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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

der siebziger Jahre die Abhängigkeit ihres glücklichen Zustandes klar heraus¬
stellte, indem sich die Bedingungen ihrer bisherigen Einkünfte gänzlich änderten.
Der Schiffsbau und die Getreideproduktion auf jungfräulichen Boden nahmen
einen ungeheuern Aufschwung und bewirkten ein Sinken der Getreidepreise auf
dem Weltmarkte, der örtliche Markt verlangte eine Spezialisirung und Intensität
der Landwirtschaft, die immermehr auf Kleinbetrieb hindrängte. In beiden
Beziehungen zeigt sich das Rittergut trotz Anspannung aller Kräfte und An¬
spannung allen Kredits den Anforderungen der Lage nicht gewachsen, es kommt
nicht mehr mit fort.

Hören die Umstände auf, die die Blüte des Ritterguts herbeigeführt
haben, so muß auch diese Blüte ein Ende nehmen; eine künstliche Erhaltung
der bisher Begünstigten in ihrer vorteilhaften Lage könnte nur durch Opfer
der übrigen Volksklassen erreicht werden. Daß die Getreidezölle ein solches
Opfer sind, wird im Ernst nicht mehr bestritten, sie sollen eben den Preis des
Getreides sür die inländischen Verkäufer höher halten. Die Agrarier behaupten
nun, die "deutsche Landwirtschaft" werde ohne die Zölle zu Grunde gehen,
und die Landwirtschaft sei das Hauptgewerbe des deutschen Volkes. Dagegen
ist aber doch geltend zu machen, daß erst bei einem Gut von über fünf Hektar
von einem Verkauf von Getreide die Rede sein kann, und daß dreiviertel
aller deutschen landwirtschaftlichen Betriebe diese Größe nicht überschreiten,
sondern noch über die Hälfte auf Zukciuf angewiesen, also an billigen Korn¬
preisen interesstrt ist.

Kornzölle können nur als Ubergangsmaßregel gerechtfertigt werden, sie
sollen die mit starken Preisstürzen verbundnen Krisen abschwächen, und Zeit ge¬
währen zu einer Neuordnung der landwirtschaftlichen Verhältnisse. Mit der Zeit
müssen die Zölle ermäßigt und schließlich abgeschafft werden. Die Einführung
des Monopols würden wir für einen schlimmen Mißgriff halten, da sie nur
im Interesse der Rittergutsbesitzer und Großbauern liegt. Wir glauben, daß
der Getreidebau auch ohne Zölle wieder leidlich einträglich werden wird, wenn
erst die Güterpreise entsprechend heruntergegangen sein werden, allerdings zum
Schaden ihrer jetzigen Besitzer.

Wir berühren hier einen der wesentlichsten Übelstände des gegenwärtigen
Nittergutsbetriebes, die Zinsknechtschaft, die hypothekarische Verschuldung der
Grundstücke. Nach Schätzungen, die allerdings etwas oberflächlich sind, beträgt
die Verschuldung des Ritterguts im Osten durchschnittlich vierundvierzig bis
sechzig Prozent des Gesamteinkommens, die Verschuldung des Bauernlandes
im Westen nur vierzehn bis fünfundzwanzig Prozent. Das Rittergut ist also
reichlich doppelt so hoch mit Schuldzinsen belastet wie das Bauernland, und
diese Verschuldung ist unheilbar, denn die Hypotheken des Ritterguts werden
in der Regel nicht als eine abzutragende Schuld angesehen, sondern als eine
dauernde Belastung des Bodens.


Die ostdeutsche Landwirtschaft

der siebziger Jahre die Abhängigkeit ihres glücklichen Zustandes klar heraus¬
stellte, indem sich die Bedingungen ihrer bisherigen Einkünfte gänzlich änderten.
Der Schiffsbau und die Getreideproduktion auf jungfräulichen Boden nahmen
einen ungeheuern Aufschwung und bewirkten ein Sinken der Getreidepreise auf
dem Weltmarkte, der örtliche Markt verlangte eine Spezialisirung und Intensität
der Landwirtschaft, die immermehr auf Kleinbetrieb hindrängte. In beiden
Beziehungen zeigt sich das Rittergut trotz Anspannung aller Kräfte und An¬
spannung allen Kredits den Anforderungen der Lage nicht gewachsen, es kommt
nicht mehr mit fort.

Hören die Umstände auf, die die Blüte des Ritterguts herbeigeführt
haben, so muß auch diese Blüte ein Ende nehmen; eine künstliche Erhaltung
der bisher Begünstigten in ihrer vorteilhaften Lage könnte nur durch Opfer
der übrigen Volksklassen erreicht werden. Daß die Getreidezölle ein solches
Opfer sind, wird im Ernst nicht mehr bestritten, sie sollen eben den Preis des
Getreides sür die inländischen Verkäufer höher halten. Die Agrarier behaupten
nun, die „deutsche Landwirtschaft" werde ohne die Zölle zu Grunde gehen,
und die Landwirtschaft sei das Hauptgewerbe des deutschen Volkes. Dagegen
ist aber doch geltend zu machen, daß erst bei einem Gut von über fünf Hektar
von einem Verkauf von Getreide die Rede sein kann, und daß dreiviertel
aller deutschen landwirtschaftlichen Betriebe diese Größe nicht überschreiten,
sondern noch über die Hälfte auf Zukciuf angewiesen, also an billigen Korn¬
preisen interesstrt ist.

Kornzölle können nur als Ubergangsmaßregel gerechtfertigt werden, sie
sollen die mit starken Preisstürzen verbundnen Krisen abschwächen, und Zeit ge¬
währen zu einer Neuordnung der landwirtschaftlichen Verhältnisse. Mit der Zeit
müssen die Zölle ermäßigt und schließlich abgeschafft werden. Die Einführung
des Monopols würden wir für einen schlimmen Mißgriff halten, da sie nur
im Interesse der Rittergutsbesitzer und Großbauern liegt. Wir glauben, daß
der Getreidebau auch ohne Zölle wieder leidlich einträglich werden wird, wenn
erst die Güterpreise entsprechend heruntergegangen sein werden, allerdings zum
Schaden ihrer jetzigen Besitzer.

Wir berühren hier einen der wesentlichsten Übelstände des gegenwärtigen
Nittergutsbetriebes, die Zinsknechtschaft, die hypothekarische Verschuldung der
Grundstücke. Nach Schätzungen, die allerdings etwas oberflächlich sind, beträgt
die Verschuldung des Ritterguts im Osten durchschnittlich vierundvierzig bis
sechzig Prozent des Gesamteinkommens, die Verschuldung des Bauernlandes
im Westen nur vierzehn bis fünfundzwanzig Prozent. Das Rittergut ist also
reichlich doppelt so hoch mit Schuldzinsen belastet wie das Bauernland, und
diese Verschuldung ist unheilbar, denn die Hypotheken des Ritterguts werden
in der Regel nicht als eine abzutragende Schuld angesehen, sondern als eine
dauernde Belastung des Bodens.


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[0424] Die ostdeutsche Landwirtschaft der siebziger Jahre die Abhängigkeit ihres glücklichen Zustandes klar heraus¬ stellte, indem sich die Bedingungen ihrer bisherigen Einkünfte gänzlich änderten. Der Schiffsbau und die Getreideproduktion auf jungfräulichen Boden nahmen einen ungeheuern Aufschwung und bewirkten ein Sinken der Getreidepreise auf dem Weltmarkte, der örtliche Markt verlangte eine Spezialisirung und Intensität der Landwirtschaft, die immermehr auf Kleinbetrieb hindrängte. In beiden Beziehungen zeigt sich das Rittergut trotz Anspannung aller Kräfte und An¬ spannung allen Kredits den Anforderungen der Lage nicht gewachsen, es kommt nicht mehr mit fort. Hören die Umstände auf, die die Blüte des Ritterguts herbeigeführt haben, so muß auch diese Blüte ein Ende nehmen; eine künstliche Erhaltung der bisher Begünstigten in ihrer vorteilhaften Lage könnte nur durch Opfer der übrigen Volksklassen erreicht werden. Daß die Getreidezölle ein solches Opfer sind, wird im Ernst nicht mehr bestritten, sie sollen eben den Preis des Getreides sür die inländischen Verkäufer höher halten. Die Agrarier behaupten nun, die „deutsche Landwirtschaft" werde ohne die Zölle zu Grunde gehen, und die Landwirtschaft sei das Hauptgewerbe des deutschen Volkes. Dagegen ist aber doch geltend zu machen, daß erst bei einem Gut von über fünf Hektar von einem Verkauf von Getreide die Rede sein kann, und daß dreiviertel aller deutschen landwirtschaftlichen Betriebe diese Größe nicht überschreiten, sondern noch über die Hälfte auf Zukciuf angewiesen, also an billigen Korn¬ preisen interesstrt ist. Kornzölle können nur als Ubergangsmaßregel gerechtfertigt werden, sie sollen die mit starken Preisstürzen verbundnen Krisen abschwächen, und Zeit ge¬ währen zu einer Neuordnung der landwirtschaftlichen Verhältnisse. Mit der Zeit müssen die Zölle ermäßigt und schließlich abgeschafft werden. Die Einführung des Monopols würden wir für einen schlimmen Mißgriff halten, da sie nur im Interesse der Rittergutsbesitzer und Großbauern liegt. Wir glauben, daß der Getreidebau auch ohne Zölle wieder leidlich einträglich werden wird, wenn erst die Güterpreise entsprechend heruntergegangen sein werden, allerdings zum Schaden ihrer jetzigen Besitzer. Wir berühren hier einen der wesentlichsten Übelstände des gegenwärtigen Nittergutsbetriebes, die Zinsknechtschaft, die hypothekarische Verschuldung der Grundstücke. Nach Schätzungen, die allerdings etwas oberflächlich sind, beträgt die Verschuldung des Ritterguts im Osten durchschnittlich vierundvierzig bis sechzig Prozent des Gesamteinkommens, die Verschuldung des Bauernlandes im Westen nur vierzehn bis fünfundzwanzig Prozent. Das Rittergut ist also reichlich doppelt so hoch mit Schuldzinsen belastet wie das Bauernland, und diese Verschuldung ist unheilbar, denn die Hypotheken des Ritterguts werden in der Regel nicht als eine abzutragende Schuld angesehen, sondern als eine dauernde Belastung des Bodens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/424>, abgerufen am 23.07.2024.