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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

darüber hinaus, weil das Folgenschwerste darin beschlossen liegt, daß dem
Arbeiter die Freude an der Arbeit selbst verloren geht, sobald ihm die eigent¬
liche Leistung von der Maschine abgenommen wird. Diese Freude aber an
der Arbeit als solcher ist das eigentliche Lebensbrot des Menschen. Nimmt
man sie ihm, wie sie dem Fabrikarbeiter genommen wird, der sein Tagewerk
gleichgiltig herunterhaspelt, so bleibt ihm nur der öde Erwerb, und für die
eingebüßte Arbeitsfreude sucht er Entschädigung in Genüssen, die jenseits und
außerhalb seines Berufslebens liegen. Wie ungeheuer die sittlichen Gefahren
sind, die sich mit einem solchen Zustande einstellen müssen, wie groß der An¬
spruch an die sittliche Kraft des Einzelnen ist, trotz alledem nicht in den
Schlamm zu versinken, sondern Kopf und Herz oben zu behalten, das braucht
wohl nicht erörtert zu werden; jeder Blick in das Leben der Gegenwart giebt
erschütternde Beweise. Wie ist es möglich gewesen, so möchte man fragen,
daß man jahrzehntelang wohlgemut zusehen konnte, wie das Handwerk mit
seinem goldnen Boden hilflos dem Untergang entgegen getrieben wurde, um
in dem Fabrikwesen eine Daseinsform weit über das ihr gebührende Maß
hinaus sich entwickeln zu lassen, die ihrer Natur nach so bedenklich ist, daß es
gerade schlimm genug bleibt, mit dem Unvermeidlichen davon sich abfinden zu
müssen! Nur eine Änderung von Grund aus kann hier Heilung bringen. Einst¬
weilen sind wir leider so himmelweit entfernt von jeder vernünftigen Einsicht
in diesem Punkte, daß wir umgekehrt in Gemeinschaft mit Franzosen und Eng¬
ländern nachdrücklich bemüht sind, die herrlichen Handwebereien des Orients
oder die mit der Hand gefertigten Metallarbeiten Marokkos auszurotten, indem
wir unsre billigen, wertlosen Fabriknachahmungen unsrer Maschinen, unsre
kalten, künstlichen Anilinfarben und alle die andern Heucheleien, mit denen wir
prahlen, in jene Länder einführen. Das nennen wir dann den zurückgebliebnen
Völkern die Segnungen des Fortschritts bringen! Die einzige Hoffnung auf
Umkehr wurzelt darin, daß die Wahrheit, die in der Natur der Sache liegt,
doch schließlich ihr Recht mit Übermacht fordern muß. Dann würde der Wert
der Menschenkräfte wieder in sein Recht treten, während die Maschine heute eine
Menschenkraft nach der andern überflüssig zu machen vorgiebt; die Erwerbs¬
verteilung würde in weiten Schichten wieder gesunden, es würde weniger und
teurer, aber wieder gut, dauerhaft und schön gearbeitet werden, und wir wären
erlöst von dem Wust aufgebauschter inhaltloser Nichtigkeiten, die jetzt unser
Dasein bis zum Ekel überschwemmen.

(Schluß folgt)




Heimatschutz

darüber hinaus, weil das Folgenschwerste darin beschlossen liegt, daß dem
Arbeiter die Freude an der Arbeit selbst verloren geht, sobald ihm die eigent¬
liche Leistung von der Maschine abgenommen wird. Diese Freude aber an
der Arbeit als solcher ist das eigentliche Lebensbrot des Menschen. Nimmt
man sie ihm, wie sie dem Fabrikarbeiter genommen wird, der sein Tagewerk
gleichgiltig herunterhaspelt, so bleibt ihm nur der öde Erwerb, und für die
eingebüßte Arbeitsfreude sucht er Entschädigung in Genüssen, die jenseits und
außerhalb seines Berufslebens liegen. Wie ungeheuer die sittlichen Gefahren
sind, die sich mit einem solchen Zustande einstellen müssen, wie groß der An¬
spruch an die sittliche Kraft des Einzelnen ist, trotz alledem nicht in den
Schlamm zu versinken, sondern Kopf und Herz oben zu behalten, das braucht
wohl nicht erörtert zu werden; jeder Blick in das Leben der Gegenwart giebt
erschütternde Beweise. Wie ist es möglich gewesen, so möchte man fragen,
daß man jahrzehntelang wohlgemut zusehen konnte, wie das Handwerk mit
seinem goldnen Boden hilflos dem Untergang entgegen getrieben wurde, um
in dem Fabrikwesen eine Daseinsform weit über das ihr gebührende Maß
hinaus sich entwickeln zu lassen, die ihrer Natur nach so bedenklich ist, daß es
gerade schlimm genug bleibt, mit dem Unvermeidlichen davon sich abfinden zu
müssen! Nur eine Änderung von Grund aus kann hier Heilung bringen. Einst¬
weilen sind wir leider so himmelweit entfernt von jeder vernünftigen Einsicht
in diesem Punkte, daß wir umgekehrt in Gemeinschaft mit Franzosen und Eng¬
ländern nachdrücklich bemüht sind, die herrlichen Handwebereien des Orients
oder die mit der Hand gefertigten Metallarbeiten Marokkos auszurotten, indem
wir unsre billigen, wertlosen Fabriknachahmungen unsrer Maschinen, unsre
kalten, künstlichen Anilinfarben und alle die andern Heucheleien, mit denen wir
prahlen, in jene Länder einführen. Das nennen wir dann den zurückgebliebnen
Völkern die Segnungen des Fortschritts bringen! Die einzige Hoffnung auf
Umkehr wurzelt darin, daß die Wahrheit, die in der Natur der Sache liegt,
doch schließlich ihr Recht mit Übermacht fordern muß. Dann würde der Wert
der Menschenkräfte wieder in sein Recht treten, während die Maschine heute eine
Menschenkraft nach der andern überflüssig zu machen vorgiebt; die Erwerbs¬
verteilung würde in weiten Schichten wieder gesunden, es würde weniger und
teurer, aber wieder gut, dauerhaft und schön gearbeitet werden, und wir wären
erlöst von dem Wust aufgebauschter inhaltloser Nichtigkeiten, die jetzt unser
Dasein bis zum Ekel überschwemmen.

(Schluß folgt)




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[0422] Heimatschutz darüber hinaus, weil das Folgenschwerste darin beschlossen liegt, daß dem Arbeiter die Freude an der Arbeit selbst verloren geht, sobald ihm die eigent¬ liche Leistung von der Maschine abgenommen wird. Diese Freude aber an der Arbeit als solcher ist das eigentliche Lebensbrot des Menschen. Nimmt man sie ihm, wie sie dem Fabrikarbeiter genommen wird, der sein Tagewerk gleichgiltig herunterhaspelt, so bleibt ihm nur der öde Erwerb, und für die eingebüßte Arbeitsfreude sucht er Entschädigung in Genüssen, die jenseits und außerhalb seines Berufslebens liegen. Wie ungeheuer die sittlichen Gefahren sind, die sich mit einem solchen Zustande einstellen müssen, wie groß der An¬ spruch an die sittliche Kraft des Einzelnen ist, trotz alledem nicht in den Schlamm zu versinken, sondern Kopf und Herz oben zu behalten, das braucht wohl nicht erörtert zu werden; jeder Blick in das Leben der Gegenwart giebt erschütternde Beweise. Wie ist es möglich gewesen, so möchte man fragen, daß man jahrzehntelang wohlgemut zusehen konnte, wie das Handwerk mit seinem goldnen Boden hilflos dem Untergang entgegen getrieben wurde, um in dem Fabrikwesen eine Daseinsform weit über das ihr gebührende Maß hinaus sich entwickeln zu lassen, die ihrer Natur nach so bedenklich ist, daß es gerade schlimm genug bleibt, mit dem Unvermeidlichen davon sich abfinden zu müssen! Nur eine Änderung von Grund aus kann hier Heilung bringen. Einst¬ weilen sind wir leider so himmelweit entfernt von jeder vernünftigen Einsicht in diesem Punkte, daß wir umgekehrt in Gemeinschaft mit Franzosen und Eng¬ ländern nachdrücklich bemüht sind, die herrlichen Handwebereien des Orients oder die mit der Hand gefertigten Metallarbeiten Marokkos auszurotten, indem wir unsre billigen, wertlosen Fabriknachahmungen unsrer Maschinen, unsre kalten, künstlichen Anilinfarben und alle die andern Heucheleien, mit denen wir prahlen, in jene Länder einführen. Das nennen wir dann den zurückgebliebnen Völkern die Segnungen des Fortschritts bringen! Die einzige Hoffnung auf Umkehr wurzelt darin, daß die Wahrheit, die in der Natur der Sache liegt, doch schließlich ihr Recht mit Übermacht fordern muß. Dann würde der Wert der Menschenkräfte wieder in sein Recht treten, während die Maschine heute eine Menschenkraft nach der andern überflüssig zu machen vorgiebt; die Erwerbs¬ verteilung würde in weiten Schichten wieder gesunden, es würde weniger und teurer, aber wieder gut, dauerhaft und schön gearbeitet werden, und wir wären erlöst von dem Wust aufgebauschter inhaltloser Nichtigkeiten, die jetzt unser Dasein bis zum Ekel überschwemmen. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/422>, abgerufen am 23.07.2024.