilfe rufen, d. h. nach weitern Opfern der Ge¬ samtheit zur Erhaltung ihrer Privatvorteile: schon wird die Doppelwährung, die Börsenbeschränkung, das Getreidemonopol gefordert. Die Agrarier wollen ihre Verkaufspreise durchaus der Weltmarktkonjunktur entziehen, weil ihnen diese Konjunktur ungünstig ist. Sie können niemals die Begründung großer deutscher Ackerbaukolonien wollen, denn diese würden mit ihrem zollfrei ein¬ geführten Getreide die inländischen Preise ebenfalls Herabdrücken. Der Kern- Punkt der Sache liegt im wesentlichen in dem Zusammentreffen der Grundbesitz- Verteilung, wie sie sich unter günstigen Konjunkturen gebildet hat, mit der nun herabgehenden Weltmarktkonjunktur. Von diesem Standpunkt aus gesehen, kann der Rückgang der Konjunktur zum Segen sür unsre gesamte Entwicklung werden, wenn daraus der Anstoß zu bessern Vodenverteilungsverhältnissen, zur Stärkung und Neubildung eines kräftigen Bauernstands, zum Abschluß unsers Ostens gegen das vordringende Slawentum genommen wird. Der mittlere Ritterguts betrieb ist unter den heutigen Verhältnissen that¬ sächlich nicht mehr haltbar, die Frage ist nur, ob er sich unter staatlicher Mitwirkung in Bauernland oder bei manchesterlichem Gehenlassen in Groß- herrschaftsbesitz umwandeln soll. Die Ansiedlungskommission hat sehr gute Erfolge gehabt, aber die Mittel haben nicht ausgereicht, die Aufgabe im großen Maßstabe anzugreifen. Statt hundert Millionen würde dazu mindestens eine Milliarde erforderlich sein. Das Geld würde aber durch den Verkauf der Bauernstellen gegen Verzinsung und Abzahlung wieder einkommen, während das Monopol nach einer Schätzung dem deutschen Volke jährlich ungefähr eine halbe Milliarde kosten würde. Eine grundsätzliche Abänderung der Hypotheken¬ ordnung in Preußen wäre die erste nicht zu umgehende Voraussetzung einer Besserung. Der staatliche Ablauf der Rittergüter würde den Familien des Preußischen Kleinadels, die sich um den preußischen Staat und um die Grün¬ dung des deutscheu Reichs hohe Verdienste erworben haben, von großem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/429>, abgerufen am 23.07.2024.