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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

rohe Zerstörungswut gethan haben. Unsre Städte, unsre Dörfer verwandeln
sast vor unsern Augen ihr Aussehen; die alten Bauernhäuser in ihrer scharf
ausgeprägten Eigenart, die alten Häuser der Städte mit ihren sinnvollen
Inschriften, dazu Thore und Türme und mit ihnen die alten malerischen
Straßenbilder schwinden mehr und mehr; und mit den Häusern zugleich
schwinden die alten Kunstwerke, die sie schmückten, schwindet der alte edle
Hausrat, der sie füllte. Selbst vor manchen Kirchengebäuden und vor andern
denkmalartigen Bauten hat der vorwärts hastende Schritt der Gegenwart
nicht Halt machen wollen und hat sie in ihrem Bestände bedroht. Diese Denk¬
mäler der Vorzeit, die Zierde unsers Landes, der Stolz unsers Volks, wie
sind sie doppelt teuer dem, den sie als altvertraute Bilder aus der Kindheit
bis ins Alter begleiten, dem sie die Stätte seines Lebens und Schaffens be¬
deutungsvoll bezeichnen! Und doch sind sie noch mehr: als Schöpfungen der
Knnstülmng unsrer Väter sind sie uns nicht bloß Quellen des Genusses,
sondern auch vielfach Vorbilder für das eigne Schaffen." Die letzten Worte
sind vor allem anch in dem Sinne zu betonen, daß es nicht genug ist, wie
es jetzt so vielfach geschieht, etwa eine einzelne gotische Kirche zu erhalten und
herauszuputzen, rings um sie her aber sich ungescheut im "Freilegungswahn"
(nach Sittes^) Ausdruck) und in der Errichtung von modernen Phrasenbauteu
jedes Schlages und Stiles zu ergehen, sondern man sollte sich bemühen,
von den gedankenreichen, gemütvollen, wahrhaft schöpferischen Werken der
Alten zu lernen und in ihre Nähe nichts andres zu bringen wagen, als was
ihrem Geist und Sinn gemäß ist. Daß das erste hie und da geschieht,
dafür zeugt freilich eine Reihe von Bauten ernstgerichteter neuerer Architekten.
Dennoch sind und bleiben wir von dem zweiten noch immer unendlich
weit entfernt, weil der Tüchtigkeit einzelner Künstler ein Heer fabrikmüßig
arbeitender Bauunternehmer gegenübersteht, die in allen Stilgattungen herum-
pfnschen, und denen wir es zu danken haben, daß gewisse neue Stadt¬
viertel und Villcnvororte, die besonders elegant sein sollen, aussehen, als
ob mit den Flicken aller Zeiten und Länder Komödie gespielt werden sollte.
Dem entspricht dann die Gesamtstimmung unser Zeit, die ohne jedes Ver¬
ständnis sür ideale Bestrebungen ausschließlich in dem Jagen nach üußerm
Glanz und Effekt, nach Bequemlichkeit und materiellem Genuß befangen ist.
Das höchste, wozu sich die Mode versteigt, ist ein deutschtümelndes Kokettiren
mit einigen Äußerlichkeiten mittelalterlicher Stile, das dann auf dem Hinter¬
grunde der allgemeinen Banalität einfach abstoßend wirkt.

Was sind für die ungeheure Mehrheit der heutigen Menschen geschicht¬
licher Sinn und echtes Schönheitsgefühl! Verklungne Worte, deren Bedeutung
sie kaum mehr ahnen. Wenn die Durchschnittsleute der Gegenwart ein Haus,



*) Vgl. das geistvolle Buch des Wiener Architekten Sitte über den modernen Städtebau.
Heimatschutz

rohe Zerstörungswut gethan haben. Unsre Städte, unsre Dörfer verwandeln
sast vor unsern Augen ihr Aussehen; die alten Bauernhäuser in ihrer scharf
ausgeprägten Eigenart, die alten Häuser der Städte mit ihren sinnvollen
Inschriften, dazu Thore und Türme und mit ihnen die alten malerischen
Straßenbilder schwinden mehr und mehr; und mit den Häusern zugleich
schwinden die alten Kunstwerke, die sie schmückten, schwindet der alte edle
Hausrat, der sie füllte. Selbst vor manchen Kirchengebäuden und vor andern
denkmalartigen Bauten hat der vorwärts hastende Schritt der Gegenwart
nicht Halt machen wollen und hat sie in ihrem Bestände bedroht. Diese Denk¬
mäler der Vorzeit, die Zierde unsers Landes, der Stolz unsers Volks, wie
sind sie doppelt teuer dem, den sie als altvertraute Bilder aus der Kindheit
bis ins Alter begleiten, dem sie die Stätte seines Lebens und Schaffens be¬
deutungsvoll bezeichnen! Und doch sind sie noch mehr: als Schöpfungen der
Knnstülmng unsrer Väter sind sie uns nicht bloß Quellen des Genusses,
sondern auch vielfach Vorbilder für das eigne Schaffen." Die letzten Worte
sind vor allem anch in dem Sinne zu betonen, daß es nicht genug ist, wie
es jetzt so vielfach geschieht, etwa eine einzelne gotische Kirche zu erhalten und
herauszuputzen, rings um sie her aber sich ungescheut im „Freilegungswahn"
(nach Sittes^) Ausdruck) und in der Errichtung von modernen Phrasenbauteu
jedes Schlages und Stiles zu ergehen, sondern man sollte sich bemühen,
von den gedankenreichen, gemütvollen, wahrhaft schöpferischen Werken der
Alten zu lernen und in ihre Nähe nichts andres zu bringen wagen, als was
ihrem Geist und Sinn gemäß ist. Daß das erste hie und da geschieht,
dafür zeugt freilich eine Reihe von Bauten ernstgerichteter neuerer Architekten.
Dennoch sind und bleiben wir von dem zweiten noch immer unendlich
weit entfernt, weil der Tüchtigkeit einzelner Künstler ein Heer fabrikmüßig
arbeitender Bauunternehmer gegenübersteht, die in allen Stilgattungen herum-
pfnschen, und denen wir es zu danken haben, daß gewisse neue Stadt¬
viertel und Villcnvororte, die besonders elegant sein sollen, aussehen, als
ob mit den Flicken aller Zeiten und Länder Komödie gespielt werden sollte.
Dem entspricht dann die Gesamtstimmung unser Zeit, die ohne jedes Ver¬
ständnis sür ideale Bestrebungen ausschließlich in dem Jagen nach üußerm
Glanz und Effekt, nach Bequemlichkeit und materiellem Genuß befangen ist.
Das höchste, wozu sich die Mode versteigt, ist ein deutschtümelndes Kokettiren
mit einigen Äußerlichkeiten mittelalterlicher Stile, das dann auf dem Hinter¬
grunde der allgemeinen Banalität einfach abstoßend wirkt.

Was sind für die ungeheure Mehrheit der heutigen Menschen geschicht¬
licher Sinn und echtes Schönheitsgefühl! Verklungne Worte, deren Bedeutung
sie kaum mehr ahnen. Wenn die Durchschnittsleute der Gegenwart ein Haus,



*) Vgl. das geistvolle Buch des Wiener Architekten Sitte über den modernen Städtebau.
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[0412] Heimatschutz rohe Zerstörungswut gethan haben. Unsre Städte, unsre Dörfer verwandeln sast vor unsern Augen ihr Aussehen; die alten Bauernhäuser in ihrer scharf ausgeprägten Eigenart, die alten Häuser der Städte mit ihren sinnvollen Inschriften, dazu Thore und Türme und mit ihnen die alten malerischen Straßenbilder schwinden mehr und mehr; und mit den Häusern zugleich schwinden die alten Kunstwerke, die sie schmückten, schwindet der alte edle Hausrat, der sie füllte. Selbst vor manchen Kirchengebäuden und vor andern denkmalartigen Bauten hat der vorwärts hastende Schritt der Gegenwart nicht Halt machen wollen und hat sie in ihrem Bestände bedroht. Diese Denk¬ mäler der Vorzeit, die Zierde unsers Landes, der Stolz unsers Volks, wie sind sie doppelt teuer dem, den sie als altvertraute Bilder aus der Kindheit bis ins Alter begleiten, dem sie die Stätte seines Lebens und Schaffens be¬ deutungsvoll bezeichnen! Und doch sind sie noch mehr: als Schöpfungen der Knnstülmng unsrer Väter sind sie uns nicht bloß Quellen des Genusses, sondern auch vielfach Vorbilder für das eigne Schaffen." Die letzten Worte sind vor allem anch in dem Sinne zu betonen, daß es nicht genug ist, wie es jetzt so vielfach geschieht, etwa eine einzelne gotische Kirche zu erhalten und herauszuputzen, rings um sie her aber sich ungescheut im „Freilegungswahn" (nach Sittes^) Ausdruck) und in der Errichtung von modernen Phrasenbauteu jedes Schlages und Stiles zu ergehen, sondern man sollte sich bemühen, von den gedankenreichen, gemütvollen, wahrhaft schöpferischen Werken der Alten zu lernen und in ihre Nähe nichts andres zu bringen wagen, als was ihrem Geist und Sinn gemäß ist. Daß das erste hie und da geschieht, dafür zeugt freilich eine Reihe von Bauten ernstgerichteter neuerer Architekten. Dennoch sind und bleiben wir von dem zweiten noch immer unendlich weit entfernt, weil der Tüchtigkeit einzelner Künstler ein Heer fabrikmüßig arbeitender Bauunternehmer gegenübersteht, die in allen Stilgattungen herum- pfnschen, und denen wir es zu danken haben, daß gewisse neue Stadt¬ viertel und Villcnvororte, die besonders elegant sein sollen, aussehen, als ob mit den Flicken aller Zeiten und Länder Komödie gespielt werden sollte. Dem entspricht dann die Gesamtstimmung unser Zeit, die ohne jedes Ver¬ ständnis sür ideale Bestrebungen ausschließlich in dem Jagen nach üußerm Glanz und Effekt, nach Bequemlichkeit und materiellem Genuß befangen ist. Das höchste, wozu sich die Mode versteigt, ist ein deutschtümelndes Kokettiren mit einigen Äußerlichkeiten mittelalterlicher Stile, das dann auf dem Hinter¬ grunde der allgemeinen Banalität einfach abstoßend wirkt. Was sind für die ungeheure Mehrheit der heutigen Menschen geschicht¬ licher Sinn und echtes Schönheitsgefühl! Verklungne Worte, deren Bedeutung sie kaum mehr ahnen. Wenn die Durchschnittsleute der Gegenwart ein Haus, *) Vgl. das geistvolle Buch des Wiener Architekten Sitte über den modernen Städtebau.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/412>, abgerufen am 23.07.2024.