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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

kam, die also selbst für eine angemessene Verteilung des Besitzstandes sorgte;
und das, während die ganze Weltlage unter dem Druck der unglückselig ver-
schobnen Besitzverhältnisse leidet, die durch die reißend schnelle und maßlose Ent¬
wicklung der Großindustrie vor allem andern herbeigeführt worden ist. Wenn
die Weiterführung der Bahn nach Donaueschingen hinüber zustande kommen
sollte, so wird sie vielleicht an praktischer Bedeutung gewinnen; daß sie not¬
wendig gewesen sei, und daß nicht ebensowohl eine andre Linie für die Ver¬
bindung von Ost und West hätte gewählt werden können, kann niemand be¬
haupten.

Eine Gefahr, die erst seit kurzen die Schönheit der Natur bedroht, liegt
in der immer mehr um sich greifenden Antastung natürlicher Wasserläufe zur
Verwertung ihrer elektrischen Kraft. Im Harz tauchte vor einigen Jahren der
Plan auf, die schäumende Bode mit ihren Wasserfällen oberhalb der Roßtrappe
eine Strecke weit abzuleiten, um den Ort Thale am Ausgange der Schlucht
elektrisch zu beleuchten. Es giebt nichts gleichgiltigeres als die Frage, ob
die paar nachtwandelnden Bewohner eines solchen Städtchens, und wäre es selbst
Quedlinburg oder Blankenburg, durch ihre Straßen bei Petroleumlaternen
oder elektrischem Licht gehen. Höchstens würde das elektrische Licht mit seiner
frostigen eleganten Helle einen unangenehmern Gegensatz gegen die Gemüt¬
lichkeit der altertümlichen Straßen bilden, als Öl oder Petroleum. Von dieser
Wahrheit einen fortschrittsdurstigen Stadtbürger überzeugen zu wollen, würde
freilich ein ebenso vergebliches Bemühen sein, wie das andre, ihm begreiflich
zu machen, daß die Freude über den glücklich erreichten zehntausendsten oder
hunderttausendsten Einwohner eine kindische, kurzsichtige Freude ist. Zum
Glück war in diesem Falle die Entrüstung der vernünftigen Leute mächtig und
laut genug, um die Philister verstummen zu machen und so zu verhindern,
daß einer vollkommnen Nichtigkeit zuliebe die wilde Großartigkeit des Noß-
trappenthals hingeopfert würde.

Ein ähnlicher, nur noch ungeheuerlicherer Plan spukt jetzt in den Köpfen
einiger süddeutscher Techniker und Unternehmer. Man will nichts geringeres,
als die gewaltigen Stromschnellen bei Laufenburg, einige Meilen unterhalb
Schaffhausen, der Elektrizitütsentwicklung dienstbar machen und zu diesem
Zweck den Rhein (!) ableiten, um seine Wassermasse in einem Kanal abzu¬
fangen! Wer Laufenburg gesehen hat, der weiß, daß es wenig Städtebilder
auf deutschem Boden giebt von ähnlich wild phantastischem Zauber: ein un¬
mittelbar am Ufer des reißenden Stromes auf Felsengrund sich hoch aufbauendes
Städtchen durchaus mittelalterlichen Charakters, überragt von Warttürmen,
Schloßtrümmern und einer gotischen Kirche, und ihm zu Füßen der smaragd¬
grüne, jugendliche Rhein in rasendem Toben, Brausen und Schäumen über
die zerrissenen Klippen sich in die Tiefe stürzend! Einstweilen ist es noch keiner
der beiden Gesellschaften, die sich, jede mit einem andern Projekt, bei der


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kam, die also selbst für eine angemessene Verteilung des Besitzstandes sorgte;
und das, während die ganze Weltlage unter dem Druck der unglückselig ver-
schobnen Besitzverhältnisse leidet, die durch die reißend schnelle und maßlose Ent¬
wicklung der Großindustrie vor allem andern herbeigeführt worden ist. Wenn
die Weiterführung der Bahn nach Donaueschingen hinüber zustande kommen
sollte, so wird sie vielleicht an praktischer Bedeutung gewinnen; daß sie not¬
wendig gewesen sei, und daß nicht ebensowohl eine andre Linie für die Ver¬
bindung von Ost und West hätte gewählt werden können, kann niemand be¬
haupten.

Eine Gefahr, die erst seit kurzen die Schönheit der Natur bedroht, liegt
in der immer mehr um sich greifenden Antastung natürlicher Wasserläufe zur
Verwertung ihrer elektrischen Kraft. Im Harz tauchte vor einigen Jahren der
Plan auf, die schäumende Bode mit ihren Wasserfällen oberhalb der Roßtrappe
eine Strecke weit abzuleiten, um den Ort Thale am Ausgange der Schlucht
elektrisch zu beleuchten. Es giebt nichts gleichgiltigeres als die Frage, ob
die paar nachtwandelnden Bewohner eines solchen Städtchens, und wäre es selbst
Quedlinburg oder Blankenburg, durch ihre Straßen bei Petroleumlaternen
oder elektrischem Licht gehen. Höchstens würde das elektrische Licht mit seiner
frostigen eleganten Helle einen unangenehmern Gegensatz gegen die Gemüt¬
lichkeit der altertümlichen Straßen bilden, als Öl oder Petroleum. Von dieser
Wahrheit einen fortschrittsdurstigen Stadtbürger überzeugen zu wollen, würde
freilich ein ebenso vergebliches Bemühen sein, wie das andre, ihm begreiflich
zu machen, daß die Freude über den glücklich erreichten zehntausendsten oder
hunderttausendsten Einwohner eine kindische, kurzsichtige Freude ist. Zum
Glück war in diesem Falle die Entrüstung der vernünftigen Leute mächtig und
laut genug, um die Philister verstummen zu machen und so zu verhindern,
daß einer vollkommnen Nichtigkeit zuliebe die wilde Großartigkeit des Noß-
trappenthals hingeopfert würde.

Ein ähnlicher, nur noch ungeheuerlicherer Plan spukt jetzt in den Köpfen
einiger süddeutscher Techniker und Unternehmer. Man will nichts geringeres,
als die gewaltigen Stromschnellen bei Laufenburg, einige Meilen unterhalb
Schaffhausen, der Elektrizitütsentwicklung dienstbar machen und zu diesem
Zweck den Rhein (!) ableiten, um seine Wassermasse in einem Kanal abzu¬
fangen! Wer Laufenburg gesehen hat, der weiß, daß es wenig Städtebilder
auf deutschem Boden giebt von ähnlich wild phantastischem Zauber: ein un¬
mittelbar am Ufer des reißenden Stromes auf Felsengrund sich hoch aufbauendes
Städtchen durchaus mittelalterlichen Charakters, überragt von Warttürmen,
Schloßtrümmern und einer gotischen Kirche, und ihm zu Füßen der smaragd¬
grüne, jugendliche Rhein in rasendem Toben, Brausen und Schäumen über
die zerrissenen Klippen sich in die Tiefe stürzend! Einstweilen ist es noch keiner
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/419>, abgerufen am 23.07.2024.