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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

mator bestimmt hätte. Zuverlässig waren allerdings seine Kenntnisse nnr in dem
Gebiete der Patristischen Zeit, in dem mittelalterlichen konnten sie es nicht sein,
weil die mittelalterlichen Chroniken, abgesehen von ihrer Kritiklosigkeit, damals
meistens unzugänglich, und Urkundensammlnngen überhaupt noch nicht vorhanden
waren. Was damals erkannt werden konnte, das hat Luther auch erkannt, unter
anderm die historische Unhaltbarkeit der Ansprüche des römischen Bischofs. Das
wesentliche von dem, was vor fünfundzwanzig Jahren in den Streitschriften gegen
das vatikanische Konzil gesagt worden ist, hat Luther alles schon gesagt, und in
weit wirksamerer Weise gesagt, als es diese späten Ährenleser bei ihren bescheidnen
Anlagen zu sagen vermochten, und wenn unwiderlegliche Beweisführungen ein Reich
zu stürzen vermöchten, so stünde von dem stolzen Bau des Papsttums schon seit
viertehalbhundert Jahren kein Stein mehr auf dem andern. An der damals seltnen
Gabe des historischen Sinnes hat es Lnthern, wie Schäfer richtig hervorhebt,
wahrlich nicht gefehlt. Überall tritt in seinen Reden und Schriften ein kräftiger,
klarer, nüchterner Wirklichkeitssinn hervor, der im schärfsten Gegensatz steht zu den
logischen Luftkonstruktionen der Scholastiker. Kann man diese besser charakterisiren,
als wie es Luther thut, wenn er von Thomas von Aquin sagt, er sei "ein großer
Wescher gewest, ani xi-o variet^es vsrdorum äiversitatsm tmxit rsrum" ? Man ist
also von vornherein geneigt, bei Luther historischen Sinu vorauszusetzen, und durch
Schäfers Stellensammlungen sieht man diese Voraussetzung vollauf gerechtfertigt.
Um von hundert Beweisen nnr einen anzuführen: eine wie scharfe und richtige
Auffassung einer damals vollständig verdunkelten Sachlage und einen wie glücklichen
Blick für historische Zusammenhänge verraten folgende zwei Sätze aus einem Briefe,
den Luther vor der Leipziger Disputation an Spalatin schrieb: Dg'v uvKo Lowiiu^in
^eelesig,in owuidus lüclllösiis Mporiorom, non mög'o sg,in nostris int nunc re-Air^t)
Lupsi'loi'izin, (juimäo villa Da-eins prot^dit, qnoä LZonswntiiioxolis, aut ulla, 6-ra.ooiaö
eoelösia, qua,r>(lo ^.ntioensua., "zuanclo ^löXÄnärin", izuÄuclo ^krich."?, animadv ^öff^xti
sub Ronurna, tuoriut, fut öpiscoxos ooMi'wA,los aoLvpsrillt? . . . Aos Korwaui
tantum, aoeopto iwxsrio Romimos I?outiK<zgs swdiliviinng, Quantum xotuimns.
läoo in povuiim rursus vos xassi sumus, was bekanntlich beides bis ans den
heutigen Tag geschieht. Aber wenn der Kirchenhistoriker in Luther dem Refor¬
mator vorgearbeitet, ja zusammen mit dem über den Ablaß entrüsteten sittlichen
Menschen den Reformator erzeugt hat -- nicht ohne heftiges Widerstreben gab
Luther die ihm eingepflanzten Meinungen der erkannten geschichtlichen Wahrheit preis;
wie schmerzte es ihn. als er erkennen mußte, daß er ein Hussit sei! --. hat dann
später der Kirchenhistorikcr unter der Aufgabe des Reformators leiden müssen.
Diese forderte eine neue Kirchengründung, und die war nicht möglich ohne Dogma.
Dogma und Geschichte aber stehen in einem unversöhnlichen Widerspruch mit ein¬
ander, denn jenes ist starr, und diese ist flüssig und leidet kein Starres. Das
kirchliche Dogma zwängt die Erscheinungen der Welt in die beiden Kategorien
Gott und Teufel, oder gut und böse, und kann ihnen daher niemals gerecht werden.
Erst die vom Kirchenglauben befreite moderne Philosophie vermochte festzustellen,
daß der eine Weltgrund seine Ziele durch gegen einander wirkende Kräfte erreicht,
die in der geistigen Welt so wenig in göttliche und teuflische geschieden werden
können wie in der Körperwelt, wo z. B. das Wort negativ bei der Elektrizität
weiter nichts bedeutet, als daß der eine Strom dem andern entgegenwirkt. In
der Kirche aber kann der Anhänger des einen Dogmas die Anhänger des entgegen¬
gesetzten für nichts anders als fiir Teufelsbrut halten, und die Katholiken dürfen
darum Luther uicht lesen, weil sie sonst seine tiefe und aufrichtige Frömmigkeit


Litteratur

mator bestimmt hätte. Zuverlässig waren allerdings seine Kenntnisse nnr in dem
Gebiete der Patristischen Zeit, in dem mittelalterlichen konnten sie es nicht sein,
weil die mittelalterlichen Chroniken, abgesehen von ihrer Kritiklosigkeit, damals
meistens unzugänglich, und Urkundensammlnngen überhaupt noch nicht vorhanden
waren. Was damals erkannt werden konnte, das hat Luther auch erkannt, unter
anderm die historische Unhaltbarkeit der Ansprüche des römischen Bischofs. Das
wesentliche von dem, was vor fünfundzwanzig Jahren in den Streitschriften gegen
das vatikanische Konzil gesagt worden ist, hat Luther alles schon gesagt, und in
weit wirksamerer Weise gesagt, als es diese späten Ährenleser bei ihren bescheidnen
Anlagen zu sagen vermochten, und wenn unwiderlegliche Beweisführungen ein Reich
zu stürzen vermöchten, so stünde von dem stolzen Bau des Papsttums schon seit
viertehalbhundert Jahren kein Stein mehr auf dem andern. An der damals seltnen
Gabe des historischen Sinnes hat es Lnthern, wie Schäfer richtig hervorhebt,
wahrlich nicht gefehlt. Überall tritt in seinen Reden und Schriften ein kräftiger,
klarer, nüchterner Wirklichkeitssinn hervor, der im schärfsten Gegensatz steht zu den
logischen Luftkonstruktionen der Scholastiker. Kann man diese besser charakterisiren,
als wie es Luther thut, wenn er von Thomas von Aquin sagt, er sei „ein großer
Wescher gewest, ani xi-o variet^es vsrdorum äiversitatsm tmxit rsrum" ? Man ist
also von vornherein geneigt, bei Luther historischen Sinu vorauszusetzen, und durch
Schäfers Stellensammlungen sieht man diese Voraussetzung vollauf gerechtfertigt.
Um von hundert Beweisen nnr einen anzuführen: eine wie scharfe und richtige
Auffassung einer damals vollständig verdunkelten Sachlage und einen wie glücklichen
Blick für historische Zusammenhänge verraten folgende zwei Sätze aus einem Briefe,
den Luther vor der Leipziger Disputation an Spalatin schrieb: Dg'v uvKo Lowiiu^in
^eelesig,in owuidus lüclllösiis Mporiorom, non mög'o sg,in nostris int nunc re-Air^t)
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tantum, aoeopto iwxsrio Romimos I?outiK<zgs swdiliviinng, Quantum xotuimns.
läoo in povuiim rursus vos xassi sumus, was bekanntlich beides bis ans den
heutigen Tag geschieht. Aber wenn der Kirchenhistoriker in Luther dem Refor¬
mator vorgearbeitet, ja zusammen mit dem über den Ablaß entrüsteten sittlichen
Menschen den Reformator erzeugt hat — nicht ohne heftiges Widerstreben gab
Luther die ihm eingepflanzten Meinungen der erkannten geschichtlichen Wahrheit preis;
wie schmerzte es ihn. als er erkennen mußte, daß er ein Hussit sei! —. hat dann
später der Kirchenhistorikcr unter der Aufgabe des Reformators leiden müssen.
Diese forderte eine neue Kirchengründung, und die war nicht möglich ohne Dogma.
Dogma und Geschichte aber stehen in einem unversöhnlichen Widerspruch mit ein¬
ander, denn jenes ist starr, und diese ist flüssig und leidet kein Starres. Das
kirchliche Dogma zwängt die Erscheinungen der Welt in die beiden Kategorien
Gott und Teufel, oder gut und böse, und kann ihnen daher niemals gerecht werden.
Erst die vom Kirchenglauben befreite moderne Philosophie vermochte festzustellen,
daß der eine Weltgrund seine Ziele durch gegen einander wirkende Kräfte erreicht,
die in der geistigen Welt so wenig in göttliche und teuflische geschieden werden
können wie in der Körperwelt, wo z. B. das Wort negativ bei der Elektrizität
weiter nichts bedeutet, als daß der eine Strom dem andern entgegenwirkt. In
der Kirche aber kann der Anhänger des einen Dogmas die Anhänger des entgegen¬
gesetzten für nichts anders als fiir Teufelsbrut halten, und die Katholiken dürfen
darum Luther uicht lesen, weil sie sonst seine tiefe und aufrichtige Frömmigkeit


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[0405] Litteratur mator bestimmt hätte. Zuverlässig waren allerdings seine Kenntnisse nnr in dem Gebiete der Patristischen Zeit, in dem mittelalterlichen konnten sie es nicht sein, weil die mittelalterlichen Chroniken, abgesehen von ihrer Kritiklosigkeit, damals meistens unzugänglich, und Urkundensammlnngen überhaupt noch nicht vorhanden waren. Was damals erkannt werden konnte, das hat Luther auch erkannt, unter anderm die historische Unhaltbarkeit der Ansprüche des römischen Bischofs. Das wesentliche von dem, was vor fünfundzwanzig Jahren in den Streitschriften gegen das vatikanische Konzil gesagt worden ist, hat Luther alles schon gesagt, und in weit wirksamerer Weise gesagt, als es diese späten Ährenleser bei ihren bescheidnen Anlagen zu sagen vermochten, und wenn unwiderlegliche Beweisführungen ein Reich zu stürzen vermöchten, so stünde von dem stolzen Bau des Papsttums schon seit viertehalbhundert Jahren kein Stein mehr auf dem andern. An der damals seltnen Gabe des historischen Sinnes hat es Lnthern, wie Schäfer richtig hervorhebt, wahrlich nicht gefehlt. Überall tritt in seinen Reden und Schriften ein kräftiger, klarer, nüchterner Wirklichkeitssinn hervor, der im schärfsten Gegensatz steht zu den logischen Luftkonstruktionen der Scholastiker. Kann man diese besser charakterisiren, als wie es Luther thut, wenn er von Thomas von Aquin sagt, er sei „ein großer Wescher gewest, ani xi-o variet^es vsrdorum äiversitatsm tmxit rsrum" ? Man ist also von vornherein geneigt, bei Luther historischen Sinu vorauszusetzen, und durch Schäfers Stellensammlungen sieht man diese Voraussetzung vollauf gerechtfertigt. Um von hundert Beweisen nnr einen anzuführen: eine wie scharfe und richtige Auffassung einer damals vollständig verdunkelten Sachlage und einen wie glücklichen Blick für historische Zusammenhänge verraten folgende zwei Sätze aus einem Briefe, den Luther vor der Leipziger Disputation an Spalatin schrieb: Dg'v uvKo Lowiiu^in ^eelesig,in owuidus lüclllösiis Mporiorom, non mög'o sg,in nostris int nunc re-Air^t) Lupsi'loi'izin, (juimäo villa Da-eins prot^dit, qnoä LZonswntiiioxolis, aut ulla, 6-ra.ooiaö eoelösia, qua,r>(lo ^.ntioensua., «zuanclo ^löXÄnärin», izuÄuclo ^krich.«?, animadv ^öff^xti sub Ronurna, tuoriut, fut öpiscoxos ooMi'wA,los aoLvpsrillt? . . . Aos Korwaui tantum, aoeopto iwxsrio Romimos I?outiK<zgs swdiliviinng, Quantum xotuimns. läoo in povuiim rursus vos xassi sumus, was bekanntlich beides bis ans den heutigen Tag geschieht. Aber wenn der Kirchenhistoriker in Luther dem Refor¬ mator vorgearbeitet, ja zusammen mit dem über den Ablaß entrüsteten sittlichen Menschen den Reformator erzeugt hat — nicht ohne heftiges Widerstreben gab Luther die ihm eingepflanzten Meinungen der erkannten geschichtlichen Wahrheit preis; wie schmerzte es ihn. als er erkennen mußte, daß er ein Hussit sei! —. hat dann später der Kirchenhistorikcr unter der Aufgabe des Reformators leiden müssen. Diese forderte eine neue Kirchengründung, und die war nicht möglich ohne Dogma. Dogma und Geschichte aber stehen in einem unversöhnlichen Widerspruch mit ein¬ ander, denn jenes ist starr, und diese ist flüssig und leidet kein Starres. Das kirchliche Dogma zwängt die Erscheinungen der Welt in die beiden Kategorien Gott und Teufel, oder gut und böse, und kann ihnen daher niemals gerecht werden. Erst die vom Kirchenglauben befreite moderne Philosophie vermochte festzustellen, daß der eine Weltgrund seine Ziele durch gegen einander wirkende Kräfte erreicht, die in der geistigen Welt so wenig in göttliche und teuflische geschieden werden können wie in der Körperwelt, wo z. B. das Wort negativ bei der Elektrizität weiter nichts bedeutet, als daß der eine Strom dem andern entgegenwirkt. In der Kirche aber kann der Anhänger des einen Dogmas die Anhänger des entgegen¬ gesetzten für nichts anders als fiir Teufelsbrut halten, und die Katholiken dürfen darum Luther uicht lesen, weil sie sonst seine tiefe und aufrichtige Frömmigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/405>, abgerufen am 23.07.2024.