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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

So wenig nun der verschuldete Gewerbetreibende einen größern Rückgang
der Konjunktur vertragen kann, so wenig kann es der verschuldete Landwirt.
Röscher hat den schuldenfreien Grundbesitz einem Baume verglichen, der sich
im Sturme beugt, aber hernach wieder aufrichtet, den verschuldeten dagegen
mit einem innerlich nicht mehr gesunden, der im Sturme abbricht. Nun liegt
es in der Natur der Dinge, daß bei günstiger Konjunktur die Güterpreise
steigen, und mit diesen auch die erträgliche Verschuldungsgreuze. Wird
die Hypothekarverschuldung ein dauernder Zustand, den der Staat erleichtert,
so muß jedes Herabgehen der landwirtschaftlichen Konjunktur auch eine Anzahl
bisher leichter und erträglicher Schulden zu drückenden und unerträglichen
machen. Das hat sich immer gezeigt und wird sich immer wieder zeigen.
Da große landwirtschaftliche Krisen für Staat und Volk gefährlich sind, so hat
der Staat ein Interesse daran, möglichst unverschuldeten Grundbesitz zu haben;
es wäre also sehr nützlich, wenn die Hypothekarschulden zwangsweise wirklich
vermindert und abgetragen würden.

Die hypothekarische Verschuldung ist keineswegs aus einem zu großen
Aufwand entstanden; sie entstammt im wesentlichen drei Quellen: 1. der Ein¬
tragung von Abfindungsgeldern bei Erbteilungen, 2. der Eintragung von
Kaufgelderresten und 3. der Notwendigkeit oder dem Streben, die Gutserträge
durch Verbesserungen nach Beschaffenheit und Menge zu steigern. Diese drei
Ursachen haben seit dem Eindringen der Geldwirtschaft eine wachsende Ver¬
schuldung der Rittergüter herbeigeführt, und dadurch sind alle Rückgänge der
Konjunktur zu Krisen von wachsender Ausdehnung und Schwere geworden.
Hierin liegt eine Warnung, den Hypvthekarkredit zu erleichtern; eine günstige
Konjunktur Pflegt die Verschuldung zu erhöhen, eine ungünstige erschwert ihre
Folgen. Der Kredit sollte nur einen Spielraum für Notfalle gewähren; die
übliche starke Anspannung des Kredits in gewöhnlichen Zeiten bringt schwere
Gefahren mit sich. Die Geschichte bestätigt diese Wahrheit durchaus, sie zeigt
schon bei frühern Störungen des Verkehrs oder andern Rückgängen ähnliche
Krisen wie die jetzt bestehende. Obwohl Mecklenburg im dreißigjährigen und
im nordischen Kriege schwer mitgenommen worden war, waren doch dadurch die
Güter nur wenig verschuldet. Im siebenjährigen Kriege dagegen war die Ver¬
schuldung fortgeschritten; es hatte zwar nicht an Kredit gefehlt, dennoch befand
sich 1775 ein Achtel aller Nittergütter wegen niedriger Kornpreise und Vieh¬
seuchen in Konkurs. Dann begannen die Preise, begünstigt durch die friedliche!,
Zeitläufte in Deutschland, durch die französische Revolution und durch den
englischen Mehrbedarf nach Abfall der nordamerikanischen Kolonien zu steigen,
und infolge dessen stiegen die Güterpreise in zwanzig Jahren auf das
doppelte. Zwischen 1800 und 1804 betrug der Preis aller mecklenburgischen
Rittergüter gegen 89 Millionen Thaler, nach der Störung dnrch den Krieg
von 1806/7 und durch die Kontinentalsperre zwischen 1310 und 1814 wieder


Grenzboten II 1897 58
Die ostdeutsche Landwirtschaft

So wenig nun der verschuldete Gewerbetreibende einen größern Rückgang
der Konjunktur vertragen kann, so wenig kann es der verschuldete Landwirt.
Röscher hat den schuldenfreien Grundbesitz einem Baume verglichen, der sich
im Sturme beugt, aber hernach wieder aufrichtet, den verschuldeten dagegen
mit einem innerlich nicht mehr gesunden, der im Sturme abbricht. Nun liegt
es in der Natur der Dinge, daß bei günstiger Konjunktur die Güterpreise
steigen, und mit diesen auch die erträgliche Verschuldungsgreuze. Wird
die Hypothekarverschuldung ein dauernder Zustand, den der Staat erleichtert,
so muß jedes Herabgehen der landwirtschaftlichen Konjunktur auch eine Anzahl
bisher leichter und erträglicher Schulden zu drückenden und unerträglichen
machen. Das hat sich immer gezeigt und wird sich immer wieder zeigen.
Da große landwirtschaftliche Krisen für Staat und Volk gefährlich sind, so hat
der Staat ein Interesse daran, möglichst unverschuldeten Grundbesitz zu haben;
es wäre also sehr nützlich, wenn die Hypothekarschulden zwangsweise wirklich
vermindert und abgetragen würden.

Die hypothekarische Verschuldung ist keineswegs aus einem zu großen
Aufwand entstanden; sie entstammt im wesentlichen drei Quellen: 1. der Ein¬
tragung von Abfindungsgeldern bei Erbteilungen, 2. der Eintragung von
Kaufgelderresten und 3. der Notwendigkeit oder dem Streben, die Gutserträge
durch Verbesserungen nach Beschaffenheit und Menge zu steigern. Diese drei
Ursachen haben seit dem Eindringen der Geldwirtschaft eine wachsende Ver¬
schuldung der Rittergüter herbeigeführt, und dadurch sind alle Rückgänge der
Konjunktur zu Krisen von wachsender Ausdehnung und Schwere geworden.
Hierin liegt eine Warnung, den Hypvthekarkredit zu erleichtern; eine günstige
Konjunktur Pflegt die Verschuldung zu erhöhen, eine ungünstige erschwert ihre
Folgen. Der Kredit sollte nur einen Spielraum für Notfalle gewähren; die
übliche starke Anspannung des Kredits in gewöhnlichen Zeiten bringt schwere
Gefahren mit sich. Die Geschichte bestätigt diese Wahrheit durchaus, sie zeigt
schon bei frühern Störungen des Verkehrs oder andern Rückgängen ähnliche
Krisen wie die jetzt bestehende. Obwohl Mecklenburg im dreißigjährigen und
im nordischen Kriege schwer mitgenommen worden war, waren doch dadurch die
Güter nur wenig verschuldet. Im siebenjährigen Kriege dagegen war die Ver¬
schuldung fortgeschritten; es hatte zwar nicht an Kredit gefehlt, dennoch befand
sich 1775 ein Achtel aller Nittergütter wegen niedriger Kornpreise und Vieh¬
seuchen in Konkurs. Dann begannen die Preise, begünstigt durch die friedliche!,
Zeitläufte in Deutschland, durch die französische Revolution und durch den
englischen Mehrbedarf nach Abfall der nordamerikanischen Kolonien zu steigen,
und infolge dessen stiegen die Güterpreise in zwanzig Jahren auf das
doppelte. Zwischen 1800 und 1804 betrug der Preis aller mecklenburgischen
Rittergüter gegen 89 Millionen Thaler, nach der Störung dnrch den Krieg
von 1806/7 und durch die Kontinentalsperre zwischen 1310 und 1814 wieder


Grenzboten II 1897 58
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[0425] Die ostdeutsche Landwirtschaft So wenig nun der verschuldete Gewerbetreibende einen größern Rückgang der Konjunktur vertragen kann, so wenig kann es der verschuldete Landwirt. Röscher hat den schuldenfreien Grundbesitz einem Baume verglichen, der sich im Sturme beugt, aber hernach wieder aufrichtet, den verschuldeten dagegen mit einem innerlich nicht mehr gesunden, der im Sturme abbricht. Nun liegt es in der Natur der Dinge, daß bei günstiger Konjunktur die Güterpreise steigen, und mit diesen auch die erträgliche Verschuldungsgreuze. Wird die Hypothekarverschuldung ein dauernder Zustand, den der Staat erleichtert, so muß jedes Herabgehen der landwirtschaftlichen Konjunktur auch eine Anzahl bisher leichter und erträglicher Schulden zu drückenden und unerträglichen machen. Das hat sich immer gezeigt und wird sich immer wieder zeigen. Da große landwirtschaftliche Krisen für Staat und Volk gefährlich sind, so hat der Staat ein Interesse daran, möglichst unverschuldeten Grundbesitz zu haben; es wäre also sehr nützlich, wenn die Hypothekarschulden zwangsweise wirklich vermindert und abgetragen würden. Die hypothekarische Verschuldung ist keineswegs aus einem zu großen Aufwand entstanden; sie entstammt im wesentlichen drei Quellen: 1. der Ein¬ tragung von Abfindungsgeldern bei Erbteilungen, 2. der Eintragung von Kaufgelderresten und 3. der Notwendigkeit oder dem Streben, die Gutserträge durch Verbesserungen nach Beschaffenheit und Menge zu steigern. Diese drei Ursachen haben seit dem Eindringen der Geldwirtschaft eine wachsende Ver¬ schuldung der Rittergüter herbeigeführt, und dadurch sind alle Rückgänge der Konjunktur zu Krisen von wachsender Ausdehnung und Schwere geworden. Hierin liegt eine Warnung, den Hypvthekarkredit zu erleichtern; eine günstige Konjunktur Pflegt die Verschuldung zu erhöhen, eine ungünstige erschwert ihre Folgen. Der Kredit sollte nur einen Spielraum für Notfalle gewähren; die übliche starke Anspannung des Kredits in gewöhnlichen Zeiten bringt schwere Gefahren mit sich. Die Geschichte bestätigt diese Wahrheit durchaus, sie zeigt schon bei frühern Störungen des Verkehrs oder andern Rückgängen ähnliche Krisen wie die jetzt bestehende. Obwohl Mecklenburg im dreißigjährigen und im nordischen Kriege schwer mitgenommen worden war, waren doch dadurch die Güter nur wenig verschuldet. Im siebenjährigen Kriege dagegen war die Ver¬ schuldung fortgeschritten; es hatte zwar nicht an Kredit gefehlt, dennoch befand sich 1775 ein Achtel aller Nittergütter wegen niedriger Kornpreise und Vieh¬ seuchen in Konkurs. Dann begannen die Preise, begünstigt durch die friedliche!, Zeitläufte in Deutschland, durch die französische Revolution und durch den englischen Mehrbedarf nach Abfall der nordamerikanischen Kolonien zu steigen, und infolge dessen stiegen die Güterpreise in zwanzig Jahren auf das doppelte. Zwischen 1800 und 1804 betrug der Preis aller mecklenburgischen Rittergüter gegen 89 Millionen Thaler, nach der Störung dnrch den Krieg von 1806/7 und durch die Kontinentalsperre zwischen 1310 und 1814 wieder Grenzboten II 1897 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/425>, abgerufen am 23.07.2024.