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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

von den neuen künstlichen Begrenzungen sich eines in der Verminderung des
Waldbestandes kundzugeben pflegt, während sie in sozialer Beziehung den Grund
zur Verarmung und Lockerung der von ihnen betroffnen Gemeinden legen helfen,
kennzeichnen zugleich das Bestreben, das in der modernen Forstwirtschaft jede
andre Rücksicht verdrängen zu wollen scheint. Der Wald mit seinen Erträgen
wird zur Ware herabgewürdigt. Er soll nichts weiter sein als ein Kapital,
dessen Nutznießung auf den höchsten Grad zu steigern ist. Die peinliche Aus¬
nutzung des Bodens, das Verschwinden aller Lichtungen, aller Waldwiesen,
dieser reizenden Sammelplätze des Wildes mit ihren einsamen Blumen und
Insekten, die oft übertriebne Reichlichkeit von Weganlagen für die Holzabfuhr,
von weithin sichtbaren Abgrenzungen der Reviere, die erbarmungslose Aus¬
rottung aller Burne und Büsche, die das Unglück haben, auf die Proskriptions¬
liste der sogenannten "Fvrstunkrnuter" gesetzt worden zu sein, obwohl sie zum
Teil zur Wiederbelebung der Hvlzindnstrie von größtem Nutzen sein könnten --
alles dieses und noch vieles andre deutet auf dieselbe Quelle. Am ein¬
schneidendsten aber macht sich die Herrschaft des pekuniären Gesichtspunkts in
dem Aussterben wirklich alter Waldbestände fühlbar, in den immer knapper
werdenden Zeiträumen des Antriebes. Nicht mir daß die eigentlichste Herr¬
lichkeit und Ehrwürdigkeit des Waldes mit dieser Baumricsenwelt zu Grabe
getragen wird: auch der volkstümliche" Bauart, die wesentlich an die starke
Mitwirkung des Holzes, namentlich des Eichenholzes gebunden ist, wird damit
der Todesstoß versetzt, und zu gleicher Zeit wird der Holzindustrie, besonders
der häuslichen, vollends der natürliche Boden entzogen. Und was tritt an
die Stelle? Vor allem die Pappe und das Papier. Im Harz z. B. räumt
ein Laubwald nach dem andern der Fichte den Platz, deren dichtgedrängte
Pflanzbestünde nach kurzem Wachstum geschlagen werden, um an "Kartonuage-
fabriken" zur Umwandlung in Pappe und Papier verkauft zu werden. Wir
aber genießen dafür das Glück, jedes Stück Seife, jedes halbe Pfund Eier¬
nudeln in besondern Kartons nach Hause zu tragen und unsern Papierkorb
täglich mit unzähligen Emballagen von der dünnsten bis zur dicksten Sorte,
mit bedruckten Briefpapier und Briefumschlägen, mit opulenten Anzeige-, Ein-
ladungs- und Glückwunschkarten, mit Heften, ja Büchern ungelesener illustrirter
Neklamekataloge frisch füllen zu können. Eine Anhäufung halb widerlicher,
halb lächerlicher Überflüssigkeiten. Nicht überflüssig bloß für die Herren Fabrik¬
besitzer, die bei ihrer Fabrikation reich werden, und für den Staatssäckel,
der den doppelten Vorteil genießt, seinen Wald möglichst rasch in möglichst
viel Geld umzusetzen, zugleich aber auch die Steuern seiner Großindustrielle"
einzuheimsen.

Während aber die genannten Verwaltungsmaßregcln nur allmählich sür
den flüchtig Durchreisenden kaum bemerkbar ihr Zerstörungswerk vollziehen,
giebt es andre Dinge, die auch dein Blödester in die Augen springen. In


Heimatschutz

von den neuen künstlichen Begrenzungen sich eines in der Verminderung des
Waldbestandes kundzugeben pflegt, während sie in sozialer Beziehung den Grund
zur Verarmung und Lockerung der von ihnen betroffnen Gemeinden legen helfen,
kennzeichnen zugleich das Bestreben, das in der modernen Forstwirtschaft jede
andre Rücksicht verdrängen zu wollen scheint. Der Wald mit seinen Erträgen
wird zur Ware herabgewürdigt. Er soll nichts weiter sein als ein Kapital,
dessen Nutznießung auf den höchsten Grad zu steigern ist. Die peinliche Aus¬
nutzung des Bodens, das Verschwinden aller Lichtungen, aller Waldwiesen,
dieser reizenden Sammelplätze des Wildes mit ihren einsamen Blumen und
Insekten, die oft übertriebne Reichlichkeit von Weganlagen für die Holzabfuhr,
von weithin sichtbaren Abgrenzungen der Reviere, die erbarmungslose Aus¬
rottung aller Burne und Büsche, die das Unglück haben, auf die Proskriptions¬
liste der sogenannten „Fvrstunkrnuter" gesetzt worden zu sein, obwohl sie zum
Teil zur Wiederbelebung der Hvlzindnstrie von größtem Nutzen sein könnten —
alles dieses und noch vieles andre deutet auf dieselbe Quelle. Am ein¬
schneidendsten aber macht sich die Herrschaft des pekuniären Gesichtspunkts in
dem Aussterben wirklich alter Waldbestände fühlbar, in den immer knapper
werdenden Zeiträumen des Antriebes. Nicht mir daß die eigentlichste Herr¬
lichkeit und Ehrwürdigkeit des Waldes mit dieser Baumricsenwelt zu Grabe
getragen wird: auch der volkstümliche» Bauart, die wesentlich an die starke
Mitwirkung des Holzes, namentlich des Eichenholzes gebunden ist, wird damit
der Todesstoß versetzt, und zu gleicher Zeit wird der Holzindustrie, besonders
der häuslichen, vollends der natürliche Boden entzogen. Und was tritt an
die Stelle? Vor allem die Pappe und das Papier. Im Harz z. B. räumt
ein Laubwald nach dem andern der Fichte den Platz, deren dichtgedrängte
Pflanzbestünde nach kurzem Wachstum geschlagen werden, um an „Kartonuage-
fabriken" zur Umwandlung in Pappe und Papier verkauft zu werden. Wir
aber genießen dafür das Glück, jedes Stück Seife, jedes halbe Pfund Eier¬
nudeln in besondern Kartons nach Hause zu tragen und unsern Papierkorb
täglich mit unzähligen Emballagen von der dünnsten bis zur dicksten Sorte,
mit bedruckten Briefpapier und Briefumschlägen, mit opulenten Anzeige-, Ein-
ladungs- und Glückwunschkarten, mit Heften, ja Büchern ungelesener illustrirter
Neklamekataloge frisch füllen zu können. Eine Anhäufung halb widerlicher,
halb lächerlicher Überflüssigkeiten. Nicht überflüssig bloß für die Herren Fabrik¬
besitzer, die bei ihrer Fabrikation reich werden, und für den Staatssäckel,
der den doppelten Vorteil genießt, seinen Wald möglichst rasch in möglichst
viel Geld umzusetzen, zugleich aber auch die Steuern seiner Großindustrielle»
einzuheimsen.

Während aber die genannten Verwaltungsmaßregcln nur allmählich sür
den flüchtig Durchreisenden kaum bemerkbar ihr Zerstörungswerk vollziehen,
giebt es andre Dinge, die auch dein Blödester in die Augen springen. In


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[0416] Heimatschutz von den neuen künstlichen Begrenzungen sich eines in der Verminderung des Waldbestandes kundzugeben pflegt, während sie in sozialer Beziehung den Grund zur Verarmung und Lockerung der von ihnen betroffnen Gemeinden legen helfen, kennzeichnen zugleich das Bestreben, das in der modernen Forstwirtschaft jede andre Rücksicht verdrängen zu wollen scheint. Der Wald mit seinen Erträgen wird zur Ware herabgewürdigt. Er soll nichts weiter sein als ein Kapital, dessen Nutznießung auf den höchsten Grad zu steigern ist. Die peinliche Aus¬ nutzung des Bodens, das Verschwinden aller Lichtungen, aller Waldwiesen, dieser reizenden Sammelplätze des Wildes mit ihren einsamen Blumen und Insekten, die oft übertriebne Reichlichkeit von Weganlagen für die Holzabfuhr, von weithin sichtbaren Abgrenzungen der Reviere, die erbarmungslose Aus¬ rottung aller Burne und Büsche, die das Unglück haben, auf die Proskriptions¬ liste der sogenannten „Fvrstunkrnuter" gesetzt worden zu sein, obwohl sie zum Teil zur Wiederbelebung der Hvlzindnstrie von größtem Nutzen sein könnten — alles dieses und noch vieles andre deutet auf dieselbe Quelle. Am ein¬ schneidendsten aber macht sich die Herrschaft des pekuniären Gesichtspunkts in dem Aussterben wirklich alter Waldbestände fühlbar, in den immer knapper werdenden Zeiträumen des Antriebes. Nicht mir daß die eigentlichste Herr¬ lichkeit und Ehrwürdigkeit des Waldes mit dieser Baumricsenwelt zu Grabe getragen wird: auch der volkstümliche» Bauart, die wesentlich an die starke Mitwirkung des Holzes, namentlich des Eichenholzes gebunden ist, wird damit der Todesstoß versetzt, und zu gleicher Zeit wird der Holzindustrie, besonders der häuslichen, vollends der natürliche Boden entzogen. Und was tritt an die Stelle? Vor allem die Pappe und das Papier. Im Harz z. B. räumt ein Laubwald nach dem andern der Fichte den Platz, deren dichtgedrängte Pflanzbestünde nach kurzem Wachstum geschlagen werden, um an „Kartonuage- fabriken" zur Umwandlung in Pappe und Papier verkauft zu werden. Wir aber genießen dafür das Glück, jedes Stück Seife, jedes halbe Pfund Eier¬ nudeln in besondern Kartons nach Hause zu tragen und unsern Papierkorb täglich mit unzähligen Emballagen von der dünnsten bis zur dicksten Sorte, mit bedruckten Briefpapier und Briefumschlägen, mit opulenten Anzeige-, Ein- ladungs- und Glückwunschkarten, mit Heften, ja Büchern ungelesener illustrirter Neklamekataloge frisch füllen zu können. Eine Anhäufung halb widerlicher, halb lächerlicher Überflüssigkeiten. Nicht überflüssig bloß für die Herren Fabrik¬ besitzer, die bei ihrer Fabrikation reich werden, und für den Staatssäckel, der den doppelten Vorteil genießt, seinen Wald möglichst rasch in möglichst viel Geld umzusetzen, zugleich aber auch die Steuern seiner Großindustrielle» einzuheimsen. Während aber die genannten Verwaltungsmaßregcln nur allmählich sür den flüchtig Durchreisenden kaum bemerkbar ihr Zerstörungswerk vollziehen, giebt es andre Dinge, die auch dein Blödester in die Augen springen. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/416>, abgerufen am 23.07.2024.