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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

teilungen unterbricht, uns oft angenehme Abwechslung bietet. Aber auch
Barras kann pikant sein. Hören wir, was er über die Beerdigung der am
10. Thermidor Hingerichteten erzählt. Der Scharfrichter Samson fragt ihn
unterwürfig, ehe er mit den Opfern nach dem Revolutionsplatz abführt, wohin
man ihre Leichen bringen solle. "Man werfe sie in das Grab der Capet,
sagte ich mit einem Anflug von Humor, Ludwig XVI. war mehr wert als
sie. Da hat Robespierre noch etwas vom Königtum, es scheint, er hatte
Geschmack daran." Man Hütte, so erzählt er, bei Robespierre ein Siegel mit
der Lilie gefunden und behauptet, er sei mit dem Gedanken umgegangen, die
im Tempel gefangne Tochter des Königs zu heiraten. Er selbst glaubt kein
Wort davon, aber man sprach davon, und beim Volke that es seine Wirkung.
Man konnte den Märtyrer nur dadurch zum Tyrannen machen, daß man ihn
als Verbündeten der alten Könige verdächtigte, so abenteuerlich das auch klang.
Die Leichname von Robespierre und seinen Genossen "füllten und schlossen also
die schreckliche Grube, die vom 21. Januar 1793 an, dem Tage, wo Ludwig XVI.
hineingeworfen und, wie aus dem Protokoll der Kammer hervorgeht, von un¬
gelöschtem Kalk zerfressen wurde, bis zum 9. Thermidor der Friedhof de la
Madeleine genannt wurde. Achtzehn Monate waren darüber hingegangen, und
fast jeder Tag hatte Tausende von Hinrichtungen gebracht. Die Leiche Ludwigs,
eines der ersten Opfer, vorausgesetzt, daß der ungelöschte Kalk sie nicht ver¬
nichtet hatte, bedeckten nun seine abscheulichen Nachfolger." Noch im Jahre
1827 hat Barras, wie er ausführlich im vierten Bande erzählt, einem Herzog,
der ihn im Auftrage Karls X. aufsuchte, den Sachverhalt mit seinem eisigen
Humor dargelegt. Man hatte nämlich die königlichen Märtyrer ausgegraben
und ihre Reste in Se. Denis beigesetzt, es waren aber Zweifel entstanden, ob
es auch ihre Gebeine wirklich wären. Barras berichtet nun dem königlichen
Abgesandten unter andern: folgendes: Da der Diktator infolge des Vorzugs,
der den Führern selbst auf dem Schafott zugestanden wurde, zurückgestellt
wurde, so ist Robespierre thatsächlich zuletzt hingerichtet worden. Ich hatte
angeordnet, daß er auf dem Kirchhof der Madeleine in dieselbe Grube wie
Ludwig XVI. und Marie Antoinette geworfen werden sollte. Ich wollte ihm
so eine gewisse Annäherung an das Königtum zu teil werden lassen, weil man
ihm vorgeworfen hatte, daß das in den letzten Tagen seiner Gewalt seine
Neigung gewesen sei. Alle Welt weiß auch, daß er die einzige Person um
diese Zeit war, die Schnallen an ihren Hosen und Schuhen trug, und da,
soviel ich weiß, von einigen Kleinigkeiten dieser Art die Rede gewesen ist, die
bei der Ausgrabung der königlichen Leichen gesammelt wurden, ist es äußerst
wahrscheinlich, daß man Robespierre selbst mit seinen Schnallen für die er¬
habnen Opfer gehalten hat; so hat man auch zu Se. Denis niemand anders
beigesetzt, als ihn und vielleicht einige Überreste von Samt Just, Couthvn
oder Henriot, seinen Genossen im Tode. "Da sehen Sie, Herr Herzog, welche


Die Memoiren von Paul Barras

teilungen unterbricht, uns oft angenehme Abwechslung bietet. Aber auch
Barras kann pikant sein. Hören wir, was er über die Beerdigung der am
10. Thermidor Hingerichteten erzählt. Der Scharfrichter Samson fragt ihn
unterwürfig, ehe er mit den Opfern nach dem Revolutionsplatz abführt, wohin
man ihre Leichen bringen solle. „Man werfe sie in das Grab der Capet,
sagte ich mit einem Anflug von Humor, Ludwig XVI. war mehr wert als
sie. Da hat Robespierre noch etwas vom Königtum, es scheint, er hatte
Geschmack daran." Man Hütte, so erzählt er, bei Robespierre ein Siegel mit
der Lilie gefunden und behauptet, er sei mit dem Gedanken umgegangen, die
im Tempel gefangne Tochter des Königs zu heiraten. Er selbst glaubt kein
Wort davon, aber man sprach davon, und beim Volke that es seine Wirkung.
Man konnte den Märtyrer nur dadurch zum Tyrannen machen, daß man ihn
als Verbündeten der alten Könige verdächtigte, so abenteuerlich das auch klang.
Die Leichname von Robespierre und seinen Genossen „füllten und schlossen also
die schreckliche Grube, die vom 21. Januar 1793 an, dem Tage, wo Ludwig XVI.
hineingeworfen und, wie aus dem Protokoll der Kammer hervorgeht, von un¬
gelöschtem Kalk zerfressen wurde, bis zum 9. Thermidor der Friedhof de la
Madeleine genannt wurde. Achtzehn Monate waren darüber hingegangen, und
fast jeder Tag hatte Tausende von Hinrichtungen gebracht. Die Leiche Ludwigs,
eines der ersten Opfer, vorausgesetzt, daß der ungelöschte Kalk sie nicht ver¬
nichtet hatte, bedeckten nun seine abscheulichen Nachfolger." Noch im Jahre
1827 hat Barras, wie er ausführlich im vierten Bande erzählt, einem Herzog,
der ihn im Auftrage Karls X. aufsuchte, den Sachverhalt mit seinem eisigen
Humor dargelegt. Man hatte nämlich die königlichen Märtyrer ausgegraben
und ihre Reste in Se. Denis beigesetzt, es waren aber Zweifel entstanden, ob
es auch ihre Gebeine wirklich wären. Barras berichtet nun dem königlichen
Abgesandten unter andern: folgendes: Da der Diktator infolge des Vorzugs,
der den Führern selbst auf dem Schafott zugestanden wurde, zurückgestellt
wurde, so ist Robespierre thatsächlich zuletzt hingerichtet worden. Ich hatte
angeordnet, daß er auf dem Kirchhof der Madeleine in dieselbe Grube wie
Ludwig XVI. und Marie Antoinette geworfen werden sollte. Ich wollte ihm
so eine gewisse Annäherung an das Königtum zu teil werden lassen, weil man
ihm vorgeworfen hatte, daß das in den letzten Tagen seiner Gewalt seine
Neigung gewesen sei. Alle Welt weiß auch, daß er die einzige Person um
diese Zeit war, die Schnallen an ihren Hosen und Schuhen trug, und da,
soviel ich weiß, von einigen Kleinigkeiten dieser Art die Rede gewesen ist, die
bei der Ausgrabung der königlichen Leichen gesammelt wurden, ist es äußerst
wahrscheinlich, daß man Robespierre selbst mit seinen Schnallen für die er¬
habnen Opfer gehalten hat; so hat man auch zu Se. Denis niemand anders
beigesetzt, als ihn und vielleicht einige Überreste von Samt Just, Couthvn
oder Henriot, seinen Genossen im Tode. „Da sehen Sie, Herr Herzog, welche


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[0042] Die Memoiren von Paul Barras teilungen unterbricht, uns oft angenehme Abwechslung bietet. Aber auch Barras kann pikant sein. Hören wir, was er über die Beerdigung der am 10. Thermidor Hingerichteten erzählt. Der Scharfrichter Samson fragt ihn unterwürfig, ehe er mit den Opfern nach dem Revolutionsplatz abführt, wohin man ihre Leichen bringen solle. „Man werfe sie in das Grab der Capet, sagte ich mit einem Anflug von Humor, Ludwig XVI. war mehr wert als sie. Da hat Robespierre noch etwas vom Königtum, es scheint, er hatte Geschmack daran." Man Hütte, so erzählt er, bei Robespierre ein Siegel mit der Lilie gefunden und behauptet, er sei mit dem Gedanken umgegangen, die im Tempel gefangne Tochter des Königs zu heiraten. Er selbst glaubt kein Wort davon, aber man sprach davon, und beim Volke that es seine Wirkung. Man konnte den Märtyrer nur dadurch zum Tyrannen machen, daß man ihn als Verbündeten der alten Könige verdächtigte, so abenteuerlich das auch klang. Die Leichname von Robespierre und seinen Genossen „füllten und schlossen also die schreckliche Grube, die vom 21. Januar 1793 an, dem Tage, wo Ludwig XVI. hineingeworfen und, wie aus dem Protokoll der Kammer hervorgeht, von un¬ gelöschtem Kalk zerfressen wurde, bis zum 9. Thermidor der Friedhof de la Madeleine genannt wurde. Achtzehn Monate waren darüber hingegangen, und fast jeder Tag hatte Tausende von Hinrichtungen gebracht. Die Leiche Ludwigs, eines der ersten Opfer, vorausgesetzt, daß der ungelöschte Kalk sie nicht ver¬ nichtet hatte, bedeckten nun seine abscheulichen Nachfolger." Noch im Jahre 1827 hat Barras, wie er ausführlich im vierten Bande erzählt, einem Herzog, der ihn im Auftrage Karls X. aufsuchte, den Sachverhalt mit seinem eisigen Humor dargelegt. Man hatte nämlich die königlichen Märtyrer ausgegraben und ihre Reste in Se. Denis beigesetzt, es waren aber Zweifel entstanden, ob es auch ihre Gebeine wirklich wären. Barras berichtet nun dem königlichen Abgesandten unter andern: folgendes: Da der Diktator infolge des Vorzugs, der den Führern selbst auf dem Schafott zugestanden wurde, zurückgestellt wurde, so ist Robespierre thatsächlich zuletzt hingerichtet worden. Ich hatte angeordnet, daß er auf dem Kirchhof der Madeleine in dieselbe Grube wie Ludwig XVI. und Marie Antoinette geworfen werden sollte. Ich wollte ihm so eine gewisse Annäherung an das Königtum zu teil werden lassen, weil man ihm vorgeworfen hatte, daß das in den letzten Tagen seiner Gewalt seine Neigung gewesen sei. Alle Welt weiß auch, daß er die einzige Person um diese Zeit war, die Schnallen an ihren Hosen und Schuhen trug, und da, soviel ich weiß, von einigen Kleinigkeiten dieser Art die Rede gewesen ist, die bei der Ausgrabung der königlichen Leichen gesammelt wurden, ist es äußerst wahrscheinlich, daß man Robespierre selbst mit seinen Schnallen für die er¬ habnen Opfer gehalten hat; so hat man auch zu Se. Denis niemand anders beigesetzt, als ihn und vielleicht einige Überreste von Samt Just, Couthvn oder Henriot, seinen Genossen im Tode. „Da sehen Sie, Herr Herzog, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/42>, abgerufen am 23.07.2024.